Silicon Saxony

»Enorme Chancen für IC-Hersteller in der EU!«

25. März 2021, 7:11 Uhr | Heinz Arnold
Heinz Martin Esser, Vorstandssprecher Silicon Saxony e.V.: »Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir jetzt mit IPCEI 2 weiter an Fahrt aufnehmen werden. Wir sind hier in Sachsen ein tolles Cluster mit großartigen Zukunftsperspektiven für die nächsten sieben Jahre!«
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20 Prozent an der globalen IC-Produktion für Europa zu erreichen, sei ein realistisches Ziel. Warum, erklären Heinz Martin Esser und Frank Bösenberg von Silicon Saxony im Interview mit Markt&Technik.

Markt&Technik: Die EU will im Rahmen von IPCEI 2, das Deutschland koordinieren wird, bis 2030 rund 20 Prozent der weltweit hergestellten Chips innerhalb der EU fertigen. Ist das aus Ihrer Sicht ein realistisches Ziel?

Heinz Martin Esser, Vorstandssprecher Silicon Saxony e.V.: Es ist wichtig, dass man sich Ziele setzt. Denn damit wird ein Rahmen geschaffen, innerhalb dessen man strukturiert und geplant vorgehen kann. Jetzt kommt es darauf an, in Deutschland IPCEI 2 (Important Project of Common European Interest) möglichst schnell umzusetzen. Die Förderquoten von 20 bis 40 Prozent sind eine richtige und wichtige Rahmengröße.

Frank Bösenberg, Leiter der Geschäftsstelle Silicon Saxony: Wie kommt das Ziel von 20 Prozent zustande? Das ist eine einfache Rechnung: Inzwischen sind Chips in praktisch allen Bereichen unseres Lebens vorgedrungen. Die 20 Prozent sind in etwa eine Verdopplung des aktuellen Wertes der Produktion – und damit ein Wert, den es braucht, um auch bei globalen Betrachtungen eine nennenswerte Rolle zu spielen.

In einem Statement zum IPCEI 2 der EU hatte Silicon Saxony zwar eingeräumt, dass sich Europa über die vergangenen zehn Jahre viele ambitionierte Ziele gesetzt hatte, es mit der Umsetzung aber leider gehapert habe. Jetzt, so ist im Statement zu lesen, habe sich der Wind gedreht. Warum glauben Sie, dass jetzt die Vorhaben konsequenter umgesetzt werden als früher?

Heinz Martin Esser: Weil wir schon mit dem ersten Important Project of Common European Interest 1 (IPCEI 1) sehr gute Erfahrungen gemacht haben. Vor fünf Jahren bereits hatte die EU die strategische Bedeutung der Halbleiterindustrie für Europa erkannt und wollte sie massiv unterstützen, damit sie von einem Anteil am Weltmarkt in Höhe von damals 9 Prozent in Richtung 20 Prozent wachsen kann. Damals hatte erstmals ein Wettbewerbskommissar der EU zugestimmt, dass die europäischen Länder ihre Chip-Hersteller unterstützen dürfen. Das hat den Standort Sachsen deutlich gestärkt und wir sind mittlerweile zum größten Halbleitercluster in Europa aufgestiegen. Es flossen rund 4 Mrd. Euro an Investitionen über die vergangenen vier Jahre nach Sachsen von Firmen wie Bosch, Globalfoundries, Infineon und X-Fab, um nur mal einige zu nennen. So konnte Silicon Saxony seine Rolle als führendes Hightech-Cluster in Europa im internationalen Wettbewerb sichern. Diese Entwicklung hat außerdem wichtige Impulse für energieeffiziente Elektronik, künstliche Intelligenz sowie Quantencomputing gegeben.

TSMC hat rund 17 Mrd. Dollar in den Bau ihrer neusten Fab gesteckt, dieses Jahr sollen sogar 28 Mrd. Dollar investiert werden. Die Investitionen von Intel und Samsung werden sich in ähnlichen Größenordnungen bewegen. Ist es angesichts dieser Zahlen realistisch anzunehmen, die Europäer könnten diesen Vorsprung aufholen?

Heinz Martin Esser: TSMC hat in den letzten Jahren einige Fabs gebaut. Selbst wenn wir jetzt in Europa die von der Politik gewünschte 2-nm-Fab bauen würden, löste das noch nicht das Problem eines unzureichenden Marktumfeldes. Beispielsweise gibt es keine europäischen marktbestimmenden Smartphone- oder Computerhersteller mehr.

Es wird ja immer wieder diskutiert, nach dem Muster von Airbus ein europäisches Konsortium zu bilden, um eine solche Fab zu bauen. Wäre das wünschenswert?

