Dann gibt es noch die anderen Halbleiterbauelemente: diskrete Bauelemente, Leistungsbauelemente, Sensoren, analoge Bauelemente, Spezialspeicher, Opto-Bauelemente und weniger aufwändige Logik wie kleinere Mikrocontroller für Industrie und Automobil. Auch sie benötigen eine weniger komplexe, aber dennoch kosteneffiziente Produktion, bei der andere Parameter als die On-Chip-Geometrien eine Rolle spielen. Dies ist die andere Klasse.
Verstehen Sie mich nicht falsch, es handelt sich um äußerst wichtige Komponenten, die in Millionen von Anwendungen aller Größen und Bereiche eingesetzt werden. Und die Rentabilität der Investitionen ist angesichts der laufenden Konsolidierung der Hersteller dieser Komponenten wahrscheinlich äußerst hoch. Sehr oft sind sie nicht die Ursache für eine Verknappung oder ein Überangebot, sondern werden in den Strudel der Anforderungen der globalen Giganten in der Computer-, Verbraucher- und Kommunikationsbranche hineingezogen.
Die Krise in der Lieferkette 2020ff. ist ein sehr gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn die „Großen“ den Preis für die regelmäßige Versorgung mit allen von ihnen benötigten Komponenten zahlen – der Rest der Kunden schaut in die Röhre. Das wird das Beschaffungsprinzip der Zukunft sein: Verfügbarkeit vor Preis. Ohne Verfügbarkeit von Technologie kein oder nur unzureichendes Wachstum. Beschaffung und Management müssen also auf die Sicherung der Verfügbarkeit hinarbeiten, wenn sie sich nicht immer wieder als Kunden zweiter Klasse behandelt fühlen wollen.
Die eingangs erwähnte und oben ausführlich beschriebene technische und kommerzielle Kluft wird von einer geostrategischen Kluft begleitet: Die enorme Konzentration von Produktionskapazitäten (zumindest bei den führenden 5-nm-Technologien und darunter) in einigen wenigen Händen wird sowohl von der EU als auch von den USA mit Besorgnis betrachtet, allerdings jeweils aus einer anderen Perspektive heraus.
In den USA gibt es viele weltweit führende Halbleiterunternehmen mit einem enormen Reichtum an Chip-fähigem IP (geistiges Eigentum), das sie schützen wollen, indem sie die Halbleiterproduktion führender Foundries wie TSMC ins Land holen. Die Produktion der künftigen Super-Chips amerikanischer Unternehmen auf amerikanischem Boden ist sicherer als die Produktion 50Meilen vom chinesischen Festland entfernt. Außerdem sind viele große Kunden in den USA ansässig, die möglicherweise ein ähnliches Interesse haben.
Die EU hingegen hat – nichts. Die Spitzenprodukte der europäischen Halbleiterunternehmen, die eine Sub-5-nm-Fab rechtfertigen würden, füllen keine ganze Produktionslinie. Und die typischen europäischen Kunden verwenden keine Prozessoren, die für die Leistung in den Rechenzentren der Internetgiganten ausgelegt sind – zumindest nicht in einer Anzahl, die für einen reinen Auftragshersteller wie TSMC wirtschaftlich sinnvoll ist. Die deutsche Autoindustrie hat das im Jahr 2020 auf harte Weise gelernt.
Wie kann Europa in einem Spiel mitspielen, das im Jahr 2030 oder früher einen Markt von einer Billion US-Dollar (in Englisch: 1Trillion) umfassen wird, in dem der Besitz von geistigem Eigentum an Halbleitern über den Erfolg entscheidend ist? Da das Spiel um das geistige Eigentum nicht gewonnen werden kann, zumindest nicht kurzfristig (es würde ein 20- bis 30-jähriges Bildungsprogramm und ein günstiges Umfeld für Neugründungen erfordern), stellt sich die Frage, wie man dazu beitragen kann, die Versorgung der Industrie, wie sie heute und in den nächsten Jahren besteht, zu sichern. Kann das auf politischer Ebene gelöst werden? Höchst unwahrscheinlich! Es geht auch nicht wirklich um Produktionssubventionen, denn die würden alles viel teurer machen. Milliarden-Subventionen an ohnehin reiche Unternehmen bringen kaum Arbeitsplätze und produzieren höchstens Produkte für reiche Smartphone-Hersteller.
Vielleicht sollte sich Europa mal eingestehen, dass es nur in der zweiten Liga spielt (was keine Beleidigung der wenigen europäischen Hersteller sein sollte, die sehr wohl erfolgreich auf dem Weltmarkt unterwegs sind) und dass man, bevor man ein neues Stadion mit 100.000 Plätzen und lauter Business-Logen baut, erst mal eine Spielergeneration (sprich: IP-Produzenten) heranziehen sollte, die auch jemand anschauen will – sprich: deren Super-Chips überall auf der Welt ihren Einsatz finden. Bis dahin muss der Markt das Problem durch eine weniger opportunistische und besser vorhersehbare Planung und Verhaltensweise selber lösen. Die Politik sollte sich raushalten, und wenn das nicht geht, vielleicht mal ihr altes Versprechen einlösen: Rückführung von Bürokratie und Regulierungswut. Vielleicht animiert das ja die schlauen Köpfe, die Europa zweifelsohne hat, zur Gründung künftiger Chipgiganten, die in der Champions League der Halbleiterei mithalten können.