Beim Bildverarbeiter IDS vollzieht sich derzeit ein Generationswechsel: Gründer und Gesellschafter Jürgen Hartmann hat sich ins zweite Glied zurückgezogen, sein Sohn Jan und zwei weitere Geschäftsführer haben übernommen.
Im Interview informieren Jürgen Hartmann und Geschäftsführer Dr. Michael Berger über den Wechsel sowie die Strategie des Unternehmens in Sachen Produkte und Anwendungen.
Markt&Technik: Herr Hartmann, welche Beweggründe haben zu Ihrer Entscheidung geführt, die operative Geschäftsführung abzugeben?
Jürgen Hartmann: Die Frage ist ganz einfach zu beantworten: Es geht mir um einen Generationswechsel. Wir haben schon vor Jahren diskutiert, wie wir mal die Nachfolgeregelung gestalten werden. Sie kennen den Markt ja: In der Bildverarbeitungs-Branche sind die meisten Gründer-geführten Unternehmen inzwischen verkauft worden. Ich wusste bis 2017 auch nicht, wie es bei mir oder mit IDS weitergehen wird.
Als meine Kinder sich nach ihrem Studium entschieden haben, dass sie gerne hier einsteigen würden, war es eigentlich relativ einfach, auch in der Familie die Entscheidung zu fällen, dass wir die Firma nicht verkaufen werden. Und wenn man dann die Entscheidung getroffen hat, lautet die nächste Frage: Wie geht es weiter, wenn ich ins Rentenalter komme?
Ein Unternehmen wie IDS übergibt man nicht über Nacht. Es war uns klar, dass dies in Stufen geschehen muss. Als erste Stufe ist mein älterer Sohn Jan in die Geschäftsführung aufgestiegen und Alexander Lewinsky als zweiter junger Mann hinzugekommen. Dies ist schon vor vier Jahren passiert. Ich habe das operative Geschäft also in Stufen abgegeben. Die nächste Stufe ist jetzt, dass ich noch im Unternehmen beschäftigt bleibe, mich aber aus der Geschäftsführung zurückziehe. Und ich habe vor, etwa mit 65 Jahren meine Tätigkeit im Unternehmen zu beenden. Ob ich dann ganz aufhöre, weiß ich noch nicht, aber ich habe zumindest vor, dann andere Dinge zu tun. Definitiv möchte ich nicht mit 70 Jahren hier im Unternehmen noch an der Spitze stehen.
Wenn man diese Entscheidung erst einmal getroffen hat, dann ist es sinnvoll, den Prozess frühzeitig zu beginnen. Zudem haben wir Dr. Michael Berger als dritte Person für die Geschäftsleitung gefunden, sodass ich sagen kann: Das ist jetzt eine runde Sache und gibt mir die Möglichkeit, aus dem operativen Geschäft auszusteigen.
Wie teilt sich dann die Geschäftsführung künftig auf? Wer verantwortet welche Bereiche?
Dr. Michael Berger: Jan Hartmann wird in der Geschäftsführung die Themen Finanzen, Human Resources, IT sowie Business-Innovation und Ecosystem verantworten. Mein Kollege Alexander Lewinsky hatte bisher schon den Bereich Operations inne und wird jetzt zusätzlich noch die Entwicklung übernehmen. Bei mir liegen die Themen Vertrieb, Marketing, Produktmanagement und Systemberatung. Als Vierter im Bunde übernimmt Jürgen Hartmann das Thema Innovation-Management als Chief Innovation Officer und steht uns weiterhin beratend in Sachen Technologie zur Seite.
Es geht Ihnen, Herr Hartmann, also darum, das Alltagsgeschäft abzugeben und sich um strategische und technologische Aspekte zu kümmern, also eher eine beratende Rolle zu spielen?
Hartmann: Genau. Ich bin hier zusammen mit meinem jüngeren Sohn Kai tätig, der ebenfalls im Unternehmen ist. Das Thema ist am Produktmanagement angehängt, und er kümmert sich um Innovationsmanagement; mit ihm werde ich sicherlich eng zusammenarbeiten. Es geht dabei um neue Technologien, aber auch um Partnerschaften, die man eventuell eingehen kann auf Basis neuer Technologien. Eigentlich war das für mich schon seit der Gründung des Unternehmens immer ein großes Thema, das ich mit Leidenschaft betreue. Solange ich das noch kann, mache ich es gern. Aber weil das operative Geschäft getrieben ist durch unzählige Besprechungen, bin ich froh, da künftig Entlastung zu haben.
