Aktuelle Schlüsselthemen bei der Optimierung der Formel-E-Rennboliden sind Umrichter, Wärmemanagement und Simulation. GKN Automotive wirkt daran aktiv mit und setzt seine Zusammenarbeit mit Jaguar TCS Racing in der neunten Rennsaison fort.
Die Formel E ist im Januar in Mexiko City in ihre neunte Rennsaison gestartet. Mit der neuen, dritten Fahrzeuggeneration – Gen 3 genannt – schreitet die Evolution der Antriebstechnologien weiter voran. Erstmalig steht den Rennboliden eine maximale abrufbare Leistung von sagenhaften 350 kW (470 PS) zur Verfügung, was einer Steigerung von 100 kW im Vergleich zur letzten Saison gleichkommt. Nicht viel für ein Elektrofahrzeug mögen manche denken, ein Tesla S Plaid der neuen Generation bringt 1020 PS auf die Straße. Zieht man jedoch das Leistungsgewicht der Gen-3-Fahrzeuge in die Berechnung mit ein, ergibt sich ein beeindruckendes Bild: Mit 1,8 kg pro PS ziehen die neuen Formel E Rennfahrzeuge eindeutig am Tesla (2,1 kg/PS) vorbei.
Doch nicht nur die Steigerung der Motorleistung zeichnet die neuen Fahrzeuge aus. Zur neunten Saison sorgt ein zweiter Elektromotor an der Vorderachse für eine kombinierte Rekuperationsleistung von maximal 600 kW während des Rennens. Weiterhin gibt es nur Hinterradantrieb, jedoch konnte nochmals Gewicht durch das Weglassen des hinteren hydraulischen Bremssystems eingespart werden. Durch die erhöhte Energierückgewinnung ist es nun möglich, bis zu 40 % der gesamten im Rennen benötigen Energie nur durch Rekuperation zu gewinnen.
Der bisher bekannte Fan-Boost wurde ohne Ersatz gestrichen, die Teams müssen vor dem Rennen entscheiden, wie sie ihren Energie-Boost einsetzen möchten. Beim Energie-Boost steht für vier Minuten die maximale Leistung von 350kW zur Verfügung. Sie muss sparsam und wohl durchdacht eingesetzt werden, die Strategie dazu hat schon viele Rennen entscheidend beeinflusst. Für die zweite Hälfte der Saison ist geplant, einen Boxenstopp einzuführen. Dabei bietet sich den Teams die Möglichkeit, die Batterien mit frischer Energie zu versorgen. Neue mobile Supercharger-Einheiten speisen mit 600 kW zusätzliche Leistung in die Batterien, damit können bis zu 4 kWh in 30 Sekunden nachgetankt werden. Das ist rund doppelt so viel Leistung, wie sie momentan an den kraftvollsten Superchargern zur Verfügung steht.
All das bedeutet Schwerstarbeit für die Leistungselektronik in einem Formel-E-Fahrzeug. Ist das Kühlmanagement richtig konfiguriert und kann die Leistungselektronik auf die hohe Rekuperationsleistung korrekt reagieren? Wie sieht die Wärmeentwicklung im Inverter während des Rennverlaufs aus? Schon in einem Serien-BEV (Battery Electic Vehicle) gehört ein gutes Thermomanagement zu den anspruchsvollsten Aufgaben. Gleichzeitig ist die Software zur Regelung der Leistungselektronik von größter Bedeutung. Sie ist verantwortlich für die effiziente Wandlung des Gleichstroms der Batterie zum Hochleistungs-Elektromotor, der mit Wechselstrom arbeitet. Alle Komponenten im System müssen optimal gekühlt werden.
Bereits wenige Sekunden Überlast können die empfindlichen Leistungshalbleiter schädigen. Im Renngeschehen kommt eine solche Überlastung einem Totalausfall gleich; das Fahrzeug besitzt keine funktionierende Leistungselektronik mehr und damit keinen Antrieb. Da die Toleranzgrenzen so niedrig sind, übernehmen komplexe Simulationsmodelle während der Entwicklungsphase eine zentrale Aufgabe. Sie müssen im Vorfeld das optimale Thermomanagement der einzelnen Komponenten realistisch berechnen und eventuelle Worst-Case-Szenarien vorhersehen können.
»Auch für unsere Serienapplikationen wissen wir bereits im Vorfeld, wie unsere Komponenten auf extreme Belastungen regieren werden. Unsere Simulationsmodelle und auch unsere virtuellen Teststände sind daraufhin optimiert«, erklärt Christoph Gillen, Director Systems Engineering bei GKN Automotive im Bereich ePowertrain.
