Zwei Praxisbeispiele verdeutlichen die Entwicklung individueller Gateway-Lösungen auf Basis des phyBOARD-Regor als Single Board Computer und mittels SBCPlus-Konzept für die kundenspezifische Anpassung:
Das phyBOARD-Regor (Bild 1) hat Phytec für den Einsatz in Hutschienengehäusen entwickelt. Gebräuchliche Schnittstellen wie Ethernet (2×), CAN, RS485 und RS232 sind auf dem Board bereits ausgebaut und lassen sich über eine 60-polige Expansionsleiste zusätzlich erweitern. Optimal also für den Einsatz als Serienprodukt oder als erstes Funktionsmuster, anpassbar an unterschiedliche Einsatzzwecke. Die Rechenleistung für gängige Anwendungen stellt ein phyCORE System-on-Module mit AM335x-Prozessor von Texas Instruments zur Verfügung. Sämtliche EMV-kritischen Komponenten sind bereits auf dem Modul integriert. Der Single Board Computer wird inklusive eines Linux/Yocto Board Support Packages ausgeliefert. Auf Wunsch ist das phyBOARD-Regor bereits als Application Ready Embedded Controller in einem Hutschienengehäuse und/oder inklusive Logi.cals Soft-SPS-Lösung erhältlich.
Auch zwei Beispielkunden kauften zum Einstieg in ihre Entwicklung ein phyBOARD-Regor. Sie überzeugten sich anhand des als Lagerware verfügbaren Funktionsmusters von der Qualität der industrietauglichen Hard- und Software – bei einem Preis von rund 170 Euro für das komplette Entwicklungssystem. Beide Unternehmen evaluierten im ersten Schritt die Eignung der fertigen Lösung für den Serieneinsatz in ihren Anwendungen. Erst dabei konkretisierten sich die Anforderungen, die ihre individuellen Lösungen erfüllen sollten.
Kunde 1 überzeugten die grundlegenden Eigenschaften des phyBOARD-Regor, die den Vorstellungen für die Serien-Hardware entsprachen. Der Formfaktor und das mit dem SBC angebotene Gehäuse sollten erhalten bleiben. Trotzdem ergaben sich in der Funktionsmusterphase umfassende Änderungswünsche für die verwendeten Funktionsblöcke. So sollte beispielsweise die RS485-Schnittstelle galvanisch getrennt werden. Außerdem wünschte der Kunde die Bestückung einer zusätzlichen, kundenspezifischen seriellen Schnittstelle. Tabelle 1 zeigt die Änderungen gegenüber dem Standard-SBC.
Aus der Tabelle geht außerdem hervor, dass die meisten Änderungswünsche bereits mit der SBC Design Library abgedeckt werden konnten. Die gewünschten Schaltungsteile waren also entweder als fertige Re-Use-Blöcke oder einfach an die kundenspezifischen Bedürfnisse anpassbare Funktionsblöcke vorhanden und konnten mit minimalem Design-Risiko in Schaltplan und Layout der kundenspezifischen Platine übernommen werden.
Im Rahmen einer Vorstudie prüfte Phytec das Projekt bezüglich technischer Machbarkeit und Risiken, die sich z.B. durch die engen Platzverhältnisse aufgrund der zusätzlichen Schaltung ergeben konnten. Für die Pflichtenhefterstellung wurden drei Arbeitstage veranschlagt, wobei die ausführliche Spezifikation der Anforderungen in einem Kundenworkshop erarbeitet wurde. Die enge Zusammenarbeit zwischen den Entwicklern von Auftraggebern und Phytec führte dabei zu einem optimalen Ergebnis. Der anschließende Aufwand für die Anpassung des Schaltplans beschränkte sich auf drei Tage. Für die Umsetzung im Layout wurden sechs Tage und für die Inbetriebnahme drei weitere Arbeitstage angesetzt. In der Summe blieb der Entwicklungsaufwand für die individuelle Lösung damit deutlich unter 10.000 Euro für den Prototyp, den der Kunde nur sechs Wochen nach Beauftragung der Elektronik in Händen hielt. Damit konnte der Kunde in die Entwicklung seiner Applikation einsteigen und die Elektronik einem Feldtest unterziehen.
Auch Kunde 2 stieg mit dem phyBOARD-Regor in die Funktionsmusterphase seiner Neuentwicklung ein. Im Gegensatz zum oben skizzierten Kundenprojekt ergaben sich allerdings deutliche Erweiterungswünsche der Elektronik – z.B. zwei galvanisch getrennte RS485- und CAN-Schnittstellen. Gegenüber den standardisierten Funktionsblöcken sollte die Beschaltung einiger I/Os gemäß Kundenvorgaben modifiziert werden. Tabelle 1 zeigt alle gewünschten Änderungen.