Herr Dr. Berger, was haben Sie sich jetzt als Geschäftsführer bei IDS vorgenommen? Wo liegt Ihr Fokus, was ist Ihre Vision?
Berger: Ich denke, wir sind fest etabliert als Unternehmen, das stetig Innovationen in den Markt schiebt. Was ich noch etwas stärker herausstellen will für die Zukunft, ist das Thema Kundenzentrierung. Wir wollen noch näher an den Kunden sein und ihren Bedarf in gewisser Weise antizipieren. Zudem werden wir unseren regionalen Footprint noch etwas ausweiten. Wir sind heute sehr stark in der DACH-Region und haben überall auf der Welt Locations, sei es in Nordamerika, sei es in Asien oder Gesamteuropa. Es besteht da aber aus meiner Sicht noch deutlich Potenzial. Zudem gibt es eine Vielzahl neuer Anwendungen, bei denen wir unsere Kunden unterstützen können. Hier ist, glaube ich, noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht.
Welche neuen Anwendungen haben Sie hauptsächlich im Blick?
Berger: Das Spektrum möglicher Anwendungen ist sehr vielfältig. In dem Markt, in dem wir tätig sind, sehen wir immer noch ein enormes Wachstum. Wir haben derzeit ein durchschnittliches jährliches Marktwachstum von rund 8 Prozent und erwarten dies auch für die absehbare Zukunft.
Konkret wollen wir uns zum Ersten verstärkt um das Thema Medical kümmern, wo wir bereits in großen Projekten vertreten sind, aber noch weitere Entwicklungsmöglichkeiten sehen. Zum zweiten nehmen wir verstärkt das Thema Food und Agrar in den Blick, wo wir noch ziemlich am Anfang stehen. Und zum dritten können wir für die Batterietechnologie definitiv einen wertvollen Beitrag leisten. Aber es gibt noch viele weitere Anwendungsfelder.
Besonders stark entwickelt hat sich für uns in den letzten Jahren der Bereich Logistik. Dort haben wir sehr gut Fuß fassen können. Die Automatisierung hat dort schon großangelegt Einzug gehalten, ist aber noch lange nicht an ihrem Ende angelangt.
Die Industrieautomatisierung stagniert gerade aufgrund der schwierigen weltwirtschaftlichen Situation. Dort sehe ich momentan für die nächsten Monate nicht das große Wachstum – wobei ich mir sicher bin, dass es wieder kommen wird.
Legt die wirtschaftliche Situation in der Industrie einschließlich der geopolitischen Konflikte es also bis zu einem gewissen Grad nahe, sich stärker auf andere Anwendungen zu fokussieren?
Berger: Im Moment ja. Wir haben uns schon in einigen wichtigen Industrieländern dieser Welt etabliert, und es gilt nun, dies weiter auszubauen.
Wird sich durch den Wechsel in der Geschäftsführung die Produkt- und Marktstrategie von IDS ändern?
Berger: Im ersten Schritt gilt es, über unser gesamtes Handeln hinweg die Kunden verstärkt in den Fokus zu stellen. Dies haben wir schon in der Vergangenheit gut hinbekommen, aber da kann man sicherlich noch eine Schippe zulegen. Ich sehe als meine Mission, dass wir uns im gesamten Unternehmen noch mehr an den Kunden ausrichten.
In manchen Unternehmensbereichen haben wir bei agilen Arbeitsmethoden schon große Fortschritte gemacht. Diesen Weg wollen wir fortsetzen, um die Kunden so gut wie möglich unterstützen zu können.
Welche Strategie verfolgt Ihr Unternehmen in puncto Embedded Vision?
Hartmann: Wir wollen Kamerahersteller bleiben und planen nicht, uns in ein Embedded-Vision-Unternehmen zu verwandeln. Schon vor mehreren Jahren haben wir die Kameras der Familie »IDS NXT« auf den Markt gebracht, die letztlich komplette Linux-Computer sind und neuronale Netze geräteintern ausführen können. Das heißt, wir machen Bildverarbeitung in einem Embedded-Gerät, das zugleich die Kamera darstellt. Dies ist sicherlich ein Thema, das uns auch in Zukunft begleiten wird.
Wie sieht die Produkt-Roadmap Ihres Unternehmens für die kommenden Jahre aus?
