Beschaffungstrends 2026

Cyber-Risiken, Zölle, KI-Agenten stellen Lieferkette auf den Kopf

16. Dezember 2025, 16:46 Uhr | Karin Zühlke
© Nicole Hartmann

Cyber Security wird Pflicht, KI übernimmt operative Aufgaben, Zölle zwingen Unternehmen zu neuen Lieferwegen und Jobprofile für Einkäufer ändern sich. Simon Eger, Director Central Europe bei Ivalua gibt einen Einblick in die Beschaffungstrends 2026.

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1.    Bei Cyber Security herrscht starker Nachholbedarf 

Cyber-Sicherheit wird bis 2026 zu einem unverzichtbaren Faktor bei der Auswahl von Lieferanten – besonders in sensiblen und stark regulierten Bereichen wie Energieversorgung und Verteidigung (KRITIS). Unternehmen werden externe Datenquellen und automatisierte Prüfverfahren nutzen, um die Einhaltung von Sicherheitsstandards, Krisenplänen und Risikoindikatoren zu überwachen. Dies reduziert den manuellen Aufwand und erhöht die Transparenz über bestehende Cyber-Risiken in der Lieferkette. Zudem müssen Unternehmen die Widerstandsfähigkeit über die gesamte Supply Chain  deutlich erhöhen. Eine gute Benutzeroberfläche und ein automatisierter Prozess allein reichen dazu jedoch nicht aus. Es kommt auf zuverlässige Daten von Lieferanten sowie deren effiziente und nutzbringende Auswertung an. Einkaufsorganisationen, die frühzeitig in zentrale Einkaufsplattformen investiert haben, werden hier langfristig klar im Vorteil sein.

 

2.     Anhaltende Zölle werden Handelskorridore verändern

Angesichts anhaltender Zollstreitigkeiten zwischen Nationen und geopolitischer Unsicherheiten werden Führungskräfte ihre Strategien im Jahr 2026 weiter anpassen. Einkaufsentscheider werden ihr Lieferkettenmanagement optimieren, um Kosten und Risiken möglichst niedrig zu halten. Dies bedeutet in vielen Fällen eine Diversifizierung der Lieferwege, ein Aufbau neuer Lieferpfade und die Verlagerung der Endmontage.
 
Mit der passenden Technologie werden Unternehmen in der Lage sein, kostengünstige Handelswege zu identifizieren und zu erschließen. Dies reduziert die Auswirkung von Zöllen und anderen Störungen, steigert die Wettbewerbsfähigkeit und hilft, Risiken zu reduzieren. Um fundierte Entscheidungen treffen zu können, benötigen Einkaufsverantwortliche jedoch detaillierte Informationen über ihre gesamten Lieferantennetzwerke – und zwar möglichst in Echtzeit.
 
Künstliche Intelligenz wird entscheidend dazu beitragen, die weiter zunehmend komplexe internationale Lage zu durchschauen, verstreute Daten zusammenzuführen, Risiken aufzuzeigen, alternative Lieferanten zu identifizieren und Beschaffungsteams die Weitsicht zu geben, vor größeren Preiserhöhungen rechtzeitig zu handeln.
 

3.     KI-Unterstützung im Einkauf erreicht neues Level

Die Beschaffung hat in den letzten zwei Jahren Einsatzszenarien für die Nutzung von KI gesucht und entsprechende Technologien evaluiert. Im Jahr 2026 erwarten wir den produktiven Einsatz weit über klassische Chatbots hinaus. Sogenannte „Agent Builder“ ermöglichen die Erstellung eigener KI-Agenten, sodass auch Anwender ohne Programmierkenntnisse Automatisierungen für ihren Fachbereich konfigurieren können. Die Einstiegshürden für einen breiten KI-Einsatz werden damit  deutlich geringer.
 
Das Lieferantenmanagement wird eine neue Stufe der Automatisierung erreichen: Agenten auf Seiten des Einkaufs interagieren direkt mit Agenten auf der Lieferantenseite zur bilateralen Abwicklung standardisierter Aufgaben. Dies gilt insbesondere für die Bereiche Bestellung, Datenanreicherung und Dokumentenaustausch. Während KI-Agenten die operative Kommunikation übernehmen, haben die Beschaffer mehr Zeit und Raum für die strategischen Themen in der Lieferantenbeziehung.
 
Unternehmen werden zahlreiche manuelle Prozesse reduzieren und fundiertere Entscheidungen treffen, was den Einkauf insgesamt effizienter und effektiver macht. Diese technologischen Entwicklungen werden insbesondere in Branchen mit hohem Kostendruck entscheidend für die Schaffung von Wettbewerbsvorteilen sein – beispielsweise in der Automobilindustrie.


