Die Low-Code-Entwicklungsplattform Mendix bildet mit ihrem übergreifenden Charakter eine Klammer um die komplexeren Software-Produkte aus dem »Xcelerator«-Portfolio von Siemens. Dr. Raffaello Lepratti von der Siemens-Tochter Mendix erläutert die Hintergründe und zeigt die neuen Möglichkeiten auf.
Markt&Technik: Welche Rolle spielt die Mendix-Software im Software-Portfolio von Siemens?
Dr. Raffaello Lepratti, Global Vice President Industrial Manufacturing bei Mendix: Ein Differenzierungsmerkmal von Mendix gegenüber allen anderen Elementen der Industriesoftware-Plattform Xcelerator von Siemens ist der horizontale, übergreifende Charakter. Durch ihn unterscheidet sich Mendix von Produkten wie Teamcenter (Product Lifecycle Management, PLM), NX (CAD/CAM), Plant Simulation oder Opcenter (Manufacturing Operations Management, MOM), welche die Anforderungen und Belange einer bestimmten Domäne in der Industrie bestens abdecken, sprich: Engineering, Design, Simulation oder Operational. Dafür sind diese Softwareprodukte bei Siemens entwickelt und werden konsequent ausgebaut, sodass für sie immer mehr relevante Funktionalitäten out-of-the-box angeboten werden.
Mendix ist eine Low-Code-Entwicklungsplattform, die mit diesen Software-Elementen und mit IT-Enabled Hardware in Verbindung gebracht werden und somit überall Einsatz finden kann. Das macht den großen Unterschied zu allen anderen Software-Produkten aus dem Industriesektor von Siemens.
Kann Mendix also die Basis für alle Xcelerator-Produkte von Siemens bilden?
Ja. Fast alle Portfolio-Komponenten von Xcelerator richten sich an bestimmte Nutzergruppen. Man arbeitet im Engineering oder als Produktdesigner und nutzt NX. Man arbeitet in der Produktionsplanung und nutzt Plant Simulation oder Teamcenter Manufacturing. Das sind Tools, die für Experten in bestimmten Rollen oder Domänen gedacht sind. Die Low-Code-Technologie von Mendix lässt sich von all diesen Experten oder auch Nicht-Experten nutzen. Sie ist nicht dafür gebaut, eine spezielle Zielgruppe zu adressieren, sondern eignet sich für erfahrene Programmierer ebenso wie für Programmier-Neulinge.
Neben dem übergreifenden Charakter ist Low Code, also »wenig Code«, das hervorstechende Merkmal der Mendix-Plattform. Welche Vorteile bringt Low Code für Programmierer?
Mendix als Low-Code-Plattform oder Application-Development-Plattform ist eine Umgebung, in der Anwender ohne tiefe Programmierkenntnisse schnell Applikationen bauen können, und zwar solche, die normalerweise SaaS- oder Cloud-Applikationen wären. In den meisten Fällen lassen sich die Applikationen mit vordefinierten Bausteinen erstellen, also mittels Drag and Drop; man kann Funktionalitäten und Verbindungen gestalten und somit eine gewisse Business-Logik aufbauen, die man dann wiederum mit bestimmten Datenquellen verbindet. Man baut also eine Applikation, die letztlich nicht nur die Logik umfasst, sondern auch eine Oberfläche. Die Oberfläche lässt sich personalisieren; Anwender können nicht nur Farbe und Gestaltung festlegen, sondern auch, welche Daten und Informationen letztlich hinzugezogen und angezeigt werden.
Bei der traditionellen Softwareentwicklung können Anpassungen der Benutzeroberflächen meist nur vom Anbieter vorgenommen werden. Mit einer Low-Code-Technologie hingegen kann ich nicht nur die Funktionalitäten schnell bauen, sondern auch die Oberfläche so gestalten, dass ich mir nur das anzeigen lasse, was mich interessiert. Und dabei kann ich nicht nur eine Auswahl treffen, sondern auch externe Datenquellen hinzuziehen. Ich kann verschiedene Daten definieren, sodass sie genau in der Form angezeigt werden, die ich für meine Tätigkeit benötige.
Werden mit Mendix nun hauptsächlich Cloud-Anwendungen erstellt oder auch andere?
Eine der Stärken von Mendix ist, dass Low-Code-Applikationen in unterschiedlichsten Umgebungen, auch »on Premise«, laufen können. Zum Beispiel als Applikation innerhalb eines Docker-Containers in einer Virtual Private Cloud oder on Premises. Besonders im Fabrikumfeld spielt die Siemens Industrial Edge eine immer wichtigere Rolle, und ich darf an dieser Stelle verraten, dass konzernintern bereits daran gearbeitet wird, auch hier eine nahtlose Portfolio-Integration zu ermöglichen. Wir bei Mendix verfolgen eine klare Edge-to-Cloud-Strategie, um auch diejenigen Unternehmen bedienen zu können, die entweder der Cloud gegenüber noch skeptisch sind oder klare Anforderungen an Latenz, (Fast-)Echtzeit oder Datenschutz haben und somit Applikationen und Daten an der Edge behalten wollen.
Können Anwender mit Mendix also Applikationen für Siemens Industrial Edge entwickeln und dann in Siemens-Industrial-Edge-Hardware laufen lassen?
Ja. Durch unsere Kollaboration mit Siemens Industrial Edge erweitern wir substanziell die Anwendungsmöglichkeiten von Low Code und leisten einen Beitrag, mehr IT in klassische OT-Domänen zu bringen, um die Innovationsfähigkeit zu steigern. Aber mit Blick auf den Software-Synergie-Pool, den wir bei Siemens haben, geht es nicht nur um die Fähigkeit von Mendix, Applikationen in Siemens Industrial Edge laufen zu lassen, sondern um mehr: nämlich um einen Mehrwert, den wir für die Kommunikation zwischen verschiedenen Siemens-Produkten anbieten müssen. Und das ist die Integration der Daten über Low-Code-Konnektoren, sprich: Softwaremodule, die Informationen von irgendwelchen Systemen abholen und in der Low-Code-Umgebung zur Verfügung stellen. Es gibt viele Varianten von Konnektoren. Klassische Softwareschnittstellen sind APIs, die man mithilfe von High-Code-Sprachen wie Java oder C# ansprechen kann, um beispielsweise Daten auszutauschen.
Bei Siemens und speziell bei Mendix legen wir Wert darauf, solche klassische APIs in Form von stark vereinfachten Low-Code-Konnektoren einzubetten, damit komplexe Datenmodelle und -strukturen als leicht konfigurierbare Low-Code-Module in der Entwicklungsumgebung von Mendix per Drag and Drop nutzbar sind. Mendix-Kunden brauchen sich also mit Industrial Edge, Teamcenter oder der Komplexität des Datenmodells nicht mehr detailliert auseinanderzusetzen, weil die Komplexität wirklich auf Low Code reduziert wird.