Ein aktives Obsoleszenzmanagement (OM) ist unumgänglich, um die Lebensdauer und Verfügbarkeit von elektronischen Komponenten und Systemen abzusichern. Egal, ob EMS oder OEM – OM bildet inzwischen den Schlüsselfaktor für langlebige Systeme.
Insbesondere für langlebige Industriegüter wird es zunehmend schwierig, die Diskrepanz zwischen Komponenten- und Applikationslebensdauer ohne geplante und strukturierte Maßnahmen managen zu können. Egal ob EMS oder OEM – Obsoleszenzmanagement bildet inzwischen den Schlüsselfaktor für langlebige Systeme.
Wer kennt es nicht, dass Produkte plötzlich nicht mehr funktionieren oder Ersatzteile nicht mehr verfügbar sind? Im Alltag begegnet uns Obsoleszenz immer wieder, wobei häufig auch eine Vermutung für eine geplante Obsoleszenz, also die Integration einer bewussten Sollbruchstelle, im Raum steht. Dieses Phänomen ist nicht neu, den wohl bekanntesten Fall von geplanter Obsoleszenz stellt das Phoebuskartell aus dem Jahr 1924 dar, wobei die führenden Hersteller von Glühlampen die Reduzierung der Leuchtdauer beschlossen. Der absichtliche Einbau von Sollbruchstellen in Konsumgütern ist umstritten, obwohl die künstliche Verkürzung der technischen Lebensdauer in Elektronikgeräten größtenteils nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann.
Im Konsumgüter-Bereich ist dieser Effekt oftmals schon mit hohen Kosten und Aufwänden verbunden, diese potenzieren sich aber im Industriesektor, wenn Komponenten plötzlich nicht mehr verfügbar sind. Durch Bandstillstände, Produkteinstellungen oder Rezertifizierungen und Requalifizierungen entstehen schnell Kosten im fünf- bis sechsstelligen Bereich, die für Hersteller und Kunden mit einem massiven finanziellen Ausfall und Reputationsverlusten verbunden sein können.
Als Lösung kommt dann häufig die »Feuerwehr-Strategie« zum Einsatz, indem schnellstmöglich Alternativen für das System ermittelt werden. Neben der Bindung von wertvollem Fachpersonal sind diese unerwarteten Kosten oftmals nur schwer in den Produktpreisen zu verrechnen, was die Hersteller vor Probleme stellt. Deshalb ist es auch so wichtig, das Risiko potenzieller Abkündigungen und Obsoleszenzen frühzeitig zu betrachten und entsprechende Maßnahmen zu definieren. Wie bei einer Versicherung investiert man durch Obsoleszenzmanagement geringe Kosten in die kontinuierliche Betrachtung der Produkte und Systeme, um so die gravierenden Kostenblöcke zu vermeiden.
Da gerade in der Entwicklungsphase der Großteil der Produktkosten fixiert wird, bildet diese auch den richtigen Ansatzpunkt für eine vollumfängliche und effiziente Integration des Obsoleszenzmanagements. Dabei kann nicht nur der unerwarteten mangelnden Verfügbarkeit vorgebeugt werden, sondern nebenbei auch ein Beitrag zur Reduzierung von E-Waste und der Schaffung von nachhaltigen Produkten Rechnung getragen werden. Einen weiteren positiven Nebeneffekt bildet die proaktive Vorbeugung vor Allokation, die auch als kurzzeitige Obsoleszenz bezeichnet werden kann. Unbewusst wirken die implementierten Obsoleszenzmanagement-Maßnahmen auch gegen diese Art der fehlenden Verfügbarkeit, sodass sich eine Investition in diesen dynamischen Zeiten doppelt lohnt.
Obsoleszenz ist unvermeidbar, und lediglich die Risiken der Auswirkungen können reduziert werden (DIN EN 62402:2019). Die Obsoleszenz beschränkt sich nicht auf elektronische und mechanische Komponenten; auch Software, Prozesse, Materialien, Standards und Human Skills können betroffen sein und so die Produzierbarkeit und Servicemöglichkeit erheblich einschränken.
