Elektronik automotive: Wie sieht die Roadmap aus?
Simon Fürst: Es ist unser klarer Plan, dass im ersten Quartal 2017 das erste Release dieser Adaptive-Plattform erscheint. Aber ein Software-Projekt führt nur dann in kurzer Zeit zu einem reifen Standard, wenn man parallel solch eine Spezifikation auch implementiert, um sie zu validieren. Das werden wir in AUTOSAR ab sofort viel aktiver verfolgen. Alles, was wir als Spezifikation liefern, soll vorab einmal intern umgesetzt und in Software implementiert und integriert werden, damit sicher ist, dass dieser Standard real funktioniert. Zudem spart der Ansatz, auf bereits vorhandene Lösungen zu setzen, unglaublich viel eigene Implementierungsleistung. Damit werden wir in der Lage sein, ein Release mit einer ganz anderen Reife auf den Markt zu bringen, als das bei Classis AUTOSAR der Fall war. Im Kern ist die Botschaft: AUTOSAR wird ein echtes Software-Projekt und ist nicht mehr nur ein reines Spezifizierungsprojekt. Damit lässt sich im geschickten Wechselspiel von Spezifizierung und Implementierung das System unglaublich beschleunigen – Qualität und Geschwindigkeit steigern sich. Aber damit ist klar, wir reden über einen grundsätzlichen Wandel der AUTOSAR-Partnerschaft.
Elektronik automotive: Was heißt das genau?
Simon Fürst: Das heißt, wir entwickeln mehrere Produkte, was wir Stand heute nicht gemacht haben. Unsere internen Prozesse müssen wir ganz neu aufstellen und innerhalb der Partnerschaft müssen wir ein Validierungsprojekt hochziehen. Wir werden nicht nur über Spezifikationen reden, sondern es wird auch Leute geben, die diese Spezifikationen implementieren und zeigen: Ja, so kann es funktionieren.
Was wir uns bei unserem Entschluss, diesen Weg zu gehen, auch gefragt haben: Ist nicht eine andere Organisation besser geeignet, so einen neuen Standard zu entwickeln? Wir kamen aber ganz klar zu dem Schluss, dass im Prinzip die ganze Community aus der Automobilbranche mittlerweile Mitglied in der AUTOSAR-Partnerschaft ist. Das heißt, wir haben genau die richtigen Player alle an Bord. Und das war für uns eine der Hauptmotivationen, dass die Leute, die sich in der Partnerschaft engagieren, die ganzen Veränderungen initiieren und vorantreiben werden. Aber Fakt ist auch: Wir müssen eingeschliffene Arbeitsweisen überdenken und erweitern.
Elektronik automotive: Im Oktober 2016 soll das neue AUTOSAR-Release 4.3 veröffentlicht werden. Können Sie einen kurzen Einblick in die Inhalte geben?
Simon Fürst: Die 4.3 ist das erste Release, das in dieser 4.x-Schiene dem Prinzip folgt, keine extremen Hübe mehr zu machen. Bei allem, was wir an neuen Konzepten in AUTOSAR haben, ist immer der erste Entscheidungsweg: Kommt dieses Feature in die Classic- oder die Adaptive-Plattform? Wir haben das ganz klare Ziel, die Classic-Plattform zu stabilisieren, sodass man sich langfristig darauf verlassen kann. So bleiben einerseits die Hübe bei den Umsetzern und bei den Tool-Herstellern überschaubar und andererseits kommen fundamentale neue Features in die Adaptive-Plattform. Vieles, was die 4.3 enthalten wird, ist letztendlich eine Komplementierung der bereits vorhandenen Funktionalitäten. Beispielsweise, wer mit AUTOSAR 4x bereits Serienerfahrung sammeln konnte und feststellt, dass in dem einen oder anderen Feature noch eine Kleinigkeit fehlt, der hat mit der 4.3 das für ihn richtige Release. Das ist es im Endeffekt, was uns zur 4.3 angetrieben hat, dass vorhandene Funktionen komplettiert und das Release an die realen Anforderungen aus Serienprojekten so vervollständigt wurde, dass der Anwender nicht mehr noch zusätzlich proprietäre Anbauten machen muss. Ganz klassisch gesagt ist die 4.3 ein Reife- und Vervollständigungs-Release von Kernfunktionen. Natürlich ist sie auch ein Minor Release, in der Rückschlüsse und Erfahrungen aus der realen Serienentwicklung mit einfließen. Aber so ein großer Hub wie bei dem Release 4.2, wo es erstmals eine vollständige Ethernet-Unterstützung gab – so große Dinge werden definitiv nicht kommen.