Heinz Martin Esser: Könnte und wollte man die 100 Mrd. Dollar dafür in Europa wirklich aufbringen? Aber das wäre wohl von der falschen Seite her gedacht. Denn es gibt auch kein Unternehmen in Europa, das Smartphones oder andere Geräte in hohen Stückzahlen fertigt. Warum sollte dann hier in Europa eine Produktionsstätte für die ICs dazu aufgebaut werden? Wir sollten also besser von der Kundenseite her denken. Dann sieht die Sache nämlich schon ganz anders aus. Wir haben in Europa führende Unternehmen wie Infineon, NXP und STMicroelectronics. Bosch fertigt im neuen Werk in Dresden Smart Systems und Sensorik auf 300-mm-Wafern, Infineon fertigt Leistungshalbleiter auf 300-mm-Wafern. Dazu sind allerdings nicht die neusten Prozessknoten erforderlich. Ähnliches gilt für Globalfoundries in Dresden, die ebenfalls die Strategie verfolgt, nicht auf den allerneusten Prozessknoten, dafür aber mit Hilfe sehr ausgefeilter Technologien zu fertigen. Das klappt hervorragend. Die Fabs in Sachsen sind ausgebucht, die Chips kauft die ganze Welt, so wie hier teilweise die Unternehmen von Chips aus den asiatischen Giga-Fabs angewiesen sind. Europa ist in vielen Feldern der Halbeleitertechnik, insbesondre der Leistungshalbleiter und der Sensorik absolute Weltspitze!

Frank Bösenberg: Die Chipindustrie ist eben sehr global aufgestellt, wir sind teilweise von asiatischen Herstellern abhängig, aber teilweise sind asiatische Hersteller auch von uns abhängig.

Heinz Martin Esser: Denken Sie nur an ASML, Trumpf und Zeiss. Das ist auch eine europäische Erfolgsstory. Die ganze Welt ist auf die EUV-Geräte von ASML für die Fertigung der neusten Chipgenerationen angewiesen. Doch zurück zu den Chipherstellern: Es sitzen eben auch sehr viele Kunden der europäischen Halbleiterhersteller in Europa und aus diesem Grund ist es sinnvoll hier zu fertigen. Das wird sich Bosch bei der Entscheidung für Dresden als Standort für die neue Fab auch gedacht haben: Die Kunden sind zu einem großen Teil in Europa ansässig, das Umfeld in Sachsen ist sehr gut und mit IPCEI 1 hat auch das Investitionsumfeld gestimmt. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass wir jetzt mit IPCEI 2 weiter an Fahrt aufnehmen werden.  

Um Anreize zu schaffen, dass in Europa Fabs entstünden, die auch ICs auf Basis der neusten Prozessknoten fertigen, müssten also erst einmal die entsprechenden Abnehmer hier aufgebaut oder hierhergelockt werden?

Heinz Martin Esser: Wenn im KI-Umfeld in Europa große Abnehmer entstünden, dann wäre das auch ein Anreiz dafür, hier High-End-Chips zu produzieren. Dasselbe gilt, wenn in Europa ein nennenswertes Quantencomputer-Umfeld entstünde. Deshalb ist es zu begrüßen, dass der Aufbau einer Quantencomputer-Industrie im IPCEI 2 ausdrücklich vorgesehen ist. Im Moment fehlen in Europa auf diesen Gebieten noch die großen Akteure und auch die potenten Investoren.

Solche Unternehmen und Investoren könnten aber auch von außen kommen?

Heinz Martin Esser: Das wäre ebenfalls ein eleganter Weg, um hier die Halbleiterindustrie weiter zu entwickeln. Gerade erst hat Apple angekündigt, in München für 1 Mrd. Dollar ein Design-Zentrum für Chips aufbauen zu wollen. Der Standort hier ist also für ausländische Investoren schon jetzt sehr interessant. Was spräche dagegen, etwa TSMC dazu zu verlocken, eine Fab in Europa zu bauen? Solange wir hier etwas davon hätten, wohl nichts.  

Im Gegenteil, die Politik würde sich freuen…

Heinz Martin Esser: …und es wäre ja eine Perle für jede Regierung, wenn sich ein großer Investor wie Apple hier ansiedelt.

