Seit 30 Jahren gibt es den unabhängigen Systemintegrator Aaronn Electronic. Nach dem Ausstieg des Gründers übernahmen die langjährigen Mitarbeiter Maik Schauer und Florian Haidn die Geschäftsleitung. Wie es bei Aaronn weitergeht und worin die Vision des Unternehmens liegt, erklärt Florian Haidn.
Herr Haidn, Aaronn Electronic ist gerade in neue Geschäftsräume umgezogen. Wie kam es zu der Entscheidung? Möchten Sie sich vergrößern und als Unternehmen wachsen?
Florian Haidn: Für uns war das eine wichtige strategische Entscheidung: Wir sind in den letzten Jahren im Bereich der individuellen Systemintegration stark gewachsen – dadurch ist unser Platzbedarf für Lager- und Produktionsflächen gestiegen. Glücklicherweise haben wir gleich ums Eck tolle Räumlichkeiten gefunden, die wir nach unseren Anforderungen umgebaut haben. In den neuen Räumlichkeiten können wir unsere Arbeitsabläufe optimieren und unsere Produktivität steigern. Nun haben wir für unser nachhaltiges Wachstum die richtige Basis und bieten unseren Mitarbeitern attraktive und moderne Arbeitsplätze in einem spannenden und zukunftsträchtigen Umfeld.
Viele Embedded-Unternehmen sind gerade dabei, aufgestaute Aufträge abzuarbeiten. Geht es Ihnen genauso oder kämpfen Sie mit anderen Herausforderungen?
Über die letzten beiden Jahre haben sich auch bei uns viele Aufträge angehäuft, die wir nicht so bedienen konnten, wie sich das unsere Kunden und wir gewünscht haben. Dank der sich entspannenden Bauteilsituation wird dieser Berg aber stetig kleiner und wir können und dürfen uns vermehrt wieder mit neuen Projekten beschäftigen.
In letzter Zeit stieg die Bereitschaft für neue Projekte bei Entwicklern und Projektleitern wieder an. Denn sie müssen sich nicht mehr ständig um Redesigns kümmern und versuchen, Bauteile zu beschaffen oder Second und Third Sources zu qualifizieren. Aus meiner Sicht ist das wieder eine sehr gesunde und gute Mischung.
Die Standards OSM und COM-HPC sind derzeit große Innovationstreiber am Embedded-Markt. Setzen Sie bereits Projekte mit diesen neuen Standards um?
Wir sind ein großer Verfechter von Standards und profitieren als unabhängiger Systemintegrator von der Standardisierung. So setzen wir seit vielen Jahren auf SMARC, Qseven oder COM Express, seit einiger Zeit ebenfalls auf COM-HPC und OSM. Wenn ich beim Design eines Baseboards auf einen Standard setze, kann ich zwischen vielen Anbietern auswählen. Kunden reduzieren dadurch Abhängigkeiten und bleiben flexibel – das hat sich nicht erst in der Bauteilkrise bewährt. Wir bieten unseren Kunden eine unabhängige Systemintegration, sie haben bei Aaronn eine zentrale Anlaufstelle und müssen ihr Herstellernetzwerk nicht unnötig aufblähen.
Wir designen bereits einige COM-HPC-Server-Projekte ein, die Ende des Jahres in Serienproduktion gehen. Im OSM-Bereich dauert es wahrscheinlich noch etwas, jedoch erhalten wir bereits erste Anfragen hierfür.
Welche Trends sehen Sie am Embedded-Markt für die nächsten zwei bis drei Jahre?
Allen voran künstliche Intelligenz (KI) – sie ist in aller Munde und wird in den nächsten Jahren unser Berufs- und Privatleben beeinflussen. Dank der stetig wachsenden Datenmengen, der mittlerweile vorhandenen Rechen-Performance und Technologien wie 5G nimmt diese Revolution gerade Fahrt auf. Sie wird immer wichtiger, auch beim Produktdesign. Ein sehr großer Treiber von KI-Applikationen ist Nvidia; auch Intel bietet in dem Bereich interessante Möglichkeiten und Applikationen an.
Nach 30 Jahren, die Aaronn Electronic bereits besteht, ist es immer wieder spannend zu beobachten, in wie vielen unterschiedlichen Branchen und Bereichen Embedded-Technologien zum Einsatz kommen. Die Technologie und die Produkte, die wir liefern, sind die Basis für viele innovative Applikationen.
KI besteht größtenteils aus Software. Es gibt zwar die Hardware-Chips, aber Software ist der dominierende Teil, jemand muss den Code, die Applikation, entwickeln. Worin sehen Sie den Mehrwert, den Aaronn bietet, und wo ist eure Position am Markt?
Die Entwicklungen in diesem Bereich sind beeindruckend. Inzwischen gibt es zum Beispiel den Beruf des Prompt-Engineers, der KI-Chatbots wie ChatGPT die richtigen Antworten entlockt. Solche Leute sind derzeit gesucht wie nie – aber diese Experten sehe ich nicht bei uns, wir fokussieren uns weiter auf individuell assemblierte und konfigurierte Subsysteme, die unter anderem die Basis für spannende Projekte im Bereich KI bilden. Wir befinden uns in einem spannenden Transformationsprozess, wie sämtliche Firmen in unserem Umfeld: Die entscheidende Frage ist, wie man seine Produkte und Dienstleistungen bestmöglich auf die unendlichen neuen Möglichkeiten ausrichtet.