Die kürzeren Produktlebenszyklen von Komponenten zählen zu den größten Herausforderungen im Produktentstehungsprozess, die eine Verschärfung des Spannungsfeldes zwischen Qualität, Kosten und Zeit hervorruft. In Verbindung mit der erwarteten Steigerung der Produktvernetzung und -komplexität neuer Produkte lässt sich daraus schließen, dass Abkündigungen von einzelnen Elementen mit weitreichenden Folgen für Produkte und Gesamtsysteme verbunden sind. OM muss dementsprechend Eingang in die Entwicklung neuer Produkte, die Evolution bestehender Produkte sowie in die Instandhaltung des Gerätebestandes finden.
Da in der Entwicklungsphase von Elektronikprodukten ca. 70 bis 80 Prozent der Produktkosten festgelegt werden, ist es von signifikanter Bedeutung, bereits in dieser frühen Phase das Obsoleszenz Management zu berücksichtigen, um nachhaltig und kostenoptimal agieren zu können. Wie kann dies aber mit überschaubarem Aufwand in den Arbeitsalltag integriert werden und welche Produktentstehungsmodelle sind hierfür besonders geeignet?
Hierfür starten wir mit einer Betrachtung der Kernfaktoren, die im Rahmen des Obsoleszenzmanagements im Fokus stehen müssten. Einen besonders signifikanten Aspekt eines Produktentstehungsmodells hinsichtlich des OM stellen hierbei die Flexibilität und Anpassungsmöglichkeit auf sich verändernde Anforderungen dar. Aufgrund der Volatilität und Dynamik der Elektronikindustrie müssen neuartige Technologien sowie neue elektronische Komponenten adaptiert werden können, da trotz eines proaktiven OM-Ansatzes der Eintritt einer EOL-Meldung oder einer PCN nicht ausgeschlossen werden kann. Die erforderliche Flexibilität und Anpassungsfähigkeit belegt somit Rang 1 der Kriterien.
Ebenso zu beachten ist auch eine Ausrichtung anhand der technischen Aspekte, da das Produktdesign maßgeblich die spätere Funktionalität, Kundenzufriedenheit und Kosten begründet. Des Weiteren liegt das Ziel in der Erarbeitung eines Entwicklungsmodells. Dementsprechend ist die Technikorientierung auf Rang 2 zu setzen.
Gleichermaßen stellt die Kommunikation einen wesentlichen Aspekt des OM dar, da dieses nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern ein interdisziplinäres Thema mit Einbindung einer Vielzahl von Fachbereichen reflektiert. Entsprechend muss auch das Modell für alle Fachbereiche verständlich sein und sich nicht nur auf den Entwicklungsbereich konzentrieren. Damit folgt die Kommunikation und Interdisziplinarität auf Rang 3.
Des Weiteren konnte im Rahmen der Analyse der bestehenden OM-Ansätze festgestellt werden, dass eine enge Verflechtung mit Risikoanalysen und Forecast-Methoden existiert und diese Aspekte die zentralen Punkte innerhalb des OM bilden. Somit soll auch diese auf Rang 4 in das zu entwickelnde Modell Eingang finden, um bereits in der Entwicklungsphase den Komponenten-Forecast integrieren zu können.
Neben den bereits vier genannten Hauptfaktoren sind weitere Punkte Iterationen und Schnelligkeit, um Anpassungen und einer Reduzierung der Time to Market gerecht werden zu können. Ebenso sind eine Bewältigung der Komplexität im Zusammenspiel der Einzelkomponenten innerhalb von Applikationen und der ressourcenschonende Umgang zur Kostenreduzierung zu gewährleisten. Und auch eine einfache Implementierbarkeit und eine Managementorientierung sollte ein Produktentstehungsmodell im Sinne des Obsoleszenzmanagements aufweisen, um eine unternehmensweite Akzeptanz erreichen zu können.
Nun sollen die bekanntesten Produktentstehungsmodelle zu diesen Kernfaktoren in Bezug gesetzt werden. Hierfür werden sequenzielle Modelle wie das V-, Spiral- und Wasserfall-Modell betrachtet, ebenso wie die agilen Modelle Scrum, Feature-Driven Development (FDD) und die Dynamic-Systems-Development-Methode (DSDM). Während bei den sequenziellen Modellen eine schrittweise Bearbeitung der einzelnen Stufen mit Iterationen verfolgt wird, steht bei den anderen Modellen ein adaptiver und flexibler Absatz im Fokus.
