Nachhaltigkeit und Embedded

Aller Anfang ist schwer

9. Februar 2023, 10:30 Uhr | Von Stuart Cording, Elektronikingenieur und freier Autor
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Das Thema der Nachhaltigkeit ist derzeit in aller Munde. Auch Embedded-Unternehmen möchten zunehmend nachhaltig agieren. Jedoch sind die Voraussetzungen nicht immer gegeben, zudem deckt Nachhaltigkeit ein breites Feld an Themen ab. Jedoch ist es wichtig, anzufangen, dann ergibt sich Viele von allein

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Welche Auswirkungen hätte die Abschaffung von Elektronikgeräten auf Ihr Leben? Zum Beispiel würden Netflix und TikTok verschwinden, ebenso die Möglichkeit zu kochen oder Wäsche zu waschen. Für diejenigen, die stark in das IoT investiert haben, wäre es sogar noch extremer: zum Beispiel bliebe ihre Haustüre verschlossen. Die einzig verbleibende Fortbewegungsmöglichkeit wäre das Fahrrad – vorausgesetzt – es ist kein E-Bike.

Seit Jahrzehnten sind Elektronik und Halbleiter die Retter der Welt. Wir alle würden in unseren Städten an verschmutzter Luft ersticken, hätte die Automobilindustrie nicht auf elektronische Motorsteuerungssysteme umgestellt. Elektrofahrzeuge bieten uns die Möglichkeit, den Ausstoß von Schadstoffen weiter zu reduzieren. Computersysteme optimieren die Logistik und die Produktion, senken die Preise für lebenswichtige Güter und verbessern die Lebensqualität für die breite Masse.

Unsere Industrie selbst ist allerdings die Quelle der Verschmutzungen – vom Herstellen der Komponenten bis zum Entsorgen. Zudem gefährdendie Arbeitsbedingungen in einigen Ländern – vom Bergbau bis zu den Produktionsanlagen – das Leben und die Gesundheit der Menschen. Also lohnt sich ein genauer Blick auf verschiedene Stellschrauben, an denen die Elektronikindustrie drehen kann.

Tonnen an Elektroschrott 

Elektro- und Elektronikschrott nimmt jährlich zu. Einem UN-Bericht zufolge produzieren wir jedes Jahr etwa 50 Mio. Tonnen davon – lediglich 20 Prozent werden offiziell recycelt. Leider wird ein großer Teil davon ins Ausland gebracht, wo das Recycling oft nachlässig gehandhabt wird und die Gesundheit der Mitarbeiter beeinträchtigt. Obwohl Edelmetalle, wie Gold, in Elektroschrott in größeren Mengen vorhanden sind als in Roherz, aus dem sie gewonnen werden. Der verbleibende Elektroschrott wird häufig auf Deponien entsorgt und verschmutzt das Grundwasser und den Boden. In Deutschland stammen laut Umweltbundesamt  90 Prozent des Elektroschrotts aus Haushalten, der Rest wird von Unternehmen entsorgt.

Um die europäische WEEE-Richtlinie (Waste from Electrical and Electronic Equipment) zu erfüllen, wurde beispielsweise ein Mechanismus der »geteilten Produktverantwortung« eingeführt. Hierbei wird die Recyclingverpflichtung zwischen dem öffentlichen Sektor und dem Hersteller des elektronischen Geräts aufgeteilt. Der Einzelhandel ist ebenfalls beteiligt und nimmt alte Geräte und Apparate zurück. Um die Recycling-Quote von Elektroschrott zu erhöhen, ist es jedoch noch ein langer Weg. Über den gesamten Lifecycle von Elektrogeräten hinweg – vom Produktdesign über die Herstellung bis hin zum Endverbraucher – müssen Maßnahmen ergriffen bzw. optimiert werden, um die Recyclingfähigkeit zu erhöhen und die verwendeten Ressourcen nachhaltiger zu nutzen. 