Nachhaltigkeit ist derzeit ebenfalls ein großes Thema. Gibt es Punkte, die Sie bei Aaronn umsetzen können und, falls ja, welche sind das?
Insgesamt ist Nachhaltigkeit derzeit ein sehr großes und wichtiges Thema. Wir versuchen zunächst, Dinge im Kleinen zu ändern. Zum Beispiel beziehen wir den Strom für unser neues Büro ausschließlich von einem lokalen Ökostromanbieter. Zudem arbeiten unsere Mitarbeiter flexibel und größtenteils hybrid, so vermeiden wir unnötige Pendelwege. Wir arbeiten außerdem nahezu papierlos und haben viele Vorgänge digitalisiert. Ein großes Plus der Embedded-Branche ist, dass die Produkte zunehmend energieeffizient sind, langlebig sind sie seit jeher und auch die Produktion der Halbleiter findet mitunter nahezu CO₂-neutral statt.
Was möchten Sie mit Aaronn Electronic zum 30-jährigen Jubiläum erreichen? Haben Sie sich ein konkretes Ziel gesetzt?
Unsere Vision ist es, der unabhängige Systemintegrator für die individuelle Realisierung industrieller Embedded-IoT-Applikationen zu sein. Wichtig hierbei sind die Adjektive unabhängig, individuell und industriell – hierauf fokussieren wir uns. Als unabhängiger Systemintegrator suchen wir die objektiv beste Möglichkeit für den Kunden.
Wir kreieren individuelle, kundenspezifische Subsysteme gemäß Kundenwunsch und unsere Produkte sind industriell und somit für langlebige Industrie-Applikationen ausgelegt. Individuell, dass wir für jeden Kunden das passende Gerät kundenspezifisch assemblieren und industriell, dass wir uns auf langlebige Industrie-Applikationen fokussieren. Außerdem wollen wir unsere Rolle im großen Embedded-Markt ausbauen und zusammen mit unseren Kunden wachsen. Das Schöne am Embedded-Markt ist, dass viel Potenzial zum Wachstum vorhanden ist und der Markt immer größer wird – hierzu wollen wir unseren Beitrag leisten.
Haben Sie außerdem einen 5- oder 10-Jahres-Plan ausgearbeitet?
Wir wollen nachhaltig wachsen und dabei unseren Spirit und unsere pragmatische Herangehensweise, die eine unserer USPs ist, nicht verlieren. Konkrete langfristige Wachstumsziele dem bloßen Wachstum wegen geben wir nicht aus. Das Wichtigste ist, dass sich unsere Kunden bei uns bestmöglich aufgehoben fühlen und unsere Mitarbeiter jeden Tag Spaß an dem haben, was sie tun. So werden wir langfristig erfolgreich sein. Auch im neuen Büro hat »kompliziert« übrigens Hausverbot, denn: »Aaronn … es kann so einfach sein!«
Am 24. September 1993 gründete Klaus Lederer Aaronn Electronic, zunächst als Distributor für Embedded-Computing-Technologie. Im Vordergrund stand die Partnerschaft mit Jumptec, später mit Kontron. Bereits 1996 erreichte das Unternehmen einen Umsatz von über 1 Mio. DM. Groß wurde Aaronn in den Anfängen vor allem mit dem Vertrieb von DIMM-PCs, die zu der Zeit eine große Nachfrage erzielten – bis 2012 wurden knapp 100.000 Stück verkauft. Auf die Ära der DIMM-PCs folgte die Ära der ersten Computermodule nach Standard-Formfaktoren. Angefangen bei ETX – der nahezu ausschließlich über Kontron promotet wurde – folgte 2005 das Angebot von COM-Express-Modulen. Mit dem innovativen Standard, der bis heute Umsatz für die Hersteller generiert, öffnete sich Aaronn erstmals anderen Embedded-Herstellern und entwickelte sich mehr und mehr vom reinen Distributor hin zum Systemintegrator. So entstand 2008 das erste eigene Baseboard-Design für COM Express – der Beginn der ersten eigenen kundenspezifischen Entwicklungen.
Im Jahr 2012 begann eine neue erfolgreiche Zusammenarbeit mit Advantech, und 2015 überschritt Aaronn erstmals die 10-Mio.-Euro-Umsatzgrenze. Mehr als die Hälfte des Umsatzes erzielte man zu der Zeit bereits mit Systemintegrationen. Das zeigt deutlich den Erfolg des Geschäftsmodells und warum sich Aaronn weiter auf individuell assemblierte und konfigurierte Systeme fokussierte. 2016 erweiterte Aaronn seine Kooperationen um Produkte von Seco, hier vor allem im Bereich der Qseven-Computermodule, sowie Adlink Technology, im Bereich der Panel-PCs. Ab sofort lautete der Slogan der Firma: »Your one stop shop for embedded solutions – Aaronn: Es kann so einfach sein«.
Zum 1. Oktober 2018 folgte ein weiterer Meilenstein der bewegten Geschichte: Klaus Lederer trat als Gesellschafter und Geschäftsführer zurück und verkaufte seine Anteile an die beiden langjährigen Mitarbeiter Maik Schauer und Florian Haidn. Zum 30-jährigen Jubiläum zog Aaronn Electronic in neue, größere und moderne Geschäftsräume innerhalb Puchheims um – somit ist genügend Platz für weiteres Wachstum in den nächsten Jahren vorhanden. Zudem stieg Aaronn im letzten Jahr bei Intel zum Titanium-Partner auf; aus dieser Partnerschaft verspricht sich die Geschäftsführung weiteres Wachstum.