Paradigmenwechsel

»Integrated Motion« revolutioniert Robotik

2. Mai 2022, 9:30 Uhr | Heinz Arnold
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Grenze zwischen Kunden und Wettbewerbern

Derzeit überbieten sich Firmen, die sich als hochinnovativ bezeichnen, in Ankündigungen, über KI wahre Wunderdinge realisieren zu können, weit über die bloße vorausschauende Wartung hinaus. Ist das ein Thema für Synapticon?

Ensslen: Ein wesentliches Element von Circulo ist der Stromregler auf Basis unserer »Model-Predictive Deadbeat Field Oriented Control«-Technologie. Sie basiert darauf, dass wir anhand eines adaptiven, komplexen Modells des jeweiligen Antriebsstrangs das Regelziel innerhalb eines Schaltvorgangs direkt ansteuern können, ohne iterativ arbeitenden Regelkreis. Das spart den PID-Regler und enorm viel Energie – und es ist eine ausgeklügelte Technik, die u. a. auf statistischen Methoden beruht.

Viele würden das heute bereits als KI verkaufen, das tun wir aber nicht – denn Machine Learning ist das nicht. Außerdem bieten wir Autotuning-Funktionen, um den Anwendern das Optimieren der Achsen zu vereinfachen. Auch dabei handelt es sich um aufwendige statistische Auswertungen der Sensordaten, unter anderem mit dem Ziel, Störgrößen aus der Mechanik zu kompensieren. Auch das könnten wir als KI verkaufen, tun es aber mit Absicht nicht. Allerdings beschäftigen wir uns mit Reinforcement-Learning-Ansätzen für die autonome Optimierung von Mehrachsensystemen – bisher ist das aber ein reines Forschungsthema.

Heißt das auch, dass Predictive Maintenance für Synapticon derzeit kein Thema ist?

Ensslen: Wir hatten die entsprechende Elektronik und Firmware, plus Edge-Gateway sowie Speicher- und Recheninstanz in der Cloud dafür schon vor acht Jahren entwickelt. Doch derzeit verlangen die Kunden das gar nicht, sondern geben sich mit Fehlerdiagnose und einem einfach auszuführenden Austausch zufrieden. Wir haben zwar auch bei aktuellen Produkten die Möglichkeit, die Daten über die Zeit zu überwachen und Schlüsse daraus zu ziehen, aber das wird aktuell erstaunlich wenig nachgefragt.

Das könnte sich allerdings mit dem Einzug der integrierten Servomotoren in die Maschinen ändern. Denn hier können wir aus den Signalen sehr viele Informationen herausholen und die Veränderungen in dem Verhalten einer Achse leicht erkennen. Ich sehe in diesem Bereich ein sehr interessantes Potenzial für uns. Wir könnten einen Teil der Analyse in der Edge durchführen, ein Großteil aber würde in der Cloud stattfinden. Schlussendlich müssen die Kunden das aber auch wollen.

Synapticon konnte gerade eine neue Finanzierungsrunde abschließen; als neuer Investor ist Stabilus hinzugekommen, ein führender Anbieter von Motion-Control-Systemen. Hat sich die Strategie von Synapticon wieder etwas geändert?

Ensslen: Nein, wie schon angedeutet hat der entscheidende Strategiewechsel 2017 in Richtung industrieller Antriebstechnik und Integrated Motion stattgefunden, seitdem haben wir diese Strategie beharrlich weiterverfolgt. Es hatte sich dabei aber auch herausgestellt, dass wir zwischenzeitlich einen gewissen Nachholbedarf hatten: Wir mussten einige eher als profan zu bezeichnende Funktionen ergänzen, die am Markt aber einfach erwartet werden. Jetzt können wir all diese Erwartungen erfüllen und nun das liefern, was die Kunden wirklich wollen: hohe Integrationsdichte, geringen Engineering-Aufwand am Point of Motion, Systemkonsolidierung und Kostenreduzierung.

Dass Stabilus investiert hat, spielt keine Rolle?