Zusätzlich sollte ein alternatives Hutschienengehäuse gefunden werden, das einen deutlich flacheren Bauraum erlaubt. Die Gehäusevorgaben und die zusätzlichen Schaltungen machten ein neues Platinenformat notwendig.
Auch für diese kundenspezifische Elektronik waren die Funktionsblöcke weitgehend in der SBC Design Library vorhanden. Inklusive Gehäuseauswahl wurden zwei Tage für das Pflichtenheft veranschlagt, der Aufwand für den Schaltplan betrug drei Arbeitstage und die Umsetzung im Layout wurde mit fünf Tagen berechnet. Maßgeblich für die Aufwände waren die galvanische Trennung der Schnittstellen und der gegenüber dem bestehenden Single Board Computer geänderte Formfaktor. Dieser wurde im Hinblick auf die Serienproduktion des Boards zusätzlich optimiert: Während beim Prototyp das phyCORE-AM335 System-on-Module noch auf das Basisboard gesteckt wurde, sollten die Steckverbinder in der Serienproduktion entfallen und das Modul per Direct-Solder-Connect-Technologie (siehe Kasten) direkt auf die Platinen aufgelötet werden. In diesem Punkt spielt Phytec den Vorteil der eigenen Produktion aus, in der dieses Verfahren in zahlreichen Serienproduktionen erfolgreich eingesetzt wird. Trotz der umfassenden Änderungen – die Platine hat kaum noch Ähnlichkeit mit dem phyBOARD-Regor – konnte die Entwicklung des Prototyps mit einem Entwicklungsaufwand von weniger als 8.000 Euro umgesetzt werden.
Das phyBOARD-Regor als seriennahes Funktionsmuster inklusive Gehäuse, erprobten und qualifizierten Schaltungsteilen – trotz der kundenspezifischen Änderungen – sowie die umfassenden Vorleistungen rund um das Board Support Package ermöglichten die Serienqualifizierung beider Projekte mit minimalen Änderungen. In diesem Zuge übernahm Phytec für Kunde 1 zusätzlich die CE-Zulassung des Gateways und für Kunde 2 die Anpassung an das Gehäuse sowie die Abstimmung mit dem Gehäusehersteller zur Herausführung der LEDs und Beschriftung auf der Gerätefront.
Beide Projekte zeigen, wie innerhalb kürzester Zeit und mit niedrigen Entwicklungskosten individuelle Elektroniken entwickelt werden können. Das SBCPlus-Konzept mit bestehenden Single Board Computern und einer umfassenden Design Library stellt dafür die optimale Basis dar. Kunden beauftragen ihre Elektronik mit minimalen Design-Risiken – und profitieren dennoch von großen Freiheitsgraden in Bezug auf die konkrete Spezifikation. Die Lösung eignet sich insbesondere für Kunden, die schnell und kostengünstig Elektronik-Baugruppen entwickeln möchten, die ihre eigenentwickelten Boards ergänzen wollen oder wenn die Hardware als Basis für Software und Services zum Einsatz kommen soll. Gegenüber herkömmlichen Entwicklungen bieten der hohe Vorfertigungsgrad der Komponenten und die erprobten Schaltungsteile einen enormen Zeit- und Kostenvorteil und reduzieren das Risiko der Designs.
In mehr als 50 Kundenprojekten hat sich das SBCPlus-Konzept bislang bewährt – und gezeigt, dass Kunden neben Zeitvorteil und günstigen Entwicklungskosten insbesondere die Nähe der ab Lager gelieferten Produkte zu Ihrer Anwendung schätzen. Dem trägt Phytec mit der Entwicklung von „Application Ready Solutions“ Rechnung. Sie ergänzen – dem Beispiel des phyBOARD-Regor als Embedded Controller mit Soft-SPS-Lösung folgend – die bestehenden Single Board Computer mit umfassender Middleware und konkreten Anwendungen. Webpanel mit umfassender QT-Integration und node.js-Vorbereitung, Embedded Controller mit SpiderControl als Framework für Automatisierungsanwendungen oder mit OPC-Server zur Visualisierung und Steuerung von Systemen sind in Kürze verfügbar. Dem Grundgedanken des SBCPlus-Konzepts entsprechend sind auch diese Produkte bereits für den Serieneinsatz optimiert – und damit die optimale Basis für kundenspezifische Anpassungen.
Der Autor
Mario Haas
arbeitet seit fast 20 Jahren bei Phytec. Der Elektroingenieur verantwortet den Bereich kundenspezifische Projekte und war maßgeblich an der Entwicklung des SBCPlus Konzepts beteiligt. Zuvor arbeitete er in Entwicklung und Projektmanagement bei Phytec.