Gerade bei neuen Antriebskonzepten wie bei der Elektromobilität können auf den ersten Blick winzige Stellschrauben eine enorme Wirkung entfalten. Effizienz und Zuverlässigkeit spielen sowohl während eines Formel-E-Rennens als auch im reinen Elektroauto-Alltagsbetrieb eine tragende Rolle. Ein maßgeschneidertes Gesamtkonzept aus Batteriekapazität, Inverter und Leistungselektronik abgestimmt auf die gesamte Fahrzeugarchitektur macht hier den Unterschied.
Gillen betont: »Effektives Thermomanagement erlaubt uns, die Effizienz im Systemverbund zu erhöhen und erhöht gemeinsam mit realisierbaren Gewichtseinsparungen größere Reichweiten. Hierbei haben wir beispielsweise die Leistungshalbleiter im Blick. Im Segment Endkunden-BEV, also Straßenfahrzeuge mit E-Antrieb, reichen diese in der Regel von 150 bis maximal 175 °C. Deshalb ist es so wichtig, bereits im Vorfeld das Gesamtsystem thermisch zu betrachten. Wichtige Fragen sind hier: Wie verhalten sich die einzelnen Komponenten im thermischen Zusammenspiel zueinander und auch untereinander? Welches Kühlkörperdesign wenden wir an? Welches Kühlmedium ist vorteilhaft?«
Das Thema Thermomanagement ist hochkomplex und gehört damit zu den wichtigsten Herausforderungen in der neuen Formel-E-Saison. Durch die nochmals gesteigerte Motorleistung und die Rekuperationsleistung werden die Grenzen des Machbaren stetig weiter verschoben.
Die Batteriezellenkühlung jedoch liegt nicht im Einflussbereich der Formel-E-Ingenieure, da diese vom Reglement fest vorgeschrieben und somit für alle Rennteams einheitlich ist. Hier kann nur die Rennstrategie oder der Gasfuß des Fahrers entscheiden, denn liegt die Temperatur der Zellen oberhalb des optimalen Fensters, verlangsamt sich die Stromaufnahme beim Rekuperieren. Gleichzeitig erhitzen sich die Zellen schneller und die Leistungsabgabe wird automatisch gedrosselt. Das kann vor allem gegen Ende des Rennens zu überraschenden Wendungen führen und die Batterien »bei Laune« zu halten ist an heißen Renntagen oft wichtiger als ihr Ladezustand. Ein cleveres Haushalten mit der zur Verfügung stehenden Batterieleistung sowie die richtige Rennstrategie zwischen Gas geben und Energierückgewinnung ist der Weg zum Formel E Podium.
Auch die Kopplung der einzelnen Komponenten untereinander und ihre individuelle Wärmeleit- und Ableitungsfähigkeit sind von großer Bedeutung. Ebenso wichtig sind Leitungsdurchmesser, Ströme und Leistungswerte. Doch nicht nur die Hardware trägt zum Erfolg in der Formel E bei. Mindestens genauso wichtig ist eine intelligente Softwaresteuerung, die den Energiefluss zwischen Beschleunigungs- und Rekuperationsphase optimal steuert. Sie ist es schlussendlich auch, die über den Charakter eines Antriebs entscheidet.
Bei der BEV-Serienfertigung hat das Verkleinern des Antriebsstrangs unmittelbare Folgen auf das Gesamtkonzept. Können beispielsweise die Permanentmagnete optimiert und verkleinert werden, sind weniger seltene Erden zur Produktion notwendig.
»Mittlerweile besitzen wir für nahezu jeden Fahrzeugtyp das richtige Paket. Da wir auch im Bereich Antriebswellen tätig sind, ergänzt sich unser Portfolio hier optimal und wir versuchen, so viel Formel-E-Know-how wie möglich in die Serienproduktion miteinfließen zu lassen. Für die Zukunft sehen wir eine klare Diversifizierung vor allem im Bereich der Premiumfahrzeuge. Die Fahrdynamik und das Handling eines BEVs werden wieder in den Mittelpunkt rücken. Die 800-V-Plattformen werden sich breit etablieren und das Gesamtkonzept Elektroauto wird für den Fahrer an Komfort gewinnen, da alle Komponenten immer verlässlicher und ausgereifter sind«, schildert Gillen.
Elektrische Antriebe von GKN Automotive sind in über zwei Millionen E-Fahrzeugen weltweit verbaut. Mittlerweile zählen rund 90 % aller weltweit agierenden Fahrzeughersteller zum Kundenkreis des britischen Zulieferers. Sonderprojekte wie die Entwicklung eines 1.800 Nm/1.180 PS starken elektrischen Antriebssystems für das Ariel Hipercar demonstrieren die Expertise der GKN-Ingenieure.