Die traditionellen Modelle überzeugen durch ihre Einfachheit und Verständlichkeit. Allerdings sind die Schnelligkeit und Iterationen zur direkten Umsetzung von Anforderungsänderungen eher nachrangige Aspekte der traditionellen sequenziellen Modelle. Die Besonderheit von agilen Entwicklungsmethoden liegt in der Flexibilität bzgl. Veränderungen, insbesondere auch in späten Phasen. Hierbei stellt die permanente Kommunikation zwischen Kunden, Anwendern und den Entwicklern einen bedeutenden Faktor dar, durch die eine aktive Einbindung und Integration aller Beteiligten entsteht. Die Kundenbefriedigung innerhalb sehr kurzer Zeit stellt eines der Kernziele der agilen Modelle dar und spielt auch im OM als Erfüllung der Langzeitverfügbarkeit eine entscheidende Rolle.
Im Rahmen des FDD wird ein übergeordnetes Objektmodell entwickelt, das im weiteren Verlauf mittels »Design by Feature« und »Build by Feature« kontinuierlich mittels Iterationen verfeinert wird. Die DSDM bildet die komplexeste Methode, die einen qualitätszentrierten Ansatz verfolgt, der die Prinzipien des Prototyping und der High-Level-Tools und Techniken des Rapid Application-Developments anwendbar macht.
Bewertet man nun diese Modelle anhand der zehn definierten Kernfaktoren mit den Werten 1 (unwichtig) bis 4 (sehr wichtig) und gewichtet sie mit dem Faktor 1 bis 10, so kann ein deutlicher Unterschied der Passung der einzelnen Modelle festgestellt werden. Während mit dem Wasserfall-Modell (113 Punkte) und dem FDD (152 Punkte) der geringste Fit besteht, stechen zwei Modelle besonders hervor. Den höchsten Score erreicht das DSDM mit 193 Punkten, gefolgt vom Spiral-Modell mit 192 Punkten. Scrum und das V-Modell liegen mit jeweils 161 Punkten im Mittelfeld.
Damit das Produktentstehungsmodell auch wirklich an das Obsoleszenzmanagement angepasst wird, ist die Integration der entsprechenden Aktivitäten und Maßnahmen erforderlich.
Um weitere Komponentenspezifikationen definieren zu können, ist es erforderlich, die Lebensdauer sowie die Servicezeiten des Produktes bzw. des Gesamtsystems zu fixieren, um eine Ausrichtung des weiteren Produktentwicklungsprozesses erreichen zu können. Des Weiteren sind für die Aktivitäten des OM während des Entwicklungsprozesses Ressourcen erforderlich, die Budget sowie Personal gleichermaßen betreffen. Diese beiden Aspekte können als Grundelemente des weiteren Vorgehens definiert werden.
Im weiteren Verlauf folgen die Aktivitäten auf Produktebene, zu denen die Ermittlung der Lebensdauer der einzelnen Komponenten sowie die damit verbundene Risikobewertung zählen. Die Einstufung in der Risikomatrix ermöglicht die Ableitung von Maßnahmen, die im Eintrittsfall eine Lösung definieren. Insgesamt ist es im Rahmen des Entwicklungsprozesses erforderlich, die Komponenten bewusst auszuwählen und an den vorab definierten Produktanforderungen auszurichten.
Zusätzlich müssen aber auch Instrumente für den Fall der Abkündigung eingeplant werden, z. B. die Definition von Redesign-Zeitpunkten sowie die Möglichkeit des punktuellen Austausches und der Reparaturfähigkeit des Produktes bzw. des Gesamtsystems.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass alle Modelle eine Kongruenz zu den Obsoleszenzmanagement-Kriterien aufweisen, allerdings in sehr unterschiedlicher Ausprägung. Letztendlich lassen sich aber die Maßnahmen des Obsoleszenzmanagements im gewünschten Umfang in jedes Produktentstehungsmodell integrieren. Wichtig ist nur, dass es auch wirklich umgesetzt wird.