Ensslen: Wir freuen uns über jeden Investor, besonders auch über Stabilus, weil wir in verschiedenen Projekten zusammenarbeiten. Das tun wir aber auch sehr intensiv mit anderen wie etwa Schneider Electric, die seit den letzten beiden Runden als Investor dabei sind. Für beide aber gilt: Sie werden behandelt wie alle anderen Investoren bzw. Kunden auch und haben keine besonderen Informations- oder gar Mitbestimmungsrechte. Geheimhaltungsverpflichtungen mit und gegenüber anderen Kunden gelten hier unverändert. Generell werden unseren Investoren keinerlei Informationen unserer Kunden zugänglich gemacht. Das ist uns und auch den Investoren sehr wichtig, denn wir wollen weiterhin erfolgreich sein, und das geht nur mit vielen erfolgreichen Kunden.

Auch das zeigt, dass Synapticon in vielen Sektoren auf verschiedenen Ebenen tätig ist. Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Kunden und Wettbewerbern?

Ensslen: Wie gesagt, alle Roboterhersteller sind potenzielle Kunden, und ich gehe davon aus, dass auch weitere große Hersteller, die bisher generische Systeme entwickelt haben, sich mehr und mehr mit unserem Angebot befassen werden. Denn ihr Kern-Know-how liegt nicht darin, Servoantriebe zu entwickeln und dafür intern Teams aufzubauen, auch wenn die internen Kosten dafür zunächst nicht auffallen und die BOM erst einmal gut aussieht. Einige glauben noch, sie müssen das so machen, obwohl es rational gesehen inzwischen dafür keinen Grund mehr gibt. Weitere Kunden sind alle Automatisierungs-Plattformen- und Hersteller von Motoren und Getrieben über AGV-Hersteller bis zu Maschinenbau-OEMs. Wir verstehen uns aber nicht als Wettbewerber zu den Roboter-Herstellern oder Herstellern von Automatisierungstechnik, sondern als deren Technologiepartner.

Es fällt Ihnen also schwer, überhaupt Wettbewerber zu nennen?

Ensslen: Mit Circulo sind wir schon einige Schritte weiter in der Entwicklung als die wenigen Mitbewerber im Bereich kompakter Hochleistungsantriebstechnik: Die Hohlwellenform mit integrierten Encodern, das Level an zertifizierter funktionaler Sicherheit, der integrierten Bremsfunktion, der thermischen Abführung, der EMV-Zertifizierung und dem Kabelmanagement bedeuten bereits ein Produkt, das es so von keinem anderen Anbieter gibt.

Man könnte auch sagen: Wirkliche Integrated Motion gibt es nur bei Synapticon, der Wettbewerb verfolgt bisher noch nicht einmal den gleichen Ansatz. Und wie gesagt, mit der neuen Produktlinie, die wir im Herbst dieses Jahr herausbringen, werden wir wieder einen entscheidenden Schritt weiter gehen. Wir befinden uns im kontinuierlichen Innovations-Flow und können jeweils die neusten Systeme anbieten. Wer im eigenen Haus entwickelt, muss dies selber »engineeren«, das macht oft nur sehr wenig Spaß!

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Synapticons Weg zur »Integrated Motion«
2012 haben Nikolai Ensslen und Andrija Feher, heute CTO des Unternehmens, Synapticon gegründet, um Elektronik, Mechanik und Software so zu verbinden, dass sich auf Basis eines modularen Systems Roboter in Rekordzeit entwickeln lassen. Finanziert hatten die Gründer dies, indem sie Engineering-Dienstleistungen anboten und Endgeräte wie Rasenmäher, Elektrofahrräder, Maschinen für die Halbleiterfertigung und Industrieroboter entwickelten.

2017 erfolgte der Strategiewechsel: weg von der Dienstleistung – der Fokus einzig auf Elektronik, Mechanik und Software für den »Point of Motion« bzw. für »Integrated Motion« in der Industrie. Synapticon konnte danach finanzstarke Investoren gewinnen, darunter Family Offices und Corporate VCs. Ende 2021 erfolgte die letzte Finanzierungsrunde, bei der Stabilus und ICT Capital hinzukamen. Heute beschäftigt Synapticon mit Sitz in Schönaich bei Stuttgart mehr als 65 Mitarbeiter und unterhält Niederlassungen im Silicon Valley und in China. Nach wie vor konzentriert sich das Unternehmen auf die Kombination aus Elektronik, Mechanik und Software zu einem dynamisch geregelten Ganzen: Integrated Motion. 


  1. »Integrated Motion« revolutioniert Robotik
  2. »Boost your performance, reduce your system cost!«
  3. Grenze zwischen Kunden und Wettbewerbern

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