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Repair-Café
In Repair-Cafés helfen sich Menschen gegenseiteig kaputte Geräte und Elektronik wieder zum Leben zu erwecken.
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Reparierbarkeit

Neben einer höheren Recycling-Quote ist die Reparierbarkeit eine weitere wichtige Stellschraube hin zu einer nachhaltigeren Elektroindustrie. Elektronische Geräte – insbesondere Smartphones – nutzen clevere Design- und Fertigungstechniken, um den Verbrauchertrends gerecht zu werden. Das Ergebnis sind kleinere, leichtere und schlankere Geräte. Wenn Ihr Handy jedoch zu Boden fällt, hält das Display das Ereignis für die Nachwelt fest. Handys lassen sich reparieren, jedoch betragen die Kosten dafür oft einen erheblichen Teil des Preises eines neuen Geräts. Smartphones sind zudem lediglich die Spitzes des Berges an schwer reparierbaren Elektrogeräten.

Um dem entgegenzuwirken, haben Repair-Cafés und ähnliche Initiativen an Beliebtheit gewonnen. Freiwillige treffen sich dort, um (elektronische) Geräte zu reparieren und sich gegenseitig dabei zu helfen. Mit einem neuen Kabel oder Stecker erhalten funktionsfähige Geräte ein neues Leben, die sonst im Müll landen würden.

Jedoch wäre alles viel einfacher, wenn die Unterhaltungselektronik von Anfang an auf Reparatur ausgerichtet wäre. Einen Weg in eine solche Zukunft zeigt beispielsweise Fairphone. Mit dem Anspruch, die Elektronikindustrie zu verändern, stellt das Unternehmen Smartphones her, die von ihren Besitzern reparierbar sind. Ersatzteile sind in ihrem Online-Shop erhältlich – ein Ersatz-Kameramodul oder ein Display für ihr neuestes Modell kostet dort beispielsweise ca. 80 Euro. Neben der Reparierbarkeit setzt sich das Unternehmen intensiv mit der Lieferkette auseinander, beschafft verantwortungsvoll abgebaute Materialien und setzt sich für fairere Arbeitsbedingungen ein.   

Auch im Makerspace ist der Wandel spürbar. So hat zum Beispiel OKdo im Jahr 2021 das Raspberry-Pi-Renew-Programm gestartet. Britische Besitzer des beliebten Einplatinencomputers (SBC) können ihn zurückgeben. Anschließend wird er vom Originalhersteller Sony bewertet und getestet. Boards, die reparierbar sind, verkauft das Unternehmen weiter, während der ursprüngliche Besitzer einen Gutschein für einen zukünftigen Kauf erhält. 

3D-Druck
Additive Fertigungsverfahren wie der 3D-Druck ermöglichen eine effizientere Nutzung von Rohstoffen.
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Subtraktive versus additive Fertigung

Die bisherigen Beispiele zeigen Maßnahmen am Ende des Lebeszyklus von Produkten. Es gibt aber ebenso Maßnahmen, die bereits im Herstellungsprozess ansetzen. Additive Fertigungstechniken bieten Potenzial für die nachhaltige Nutzung von Rohstoffen. Mit 3D-Druckern und Open-Source-Designsoftware lassen sich zum Beispiel Kunststoffersatzteile entwerfen, um kaputte Gegenstände zu reparieren. Der Ansatz eignet sich jedoch nicht nur für Verbraucher, die Reparaturen durchführen, sondern kommt zunehmend in der Massenproduktion zum Einsatz.

Das Herstellen von Leiterplatten (PCB) war lange Zeit ein subtraktiver Prozess, bei dem kupferbeschichtetes Material verwendet und das Metall dort entfernt wurde, wo es nicht benötigt wurde. Das ist verschwenderisch und erfordert korrosive Chemikalien und erhebliche Mengen an Wasser.   

Unternehmen wie IO Tech entwickeln Alternativen zur subtraktiven Fertigung, bei denen gerade so viel Material verwendet wird, wie für die jeweilige Aufgabe erforderlich ist. Ihre Technologie »Continuous Laser Assisted Deposition« trägt leitfähige Materialien dort auf Folien und Substrate auf, wo sie benötigt werden, und druckt Lötmasken und Pasten.

