Einheitliche Standards wären auch bei der Umsetzung von Industrie 4.0 absolut wünschenswert: Ohne wirtschaftsraumübergreifende Kommunikations- und Sicherheits-Standards wird sich der Grundgedanken der Industrie 4.0 – eine weltweit vernetzte Supply Chain – in absehbarer Zeit nur in Form von Insellösungen verwirklichen lassen. Würden sich die USA und Europa hier auf ein einheitliches Vorgehen – sprich einheitliche Standards – einigen, wären andere mächtige Wirtschaftsnationen wie China in Zugzwang.
Allerdings liegt in den Harmonisierungsbestrebungen nach Ansicht von Bodo Huber, Technische Geschäftsleitung von Phytec, auch eine große, wenn nicht die größte Gefahr des TTIP: »Die Kunst
besteht darin, trotz abweichender technischer Standards gleichwertige Ergebnisse bzw. Schutzniveaus zu identifizieren und anzuerkennen.« Hinzu komme auch die unterschiedliche Risiko-Philosophie zwischen der EU und den USA, so Huber weiter. »Bei uns gilt das Vorsorgeprinzip, d.h. bei fehlender Gewissheit über Schäden wird vorbeugend gehandelt, um die Schäden von vornherein zu vermeiden. In den USA wird hingegen gerne nach dem Evidenz-basierten Prinzip agiert.« Das bedeutet, man geht zunächst davon aus, dass ein Produkt kein Risiko darstellt, wenn es sich in der allgemeinen Nutzung bewährt. Erst wenn es gesicherte Beweise für Schäden gibt, wird dem Produkt ein Risiko zugeschrieben. Huber und einige seiner Branchenkollegen befürchten daher, dass die hohen technischen Standards der EU bzw. Deutschlands durch minderwertige Standards aus den USA untergraben werden könnten. »Das Risiko erachte ich aber in der Embedded-Industrie als noch vergleichsweise gut überschaubar im Vergleich zu anderen Industrien oder Branchen.«
Äußerst kritisch sehen vor allem Umweltverbände und Verbraucherschützer die geplante Harmonisierung. Die EU Kommission versucht, solche Bedenken nach Kräften zu zerstreuen und betont, man verhandle Regularien und Standards nur unter strikten Auflagen: »Wir werden niemals unsere hohen Schutz-Level in punkto Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz aufgeben oder herabsetzen«, erklärt die Kommission.
Was genau allerdings verhandelt wird, ist auch nach der Veröffentlichung des Verhandlungsmandats durch die EU nicht bekannt. Das 18-seitige Dokument ist die EU-Grundlage für die Gespräche.
Kritiker verlangen deshalb auch, dass einzelnen Verhandlungsdokumente veröffentlicht werden: »Die Verhandlungen zeigen, dass wie so oft der Teufel im Detail steckt. Deshalb ist es wichtig, alle Aspekte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, was bisher allerdings eher scheibchenweise geschieht. Denn nur in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs kann eine Einigung gefunden werden, von der beide Seiten gleichermaßen profitieren«, so Ralph Engel, Geschäftsführer von eks Engel. Insgesamt 600 offizielle Berater der Großkonzerne haben laut Aussage der Verbraucherschutzorganisation Public Citizen’s Global Trade Watch priviligierten Zugang zu den Dokumenten und zu den Entscheidungsträgern. Der Mittelstand, in Deutschland das Rückgrat der Elektronikindustrie, hat aber wohl keinen Einfluss auf die Verhandlungen. So verwundert es auch kaum, dass sich viele Mittelständler hierzulande noch kaum mit dem TTIP befasst haben.