Fahrerassistenzsysteme

Fußgänger beim Rückwärtsfahren besser schützen

13. Februar 2017, 10:39 Uhr | Von Axel Nix
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Funktionsweise des Reverse-Pedestrian-Detection-Systems

Wie funktioniert dieses zweite Paar Augen? Das Reverse Pedestrian Detection System kombiniert Daten, basierend auf bereits bestehenden, in Autos integrierbaren Harman-Technologien mit einer Rückfahrkamera und einem Sensor. Die sogenannte Computer Vision – Bilderfassung mit gleichzeitiger, automatisierter Bildanalyse – hilft dem Fahrer besser zu sehen.

Die Computer Vision hilft dem Fahrer besser zu sehen
Bild 2. Die Computer Vision hilft dem Fahrer besser zu sehen, indem sie einzelne Personen mit grünen Rechtecken markiert.
© Harman

Der Fahrer wird durch auffällige grüne Rechtecke, die um die einzelnen Personen projiziert werden, auf die potenzielle Gefahr aufmerksam gemacht (Bild 2). Die Rechtecke bewegen sich mit den Personen mit und geben dem Fahrer so ein zuverlässiges und auffälliges Signal. Das klingt erstmal einfach, dahinter steckt jedoch eine komplexe Technologie. Denn dem Computer muss die Fähigkeit des Sehens zunächst beigebracht werden.

Wie Computer das Sehen erlernten

Dazu gibt es unterschiedliche Ansätze: Der traditionelle Ansatz arbeitet mit einem Algorithmus und sucht nach Kanten, um Objekte von der Umgebung abzugrenzen. Dabei ist die Unterscheidung zwischen Personen und anderen Gegenständen jedoch oft fehlerhaft. Ein neuerer Ansatz begibt sich auf das Feld des „Deep Learning“, das Maschinenlernen. Dieser stammt aus der Forschung zum Thema künstliche Intelligenz. Dazu kombinieren Forscher ein Verfahren, das es bereits seit Längerem gibt, mit den noch nicht so lange verfügbaren gewaltigen Datenmengen. Künstliche neuronale Netze ahmen dabei die Arbeitsweise des Gehirns nach. Denn indem die Stärke der simulierten Neuronenverbindungen angepasst wird, lernt ein Computer. Für diese Computer-Lehrstunden sind allerdings sehr viele Daten nötig. Der Harman-Computer erhielt Input aus wissenschaftlichen Datenbanken, die viele Fotos von Personen enthalten. Groß, klein, schmal oder kräftig – nachdem der Computer diese Fotos verarbeitet hat, ist er nun fähig, Menschen verschiedener Statur zuverlässig zu erkennen. Das Lernen erfolgt dabei in verschiedenen Ebenen: eine untere Ebene erkennt, dass Objekte zu Kanten verbunden sind, die nächste Ebene unterscheidet Linien. Die Differenzierung wird immer feiner, bis die letzte Ebene schließlich Augen oder andere menschliche Merkmale erkennt. Der Computer bringt sich dabei selbst die relevanten Kriterien bei. In diesem Fall sind es menschliche Körper – in anderen Fällen vielleicht auch Katzen: Forscher des Google X Lab extrahierten vor einigen Jahren Millionen Standbilder aus YouTube und speisten sie in das „Goo¬gle Brain“ ein, einem Netzwerk aus 1000 Computern. Dieser kam nach drei Tagen zu dem Schluss, dass es drei relevante Kategorien gibt: menschliche Gesichter, Körper – und Katzen. Wer viel in den sozialen Netzwerken unterwegs ist, weiß: Der Computer hat definitiv recht. Und es war außerdem der Beweis, dass sich Computer Kategorien und Unterscheidungen selbst beibringen können, ohne dass menschliche Lehrmeister diese vorher für ihn festlegen müssen.

Zweistufiger Ansatz zur sicheren Erkennung

Harman kombiniert bei seiner Reverse Pedestrian Detection den traditionellen und den Deep-Learning-Ansatz in einer zweiphasigen Personenerkennung: Die algorithmische Methode hat den Vorteil, dass sie äußerst schnell arbeitet. Diese kommt deshalb zum Einsatz, um im ersten Schritt anzuzeigen, ob sich eine Person hinter dem Fahrzeug befindet. Im zweiten Schritt verifiziert das neuronale Netzwerk, ob es wirklich ein Mensch oder nicht vielleicht doch eine Mülltonne ist. Der erste Ansatz tendiert eher dazu, sogenannte False-Positive- Meldungen zu geben, also Personen zu erkennen, wo keine sind. Das neuronale Netzwerk dagegen führt eher zu False Negative und erkennt Menschen, die sich hinter dem Auto befinden, nicht. Beides in Einklang zu bringen ist eine Herausforderung. Diese wurde mit dem zweistufigen Ansatz bewältigt.

Gerade beim Einparken gibt es neben Menschen in der Umgebung natürlich auch andere Hindernisse, wie eine Mülltonne. Zunächst könnte man meinen, dass die Erkennung solcher nicht menschlicher Hindernisse ganz ähnlich funktioniert. Für die menschlichen Augen mag das so sein; in der Computer Vision muss dafür ein anderer Ansatz gewählt werden: Die Free Space Detection. Das funktioniert im Vergleich zur Erkennung von Menschen genau anders herum: Während in diesem Fall Formen erkannt werden, spiegeln bei der Free Space Detection Pixel die freie Straßenfläche wider, sodass das Auto die Fahrroute erkennt. Durch diese Funktion werden sich Fahrzeuge in Zukunft beispielsweise selbst im Parkhaus abstellen können.

Keine zusätzliche Hardware nötig

Bei dem komplexen Vorgang des Deep Learning könnte man meinen, dass zusätzliche Hardware nötig sei. Bei vielen Systemen ist das auch der Fall, nicht jedoch bei der Reverse Pedestrian Detection: Diese verbesserte Fußgängererkennung kann durch ein Software Update in Kombination mit der bereits im Auto vorhandenen Rückfahrkamera und Technologien implementiert werden. Die Computer Vision wird dabei mit den Daten des Ultraschall-Sensors für die Fußgängererkennung im näheren Umfeld kombiniert. Um die Erkennung noch genauer zu machen, nutzt die Anwendung außerdem auch den Winkel des Lenkrads und die Geschwindigkeitsmessung, um eine mögliche Kollision vorherzusagen.

Dieses komplexe State-of-the-Art-System benötigt jedoch auch eine größere Rechenleistung und wird deshalb in die Infotainment-Plattform des Autos integriert. Denn diese Plattform wird vom leistungsfähigsten Computer im Auto gesteuert. Die ECU steuert dabei unter anderem die Navigation und das Display und verarbeitet Bilder und Grafiken. Das wird durch leistungsstarke allgemeine und grafikverarbeitende Prozessoren erreicht. Neben der Infotainment-Plattform gibt es weitere relevante Plattformen im Fahrzeug: Der Telematik-Bereich etwa ist ein Verkehrsleitsystem und sammelt mit Telekommunikation, Informationstechnik und GPS-Satelliten-Ortung Informationen über die Verkehrslage. Eine andere Plattform ist für aktive Sicherheit zuständig; in diesen Bereich ist auch das autonome Fahren integriert.

 

 

 


  1. Fußgänger beim Rückwärtsfahren besser schützen
  2. Funktionsweise des Reverse-Pedestrian-Detection-Systems
  3. Große Wirkung trotz einfacher Kamera

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