Energieeffizienz im Fokus vieler Unternehmen

Elektrische Geräte verbessern zwar die Arbeitsbedingungen und die betriebliche Effizienz, benötigen aber Energie für ihren Betrieb. In den 1980er-Jahren waren Computer eine Seltenheit, selbst in Büros. In den 2000er-Jahren verfügten die meisten Büroangestellten über einen PC und einen Monitor sowie über einen Drucker. Um zu gewährleisten, dass der Energieverbrauch und nicht nur die Leistung im Fokus der Hersteller steht, führten Regierungen und Institutionen auf der ganzen Welt Energieeffizienzprogramme ein.

Initiativen wie das US-amerikanische Energy-Star-Programm erstrecken sich nicht nur auf Computer und Drucker, sondern auch auf Server, Haushaltsgeräte und Beleuchtung. Seit seiner Einführung im Jahr 1992 wurden durch das Programm schätzungsweise 5 Billionen Kilowattstunden Strom eingespart und die Treibhausgasemissionen um 4 Mrd. Tonnen reduziert. Die Energieetiketten in der EU (Richtlinie 92/75/EG) leiten die Verbraucher zu effizienten Geräten, was zu massiven Verbesserungen geführt hat. In einigen Kategorien musste die Klasse A auf A+++ erweitert werden, und bei einer Aktualisierung im Jahr 2017 wurden die Klassen überarbeitet, um den kontinuierlichen Fortschritten bei der Geräteeffizienz Rechnung zu tragen.  

Sichere Lieferung in minimaler Verpackung  

Elektronische Geräte sind nicht nur teuer, sondern auch zerbrechlich. Deshalb ist es wichtig, sie so zu verpacken, dass sie sicher in die Hände der Verbraucher gelangen. Doch im Laufe der Jahre ist die Menge des verwendeten Einwegplastiks zu groß geworden. Unternehmen wie Apple haben sich dieses Problems angenommen. Ein Bericht aus dem Jahr 2017 zeigt, wie recycelte Fasern zum Hauptverpackungsmaterial für das iPhone 7 wurden und Kunststoff in der Verpackung  verdrängten.

Industrieunternehmen wie die RS Group haben Verpackungen auf ihrem Radar und sehen sie als Teil ihrer Nachhaltigkeitsverpflichtung, bis 2030 netto null zu produzieren. Als Lieferant von Elektronikkomponenten, Werkzeugen und Testgeräten ist das Unternehmen auf dem Weg, zu gewährleisten, dass 100 Prozent seiner Verpackungen wiederverwendbar, recycelbar oder kompostierbar sind und zu 50 Prozent aus recyceltem Material bestehen.   

Ein Thema mit viel Potenzial

Die genannten Beispiele zeigen lediglich einen kleinen Ausschnitt aus der schier unüberblickbaren Welt der Elektronik und der eingebetteten Systeme. Doch schon an wenigen Beispielen wird klar: Die Elektronik- und Halbleiterindustrie ist beim Thema Nachhaltigkeit gleichzeitig Fluch und Segen.

Kinder, die an Diabetes leiden, sind zweifellos dankbar für die einfache Behandlung, die eine Insulinpumpe ermöglicht – ebenso wie ihre Eltern. Andererseits: Brauchen wir wirklich Hunderte von billigen Bluetooth-Kopfhörern? Es lassen sich unzählige solcher Beispiele finden.  

Wir sind eindeutig auf dem richtigen Weg, haben jedoch noch einen langen Weg vor uns. Die Gesetzgebung hilft. Initiativen zur Energieeffizienz führten zu präventiven Maßnahmen und Innovationen, die Geräte effizienter machten, als es die Etikettierung zuließ. All das zeigt, dass der Markt Bedarf an nachhaltigen Praktiken in der Branche hat, und ermutigt Unternehmer und Start-ups, an transformativen Technologien wie der additiven Fertigung zu arbeiten. In der Zwischenzeit liegt es in der Verantwortung von allen, vom einzelnen Verbraucher bis zum globalen Unternehmen, die Kaufentscheidungen zu überdenken, aktiv nach Möglichkeiten der Wiederverwendung und des Recyclings zu suchen und unsere Nutzung der natürlichen Ressourcen, auf die wir so angewiesen sind, zu verbessern.

Den Original-Artikel lesen Sie auf der Homepage der NürnbergMesse.


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