Hartmann: Wenn Sie die heutigen Statistiken anschauen, dann sehen Sie, dass der 3D-Markt um ein Vielfaches schneller wächst als der 2D-Markt. Ich habe Marktdaten in Erinnerung, die besagen: dreimal schneller. Insofern ist es sicherlich sinnvoll, ein intensives Augenmerk darauf zu lenken, mit weiteren neuen 3D-Produkten auf den Markt zu kommen und andere 3D-Technologien zu unterstützen als nur Stereo-Vision, was wir heute machen. Für uns interessant sind auch weitere Sensortechniken, etwa Short-Wave-Infrared (SWIR) und Thermalsensorik. Gerade haben wir eine Kamera mit einem Event-based Sensor von Sony auf den Markt gebracht. Für diese Themen wollen wir uns öffnen, zusätzlich zu den klassischen 2D-Kameras, die wir ebenfalls weiterentwickeln und pflegen werden.
Für die 3D-Bildverarbeitung arbeiten Sie mit dem Unternehmen Optonic zusammen. Welche Produkte sind hier für die absehbare Zukunft geplant?
Hartmann: Ich habe das Unternehmen Ensenso, heute Optonic, im Jahr 2011 mitbegründet, zusammen mit dem jetzigen Managing Director Rainer Voigt. Unsere neuesten gemeinsamen 3D-Produkte sind die Stereo-Vision-Kameras der Produktfamilie »Ensenso C«, die wir seit Juli 2023 in überraschend großen Stückzahlen ausliefern. Wir haben uns bei der C-Serie zunächst auf Stereo-Vision fokussiert, und jetzt geht es mit zusätzlichen Varianten weiter, kleineren und größeren. Es wird auch möglich sein, die C-Kameras in Verbindung mit Embedded-Geräten zu nutzen. Die beiden derzeit lieferbaren Modelle, Ensenso C57-S und Ensenso C57-M, liefern bis zu zehn 3D-Punktewolken pro Sekunde.
Welche technischen Trends sehen Sie derzeit generell in der Bildverarbeitung?
Hartmann: 3D ist auf der Hardwareseite sicherlich ein Trend. Noch nicht als Trend bezeichnen würde ich die Hyperspektral-Sensorik, bei der es darum geht, einen erweiterten Wellenlängenbereich zu erfassen. Momentan gibt es zwar Nachfragen, aber noch keine Volumina dahinter. In Zukunft wird der Bereich jedoch sicherlich stark wachsen; Anwendungen sehe ich unter anderem in der Agrartechnik.
Was über allem steht, und zwar völlig losgelöst von der Sensortechnik, ist das Thema Bildverarbeitung mithilfe statistischer Methoden, kurz: künstliche Intelligenz. KI wird uns viele neue Anwendungsfelder ermöglichen; ich sehe aber keine Ablösung bestehender Bildverarbeitungsverfahren durch KI, wenn die KI in den betreffenden Anwendungen keine Vorteile bringt. Eher erwarte ich das Erschließen neuer Anwendungsfelder, und da liegt auf der Softwareseite, die ja eng gekoppelt ist mit der Hardware, definitiv ein großes Marktfeld der Zukunft.
Mit KI erschließt man also neue Anwendungsfelder, und für die bisherigen oder bestehenden überlegt man sich jeweils, ob man ein Verfahren auf KI-Basis oder eines ohne KI nutzt.
Hartmann: Ja, genau. Idealerweise sehen die Endkunden gar nicht, was sich hinter ihrem Vision-System verbirgt, sondern sie haben ein Problem und nutzen dafür eine Bildverarbeitungs-Funktion.
Haben Sie größere Investitionen geplant, etwa in Produktionskapazitäten an Ihrem Stammsitz in Obersulm?
Hartmann: Wir haben erst vor Kurzem größere Investitionen getätigt und sind daher aktuell gut ausgestattet. Investiert haben wir erst vor wenigen Jahren in ein neues Hauptgebäude und ein automatisiertes Kleinteilelager. Außerdem haben wir vor zwei Jahren in SAP investiert. Das war nach meiner Erinnerung die größte Investition in Infrastruktur, die wir jemals getätigt haben, abgesehen von unseren Gebäuden. Wir haben also in neue Gebäude und die Logistik investiert und dies mit SAP untermauert. Und gleichzeitig haben wir Salesforce eingeführt als CRM-Werkzeug, sodass wir das Unternehmen für die Zukunft gut ausgestattet haben.