4.     Einkauf und IT rücken stärker zusammen 

Da KI perspektivisch in alle Unternehmensbereiche integriert wird, werden IT-Führungskräfte ihre Beteiligung an Entscheidungen über Beschaffungslösungen verstärken. Dies ist notwendig, um die Effizienz zu steigern und als Architekten einer sicheren und skalierbaren KI zu fungieren. CIOs werden sich auf die Vereinheitlichung der Datenstrategie, Governance und Risiken in den Bereichen Finanzen, Beschaffung und Lieferketten konzentrieren, damit KI auf einer soliden Grundlage operieren kann. Unternehmen, die dabei schnell vorankommen wollen, werden Source-to-Pay-Plattformen mit einem zentralen Datenmodell wählen. Auf dieser Grundlage können sie KI nicht nur für einfache Chat-Anfragen, sondern auch für komplexe Arbeitsabläufe einsetzen.
 
Für Einkaufsentscheider wird die IT die Rolle eines Beraters einnehmen. Teams, die die IT von Anfang an einbeziehen, können sich auf die Entwicklung von Use Cases konzentrieren und Stakeholdern in den Bereichen Risiko und Compliance den Wert der KI-basierter Automatisierung beweisen.
 

5.     Lieferantenbeziehungen werden 2026 die wertvollste Währung für Unternehmen sein

Da der Zugang zu kritischen Materialien immer schwieriger wird und die Nachfrage nach Industriegütern steigt, werden Unternehmen mit oberflächlichen oder rein transaktionalen Lieferantennetzwerken ins Hintertreffen geraten. Die Bemühungen der EU, eine zentrale Mineralienreserve aufzubauen, zeigen, wie aggressiv Regionen derzeit um den Rohstoff-Zugang konkurrieren. Ebenso wird die Abmilderung der Auswirkungen sich ändernder Handelspolitiken und die Bereitstellung innovativerer, nachhaltigerer Produkte von einer effektiven Zusammenarbeit mit Lieferanten abhängen.
 
Lieferanten werden Kunden bevorzugen, die ihnen die Geschäftsabwicklung und den Informationsaustausch erleichtern. Das bedeutet weniger Reibungsverluste bei der Einarbeitung, bei Compliance-Prüfungen, Prognosen und sich schnell ändernden Handelsanforderungen. KI-Agenten werden Lieferanten durch die Prozesse führen, ihnen beim korrekten Hochladen von Dokumenten helfen, Fragen zu Richtlinien sofort beantworten und Probleme melden, bevor eine Bestellung ins Stocken gerät. Anstelle langer E-Mail-Ketten und Unsicherheiten darüber, was benötigt wird, werden Lieferanten einen klaren Weg vom ersten Kontakt bis zur ersten Bestellung erleben.

Die fortschrittlichsten Unternehmen werden diese Unterstützung über das Onboarding hinaus ausweiten und KI einsetzen, um die Auswirkungen neuer Zölle oder Vorschriften aufzudecken und gemeinsam mit den Lieferanten nach Möglichkeiten zu suchen, diese abzumildern. Die zwischenmenschlichen Beziehungen werden weiterhin im Mittelpunkt stehen, aber die Beschaffer werden durch digitale Kollegen unterstützt, die den Informationsfluss aufrechterhalten und administrative Störfaktoren beseitigen. In diesem Umfeld wird der Zugang zu einer Belohnung, die Lieferanten gerne anbieten.
 

6.     Einstiegsjobs im Beschaffungswesen verändern sich

Viele Beschaffungsfachleute erinnern sich noch sehr gut an die klassischen Einstiegsaufgaben, wie das Überprüfen von Lieferantenformularen oder das Erstellen von Berichten. Diese verschwinden für sie mit zunehmender Automatisierung derzeit sehr schnell. Das bedeutet jedoch nicht, dass Nachwuchstalente keine Chance auf einen beruflichen Einstieg haben – es verändert sich lediglich ihr beruflicher Einstiegspunkt: Anstelle von Dateneingabe und Standardaufgaben werden sich diese ersten Aufgaben auf Zusammenarbeit, kritisches Denken sowie die Kommunikation mit Menschen und KI-Systemen konzentrieren. Erfahrung und emotionale Intelligenz werden sich zwar weiterhin mit der Zeit entwickeln, doch werden Soft Skills wie Neugier, Urteilsvermögen und Anpassungsfähigkeit die neue Grundlage bilden. KI kann zwar Antworten liefern, aber weder den Kontext interpretieren noch Beziehungen navigieren. Hier werden Einsteiger ihre ersten Erfahrungen sammeln und das Urteilsvermögen und die Intuition entwickeln, die Daten allein nicht bieten können.

Die nächste Generation von Führungskräften im Beschaffungswesen wird heranwachsen, indem sie diese menschlichen Instinkte vom ersten Tag an mit digitaler Kompetenz verbindet.

 


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