Während noch im letzten Jahr viele Elektronik-produzierende Firmen mit dem bürokratischen Aufwand des Lieferkettengesetzes haderten, stehen die Distributoren voll dahinter, wie eine Umfrage von Markt&Technik ergab.
Die Ausgangssituation: Seit 1. Januar 2024 greift das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – kurz: Lieferkettengesetz – für Betriebe mit mindestens 1000 Beschäftigten in Deutschland. 2023, im Jahr seines Inkrafttretens, galt es für Unternehmen mit mindestens 3000 Beschäftigten. Das Gesetz präzisiert, wie Unternehmen ihre Sorgfaltspflicht konkret erfüllen müssen. Dies schließt die Analyse menschenrechtlicher Risiken, die Umsetzung von Präventions- und Abhilfemaßnahmen, die Einrichtung von Beschwerdemöglichkeiten und die transparente Berichterstattung über ihre Aktivitäten ein. Ebenso deckt das Gesetz den Umweltschutz ab, insbesondere wenn Umweltrisiken zu Menschenrechtsverletzungen führen können.
Auch die EU wollte in Kürze ein Lieferkettengesetz einführen, wonach bereits Firmen mit 500 Mitarbeitern und mindestens 150 Millionen Jahresumsatz in die Pflicht genommen werden sollten. Doch dessen Umsetzung könnte sich noch hinziehen, nicht zuletzt deshalb, weil sich Deutschland bei der finalen Abstimmung aus Koalitions-Raison enthalten muss, nachdem die FDP ihr Einverständnis versagt hat (Stand bei Redaktionsschluss, 8. Februar). So bleibt es zumindest vorerst ein singulär deutsches Gesetz, was wiederum Wettbewerbsnachteile für deutsche bzw. in Deutschland ansässige Firmen bedeuten könnte. So sehen es zumindest Kritiker. Andererseits sind Wirtschaftsverbände auch mit dem EU-Gesetzentwurf nicht einverstanden, weil er »Mittelständler komplett überfordern würde«. Das meint etwa Alexander von Preen, Präsident des Handelsverbands Deutschlands. Der final verhandelte Text ist aus Sicht des HDE mit Blick auf das Haftungsregime und den Anwendungsbereich untragbar und greift viel zu tief in bestehende nationale Rechtssysteme ein.
Die von Markt&Technik befragten Distributoren scheinen hingegen mit den Pflichten des deutschen Lieferkettengesetzes gut zurechtzukommen, auch wenn damit viel administrativer Aufwand verbunden ist. »Ähnlich wie bei der DSGVO kann man das Thema gut managen, sobald man einen praktikablen Weg gefunden hat. Wir machen das zum Beispiel durch mittlerweile verfügbare Software- bzw. Plattformunterstützung, Audits und Zertifizierungen«, schildert Thomas Gerhardt, Geschäftsführer von Glyn.
So wie Glyn gaben viele der befragten Distributoren an, dass man sich frühzeitig mit den Herausforderungen beschäftigt habe, selbst wenn man aufgrund der Größe (noch)gar nicht unmittelbar vom deutschen Lieferkettengesetz betroffen wäre. Schließlich steht »Compliance« in unterschiedlichen Ausprägungen schon lange auf der Agenda der Distributoren, auch getrieben durch den Distributionsverband FBDi. »Wir haben bereits ehrgeizige ethische Kriterien für unsere Lieferketten entwickelt, bevor diese Fragen Einzug in die Gesetzgebung hielten«, unterstreicht Ralf Hellwig, Managing Director DACH bei RS. Die RS Group hat sich Hellwig zufolge verpflichtet, die höchsten ethischen und rechtlichen Standards in der gesamten Gruppe und ihrer Supply-Chain zu erreichen.
»Wir sind uns der Verantwortung entlang der Lieferkette sehr wohl bewusst!«, lautet einhellig der Tenor der Branche. Und man schaut in der eigenen Supply-Chain auch ganz genau hinter die Kulissen, wie Ralf Bühler, CEO von Conrad, bestätigt: »Jeder unserer unmittelbaren Lieferanten hat sich durch die Unterzeichnung eines Codes of Conduct zur Achtung der wichtigsten internationalen Standards verpflichtet. Diese Verpflichtung schließt auch die Ausweitung der Praktiken auf deren Lieferanten ein. Wir führen regelmäßige Risikobewertungen unserer Lieferanten durch, schulen hinsichtlich erwarteter Verhaltensweisen und haben klar definierte Maßnahmenpakete für den Fall eventueller Non-Compliance. Zudem steht unser Meldesystem für Verstöße gegen das LkSG weltweit für unsere Mitarbeitenden, Geschäftspartner und Dritte zur Verfügung.«
Entschieden weist auch Jörg Strugold, President EMEA Components von Arrow, darauf hin, dass man erwarte, dass jedes Unternehmen in den Lieferketten von Arrow über geeignete Richtlinien und Prozesse zur Bekämpfung von Sklaverei und Menschenhandel verfügt, und man behalte sich vor, eine Due-Diligence-Prüfung durch Dritte durchzuführen, um dies zu bestätigen. »Zu unserer Verantwortung zählt auch, geeignete Maßnahmen gegenüber Herstellern und Dritten zu ergreifen, die unsere Standards nicht erfüllen. Entsprechende Dokumente zu den Anforderungen werden regelmäßig überprüft, um Änderungen der geltenden Gesetze und Entwicklungen zu berücksichtigen.«
Bereits im Jahr 2022 hat Arrow seinen globalen Due-Diligence-Prozess weiterentwickelt und will in diesem Jahr weiterhin mit der Drittanbieter-Due-Diligence-Plattform zusammenarbeiten, um entsprechende Prozesse in der Lieferkette zu vereinfachen, relevante Daten von den Herstellern zu sammeln, die Risikobewertung zu erleichtern und ein jährliches Reporting zu ermöglichen.
Auch der Broadliner Rutronik sieht sich bestens vorbereitet und hat nach Auskunft von Valesca Penke, Senior Director Legal and Compliance bei Rutronik, eine neue Nachhaltigkeitsplattform geschaffen und ein internes Expertenteam gegründet, das regelmäßige Risikoanalysen durchführt und einen effizienten und transparenten Datenaustauschprozess in Bezug auf die Lieferkette ermöglicht. »Zudem beziehen wir als Franchise-Distributor unsere Komponenten direkt von den Herstellern der Produkte und nicht über Drittanbieter. Dies alles trägt zur Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei, sodass wir sowohl für Hersteller als auch Kunden ein starker und verantwortungsbewusster Partner auch in Bezug auf das EU-Lieferkettengesetz sind.«
Stichwort Drittanbieter: Freien Distributoren, unabhängigen Elektronik-Händlern und eCommerce-Plattformen dürfte es weitaus schwerer fallen, die Anforderungen des deutschen Lieferkettengesetzes zu erfüllen. Allerdings werden die meisten aufgrund ihrer Firmengröße bzw. Mitarbeiterzahl in Deutschland durchs Raster fallen. Und weil das EU-Lieferkettengesetz zumindest nicht so schnell wie geplant in Kraft treten kann, wird das auch noch eine Weile so bleiben. Doch selbst die von der EU geplante Mitarbeiterzahl von 500 ist für viele Händler und Broker im Elektronikumfeld keine veritable Hürde. Anders sieht es zum Beispiel beim Plattform-Riesen Amazon aus. Amazon müsste sich allein von der Anzahl der Mitarbeiter in Deutschland an das Lieferkettengesetz halten. Und erste Beschwerden sind laut Amazon-Watchblog bereits anhängig.