Elektronik automotive: Sie sind seit Juli 2015 offizieller AUTOSAR-Sprecher. Welche persönlichen Ziele haben Sie sich für diese Funktion gestellt?
Simon Fürst: Mein großes persönliches Ziel ist es, die gesamte Entwicklung dieser adaptiven Plattform in der Partnerschaft sauber aufzusetzen. Ich möchte sehen, dass der Wandel von dieser Ein-Produkt- zu einer Multiprodukt-Organisation erfolgreich in die internen Prozesse implementiert und umgesetzt wird und natürlich funktioniert. So dass wir ganz klar sehen, die Entwicklung hin zu der adaptive Plattform – die dann hoffentlich mein Nachfolger als AUTOSAR-Sprecher 2017 verkünden darf – läuft, die Arbeitsgruppe ist aufgesetzt, die Themen sind richtig verteilt und dass man sich darauf verlassen kann, dass die Ziele auch erreicht werden. Ich möchte sehen, dass die Initiierung dieses Arbeitsmodells und des neuen Produkts wirklich etabliert ist und die notwendigen technologischen Grundentscheidungen alle getroffen sind.
Elektronik automotive: Sie engagieren sich als Leiter der Software-Entwicklung und Software-Infrastruktur bei BMW in der AUTOSAR-Partnerschaft. Wie sieht die AUTOSAR-Strategie bei BMW aus?
Simon Fürst: Der BMW 7er ist das erste Fahrzeug, das vollumfänglich AUTOSAR 4 enthält. Damit haben wir unser erstes massives Serien-Rollout mit AUTOSAR 4 gemacht; alle für dieses Fahrzeug neu entwickelten Steuergeräte basieren auf AUTOSAR 4. Das war technisch ein riesiger Hub. Unser internes AUTOSAR-Rollout ist somit erst einmal abgeschlossen. Wir machen in wohlüberlegten Schritten bei neuen Fahrzeugmodellen Hübe auf AUTOSAR-Releases, aber immer funktionsabhängig. Beispielsweise sagen wir zu unseren Lieferanten, dass wir nach 4.0 jetzt Templates nach 4.2 benötigen. Das heißt, wir brauchen als Basis ein AUTOSAR 4 plus diverse ausgewählte Features – aus verschiedenen technischen Gründen – damit es ein definitiv kontrollierter Prozess ist. Und so verabreden wir das intern bei allen Serienprojekten.
Elektronik automotive: Wird die adaptive Plattform von Beginn ein Thema sein?
Simon Fürst: Wir sehen uns auch als früher Anwender der AUTOSAR-Adaptive-Plattform. Bereits jetzt klare Serientermine zu verabreden ist zwar noch etwas früh, aber wir sehen die Anwendungsfälle und die Komponenten im Fahrzeug, die kommen werden. Diese sind jetzt in Planung. Hier planen wir auch intern schon und zwar synchron zu den Aktivitäten in AUTOSAR. Es wird erst einmal eine Durchdringung auf wenige Komponenten sein, das ist ganz klar, weil der Wandel gerade erst in den Bordnetzen stattfindet; sukzessive wird der sich natürlich ausbreiten. Alles, was wir in AUTOSAR tun, ist dadurch geprägt, was wir intern demnächst in Serienprojekten benötigen werden.
Wir sind zeitlich synchron – wann AUTOSAR ein Release vorstellt und wann wir in Serie gehen, das passt ganz gut zusammen. Wir sehen insgesamt den Druck vom Markt – nicht nur von BMW-Seite. Der Markt wartet auf so eine Lösung wie Adaptive AUTOSAR – und ich kann das aus BMW-Sicht nur bestätigen. Das Gespräch führte Stefanie Eckardt.
Der Autor
Simon Fürst |
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studierte Luft- und Raumfahrt an der Technischen Universität München. Er ist seit 2004 bei der BMW Group beschäftigt. Seit 2013 hat er beim Münchner Automobilhersteller die Position des General Manager Software Architecture and Platform Software inne. Fürst ist seit 2005 aktiv im Bereich AUTOSAR, seit 2008 vertritt er BMW im AUTOSAR Steering Committee. Von 2005 bis 2010 war er darüber hinaus beim VDA als internationaler Projektleiter für ISO 26262 tätig. Im Juli 2015 übernahm Simon Fürst die Rolle des Sprechers der AUTOSAR-Partnerschaft. |