Low Code statt Automatisierungs-Angst

Mitarbeiter gestalten die Industrie 4.0

5. August 2021, 11:23 Uhr | Ute Häußler
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5 Schritte zum Low Code Erfolg, Citizen Developer

Nutzer und Entwickler verschmelzen zu Citizen Developern

Wie konnte Otto Martin so zügig eine funktionierende Applikation entwickeln? Low Code soll zwar schnell zu erlernen sein, aber ein bisschen externes Know-how und Anschub brauchte die digitale Umsetzung der ersten Projekte schon. Im Falle des Holzmaschinenbauers half ein Integrator beim Aufsetzen und Starten. »Wir können als Mittelstand nicht alles selber leisten. Wir brauchen einen Partner, der uns auch mal über eine Klippe hievt,« sagt Michael Hammerer. Damit es beim »über Klippen hieven« bleibt und langfristig ein Großteil der Entwicklung in den Unternehmen selbstständig gewuppt werden kann, empfiehlt Intrexx sogenannte Citizen Developer, eine weiterentwickelte Form der bei IT-Einführungen bekannten Power User.
Citizen Developer sind keine Vollzeitprogrammierer. Ein typisches Beispiel solch eines digitalen Ersthelfers ist etwa der Industriemechaniker, der sich schon immer für IT interessiert hat und sich bestens mit den Produktionsprozessen auskennt – und damit Entwickler und Nutzer zugleich ist. Das Marktforschungsinstitut Gartner prognostiziert, dass Citizen Developer bis 2024 für mehr als 65 % der Anwendungsentwicklungen verantwortlich sein werden und ihre Anzahl bis 2023 viermal so hoch ist wie die der professionellen Entwickler. Citizen Development wird sich laut der Marktforscher zu einer strategischen Praxis entwickeln, mit der Unternehmen signifikante Vorteile herausarbeiten. 

Bei Otto Martin arbeiten derzeit vier Citizen Developer an zahlreichen digitalen Projekten, davon kümmern sich zwei Nutzer-Entwickler um kleinere Anpassungen, zwei Fachexperten stecken tiefer in der Entwicklung und stemmen mittelgroße Projekte schon ohne externe Unterstützung. Die steile Low-Code-Lernkurve begann für die Citizen Developer mit einem 2-Tages-Crashkurs, der alle wesentlichen Bausteine und bereits eine praktische Applikationsentwicklung umfasste.  »Da hatten sie die Methodik schon sehr gut inhaliert«, beschreibt Michael Hammerer den Prozess. Die ersten Entwickler-Erfolge folgten seiner Aussage nach bereits nach drei bis vier Wochen; nach sechs Monaten konnten die Citizen Developer auch größere Anwendungen selbst umsetzen. Nach mehr als einem Jahr ist das interne Know-how so weit gewachsen, dass ein Viertel aller Projekte von dem Maschinenbauer ohne externe Hilfe entwickelt werden. »Das Tempo hat mich selber überrascht«, sagt Hammerer. Und der Anteil steigt weiter.

Mitarbeiter denken lösungsorientierter

»Der Vorteil ist, Entwicklung funktioniert auch im Homeoffice«, freut sich der Geschäftsführer; die Projekte trügen mit der Digitalisierung sogar zu einer effektiveren Arbeit von Zuhause aus bei. Das Wichtigste für ihn ist aber eine massiv veränderte Denkweise: weg von Excel, hin zur Applikation. »Die Mitarbeiter haben ihr Verhalten ganz intuitiv angepasst.« Trotz jahrzehntelanger Excel-Prägung dächten sie jetzt viel lösungsorientierter und sähen in den Low-Code-Anwendungen ein Werkzeug zum Gestalten. »ERP ist nur mit viel Aufwand und für Experten zu betreiben. Mit Low Code reicht meist eine einfach gehaltene, kurze Anleitung, es funktioniert quasi Plug&Play.«
‚Weg von Excel‘ war auch die Vorgabe für die Umsetzung des bisher größten Projektes bei dem Maschinenbauer: die Abschaffung einer „Monster-Excel-Liste“ für das Shopfloor-Management, die seit 15 Jahren geschäftskritisch und „nicht ablösbar“ war. Denn die halbe Firma arbeitete damit; alle auftragsrelevanten Daten, die Betriebs- und Maschinendaten sowie die Produktionsplanung, Montagedisposition und auch die Auslieferung liefen darüber. Nach mehreren Workshops hatte ein ERP-Berater sie als „digital nicht umsetzbar“ eingestuft. Mit Intrexx Low Code ist die Liste jetzt abgelöst und seit über vier Monaten live. »Alle Daten sind digital verfügbar, jeder sieht, was er braucht«, der Manager lächelt. »Sie sind aus dem ERP angebunden, alle Prozesse sind bereits optimiert.« Er schätzt die jährliche Einsparung allein dieses Digital-Projektes auf 2000 Stunden.

Digitalisierung Industrie 4.0 IIoT Low Code
© M&T (uh)

Fünf Schritte zum Low-Code-Erfolg

Neben messbaren Einsparungen sowie den technischen und plattformeigenen Kriterien spielen für Michael Hammerer für die erfolgreiche Digitalisierung des Shopfloor über Low Code unternehmensinterne Punkte eine essenzielle Rolle. Er empfiehlt, zunächst alle Ideen zu sammeln und in ein Gesamtkonzept und eine Roadmap zu gießen. »Das ist wichtig, um die Datensynergien zu erkennen und doppelte Aufwände zu vermeiden – eine grobe zeitliche und inhaltliche Gliederung reicht.« 

Der Start sollte, wie von Otto Martin am CAQ-System praktisch gezeigt, über ein Referenzprojekt gelingen, welches als Proof of Concept (PoC) und Blaupause für alle weiteren Vorhaben dient. Folgend müssen die Mitarbeiter einbezogen sein, nicht nur als Programmierer, sondern um durch eine offene Kommunikation zu einem Wandel im Mindset zu gelangen. Um in Lösungen zu denken, sind klar definierte Prozesse und ein Programmablaufplan unabdingbar, »wer, wo, für was und wie verantwortlich ist«. Die Zuständigkeiten müssen vorab genau definiert sein. 

Für die konkrete Entwicklung würde Hammerer heute einen Style Guide einsetzen, also eine einheitliche Definition von Befehlen, Symbolen, Farben und Namen, »für eine effiziente und konsistente Entwicklung und gute User Experience braucht es einheitliche Regeln.« Der letzte und wichtigste Punkt ist für ihn jedoch das Commitment der Führungsetage. »Wenn das Management nicht dahintersteht, dann wird daraus nichts.« Es müssten Ressourcen geschaffen werden, die Mitarbeiter brauchen Zeit und Equipment, nur so könne seiner Aussage nach Geschwindigkeit entstehen. Er selbst wird durch den Nutzen auf diesem Weg motiviert, dem Sinn und Zweck hinter den Maßnahmen. »Es geht darum, die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen. Das geht mit Digitalisierung wirklich sehr, sehr gut.«


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