Frank Bösenberg, Leiter der Geschäftsstelle Silicon Saxony: »Jetzt folgen weitere Branchen dem erfolgreichen IPCEI-Muster wie Batterien und Wasserstoff. Die Halbleiterbranche hat also gute Arbeit geleistet.«
Frank Bösenberg, Leiter der Geschäftsstelle Silicon Saxony: »Jetzt folgen weitere Branchen dem erfolgreichen IPCEI-Muster wie Batterien und Wasserstoff. Die Halbleiterbranche hat also gute Arbeit geleistet.«
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Die europäische und deutsche Halbleiterindustrie war also über die vergangenen zehn Jahre sehr erfolgreich darin, die politischen Ebenen von der strategischen Bedeutung dieser Technologie zu überzeugen?

Frank Bösenberg: Das sieht man schon daran, dass die Halbleiterindustrie die erste Branche war, auf die das Instrument Important Project of Common European Interest angewandt wurde. Jetzt folgen weitere Branchen diesem erfolgreichen Muster wie Batterien und Wasserstoff. Die Halbleiterbranche hat auf politischer Ebene gute Arbeit geleistet.

Das Umfeld stimmt also hierzulande. Sie wären nicht überrascht, wenn es demnächst mehrere Initiativen wie die von Apple in Europa oder auch in Sachsen gäbe?

Heinz Martin Esser: Es sind jedenfalls sehr gute Bedingungen vorhanden, die europäische Halbleiterindustrie ist Weltspitze, die Abnehmer der Halbleiter auch – das sollte auf keinen Fall klein geredet werden – und mit IPCEI 2 kommt das richtige Umfeld für Investitionen für die kommenden Jahre hinzu.

Siltronic und Globalwafers - Übernahmen müssen nicht schädlich sein

Umgekehrt ist durch die Übernahme von Siltronics durch Globalwafers der einzige Wafer-Hersteller Europas mit weltweiter Bedeutung taiwanisch geworden. Ist das nicht ein schwerer Verlust, durch den Europa in eine weitere Abhängigkeit gerät?

Heinz Martin Esser: Zunächst einmal scheint die Übernahme durch Globalwafers noch nicht in trockenen Tüchern zu sein, das werden wir sehen. Auf jeden Fall ist es eine Tatsache, dass die Halbleiterindustrie eben global eng vernetzt ist. Da ist es nicht unbedingt schlecht, wenn ein weltweit führendes Unternehmen in Deutschland investiert – unter der Voraussetzung, dass die Standorte hier weitergeführt und ausgebaut werden. Dazu gibt es in Sachsen ein schönes Beispiel: Die Übernahme von Novaled ist hierzulande ja zunächst sehr kritisch gesehen worden: Mit Hilfe von Subventionen, also Steuergeldern, sei das Startup-Unternehmen hochgepäppelt worden, so lautete der Tenor, und dann schnappt sich Samsung den Dresdner OLED-Spezialisten weg – und wieder wandert eine Zukunftstechnologie, die hier entwickelt wurde, in asiatische Hände ab. Acht Jahre später können wir sagen: Alles blieb am Standort, Samsung hat ihn ausgebaut und es sind viele neue Arbeitsplätze entstanden. Für Sachsen und das Cluster insgesamt ein Gewinn. Übernahmen müssen also nicht schädlich sein. Und sie funktionieren auch andersherum: Infineon hat die amerikanische Cypress gekauft und 2014 bereits International Rectifier. Wenn es uns gelingt, in unseren Clustern die deutschen Unternehmen so erfolgreich zu machen, dass solche Übernahmen für sie sinnvoll sind und sie sie sich leisten können, macht es ja nichts, wenn umgekehrt ausländische Unternehmen hier investieren. Wenn hier die Technologie ist, dann sind wir am richtigen Platz.

Zurück zu IPCEI 2: Wie geht es jetzt konkret weiter?

Heinz Martin Esser: Jetzt können alle europäischen Cluster ihre Ideen einbringen, es gibt ja nicht nur Silicon Saxony, sondern weitere Cluster, wie etwa rund um Leuven mit dem IMEC im Zentrum und mit dem CAE-Leti in Grenoble. Die Entscheidungen für die Förderungen werden dann in Brüssel getroffen werden, etwa wo wer für welche Projekte in Umfeldern wie KI, 5G, Automotive, IIoT oder Leistungshalbleiter Förderungen erhält. Wir stehen hier also im Wettbewerb mit vielen europäischen Clustern. Dass wir technologisch sehr anspruchsvolle und für die Zukunft wirtschaftlich vielversprechende Projekte vorlegen müssen, ist klar. Aber wir sind hier in einer sehr guten Position und es gibt keinen Grund zum Jammern. Wir sind in Sachsen ein tolles Cluster mit großartigen Zukunftsperspektiven für die nächsten sieben Jahre!


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