Nicht nur Halbleiter sind knapp

Expertenrunde erwartet Zunahme der Verfügbarkeitsprobleme

18. März 2021, 11:54 Uhr | Karin Zühlke
Diesen Artikel anhören

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Loyalität spielt eine Rolle

Doch nicht nur harte Fakten, auch Soft Skills sind nach den Worten von Marie-Pierre Ducharme, Director Supplier Marketing & Business Development EMEA von Mouser, essenziell, wenn es darum geht, die Lieferkette am Laufen zu halten: »Die Loyalität zwischen Kunden, Herstellern und Distributoren ist enorm wichtig.« So stelle man dieser Tage fest, dass dort, wo gute Beziehungen und Loyalität vorhanden seien, auch Möglichkeiten gefunden werden. So gehe die Ware dann nicht nur an große Direktkunden, sondern auch die Distribution wird mit einer Zuteilung bedacht. Wer hingegen keine etablierten Geschäftsbeziehungen hat, hat das Nachsehen. Da hilft auch nicht unbedingt ein großer Name eines Automobilherstellers. Hermann Reiter, Managing Director bei Digi-Key Electronics Germany, sieht das eher pragmatisch: »Die Komponentenhersteller müssen sich darüber im Klaren sein, dass das, was sie heute an den NPI-Distributor liefern, die Grundsteine für die Geschäfte 2022 und 2023 bilden.« Die Online- oder NPI-Distributoren gelten als Gradmesser im Hinblick auf neue Designs. So dürfte es im ureigenen Interesse der Komponentenhersteller liegen, die NPI-Distribution adäquat mit Ware zu versorgen.

Mehr Loyalität auf Kundenseite wünscht sich Sven Krumpel, CEO von Codico. »Wir denken langfristig, aber wenn von Kunden einen Tag nach dem Lockdown die Nachricht kommt, dass man höhere Gewalt geltend mache, dann muss man sich die Loyalitätsfrage stellen.«

Markt&Technik
© Markt&Technik

Ein weiterer Knackpunkt in der Lieferkette ist der Shareholder Value: Lager kostet Geld, bindet Kapital und minimiert den sogenannten Shareholder Value. Der Mittelstand, der nicht an Shareholder gebunden ist, hat es da offensichtlich einfacher, seinen Prinzipien treu zu bleiben: »Es war immer wichtig für uns, in Lager zu investieren, um für solche Fälle einen Puffer zu haben. Das ist uns wichtiger als ein fetter Gewinn. Wichtig für uns ist eine langfristige Denke, um langfristig den Kunden zu versorgen«, stellt Michael Denner klar, Geschäftsführer von Gudeco.
Ähnlich beschreibt das auch Hermann Reiter. Auch bei Digi-Key stehe kein Shareholder Value im Vordergund, sondern man sehe es als Schlüsselaufgabe, auf einer breiten Basis freies Lager anzubieten. Gleichzeitig habe man Spekulanten ausdrücklich von den Kaufmöglichkeiten ausgeschlossen. Aber Shareholder Value oder nicht: »Einkäufer werden dafür bezahlt, dass sie hart verhandeln«, unterstreicht Steinberger. Das ist Bestandteil der Supply Chain und gleichzeitig eines ihrer Probleme.

Während es zum Geschäftsmodell der Online-Distributoren gehört, frei verfügbares Lager zu haben, hat die klassische Distribution ihr Lager je nach Ausprägung zum Teil oder auch Großteil kundenspezifisch zugeteilt und fährt mit den Kunden entsprechende Logistikmodelle. Das Ship&Debit-Prinzip hat nach den Worten von Steinberger darüber hinaus nicht unbedingt dazu beigetragen, dass sich die Lagerbestände für freies Lager nach oben entwickeln. Freies Lager reklamieren in der Runde vor allem die beiden Online-Distributoren Digi-Key und Mouser für sich.
Dort, wo es klare Liefervereinbarungen und Pufferläger gibt, funktionieren die Lieferkette aber auch aus Sicht der klassischen Volumendistribution, unterstreicht Andreas Mangler. »Für unsere großen Kunden und Mengentreiber sind die Forecasts sehr eng abgestimmt. Hier aktualisieren wir kontinuierlich. Das ist ein sukzessiver Prozess.«

Nicht nur Halbleiter sind knapp

Je nach Komponenten sieht Mangler aber kaum Spielraum für den Aufbau von freien Beständen im Volumen. Und das trifft nicht nur die Halbleiter: »MLCCs und Elkos sind aktuell zu knapp, um wirklich freie Bestände aufzubauen.« Die Liste der knappen Komponenten lässt sich fast beliebig fortführen. Sven Krumpel bringt an der Stelle auch Steckverbinder in Zusammenhang mit steigenden Kupferpreisen ins Gespräch.

»Sicherlich haben die in den Medien diskutierten Produktionsstopps der Automobilindustrie wegen fehlender Halbleiter den einen oder anderen Einkäufer motiviert, auch den Bedarf etwa an passiven Bauelementen durch zusätzliche Bestellungen zu sichern. Dieses Verhalten ist zudem nicht auf den Automotive-Bereich beschränkt, sondern trifft auch auf die Beschaffung in anderen Branchen der Elektronindus­trie zu«, verdeutlicht auch Dietmar Jäger.

Allerdings warnt Michael Denner auch eindringlich davor, angesichts der Halbleiterknappheit Bestellungen bei Passiven auf „später“ zu verschieben. »Der Bedarf ist da. Ich kann also nicht empfehlen zu warten.«

Ist die Buchungssituation nun real oder doch einer gewissen Panik geschuldet? »Wir rechnen aktuell noch mit einer Verschärfung, aber auch mit einer Entspannung in Richtung Sommer. Es gibt immer mehr makroökonomische Effekte, die einen Ausschlag in der Supply Chain verursachen«, gibt Steinberger zu bedenken. Dem schließt sich auch Dietmar Jäger an: »Wir erwarten eine Normalisierung der Lage im dritten Kalenderquartal 2021. Unserer Einschätzung nach wurden die Läger bei Kunden in 2020 auf ein recht niedriges Niveau gebracht. Die relativ späten Nachbestellungen addieren sich jetzt zu einem hohen Volumen, welches Lieferzeiten steigen lässt, was somit noch mehr Bestellungen generiert. Aber das ist eine altbekannte Mechanik, da der Auftragseingang eine Funktion der Lieferzeiten ist und umgekehrt.«


  1. Expertenrunde erwartet Zunahme der Verfügbarkeitsprobleme
  2. Loyalität spielt eine Rolle

Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu Mouser Electronics

Weitere Artikel zu Digi-Key Corporation

Weitere Artikel zu Rutronik Elektronische Bauelemente GmbH

Weitere Artikel zu Rutronik24

Weitere Artikel zu Distribution