Strompreiszocken mit Smart Metern

Forscher: Variable Stromtarife könnten Crashs am Strommarkt verursachen

27. Juli 2015, 13:20 Uhr | Hagen Lang

Forscher der Universität Bremen glauben, dass die kommenden variablen Stromtarife nicht nur die Stromnetze entlasten, sondern auch eine »chaotisch, wild und zappelig« verlaufende Strompreisbildung bringen. Das könnte Crashs und Blasen am Strompreismarkt und möglicherweise sogar Blackouts im Stromnetz verursachen.

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Eines Tages sollen variable Stromtarife die Verbraucher anhalten, bei Strommangel (und höheren Preisen) ihre Verbräuche in Zeiten größeren Stromangebots (und niedriger Preise) zu verlegen. Nachfrage und Angebot glichen, so die Hoffnung, die Volatilität erneuerbarer Energien ein Stück weit aus und entlasteten die Stromnetze sowie die Kasse der Stromkunden. Die hierfür nötige Infrastruktur aus Smart Metern, die den Verbrauchern aktuelle Strompreise übermitteln und Smart Home Appliances, die auf Strompreissignale reagieren, ist im Aufbau begriffen.

»Die Grundidee dahinter stammt aus der Wirtschaftstheorie, nach der Angebot und Nachfrage den Preis regeln. Und darüber soll dann wiederum die Stromnachfrage angepasst werden: Viel Strom – viele Abnehmer, wenig Strom – wenige Abnehmer«, sagt Professor Stefan Bornholdt vom Institut für Theoretische Physik der Universität Bremen. »Die Standardtheorie von Angebot und Nachfrage ist jedoch unvollständig, wenn eine riesige Zahl Konsumenten gleichzeitig um den günstigsten Preis konkurriert. Denn natürlich wollen alle ihre Wäsche waschen, wenn der Strom am billigsten ist.«

Nach Untersuchungen Professor Bornholdts und seiner Mitarbeiter Stefan Börries und Sebastian Krause könnte die Preisbildung an diesem neuen Strommarktsegment allerdings »chaotisch, wild und zappelig« werden, ähnlich wie an einer neuen Finanzbörse, an der sich viele (unerfahrene) Anleger tummeln, wie einst dem neuen Markt. So ist das Ergebnis ihrer Computersimulation der Konkurrenzsituation der Stromkonsumenten.

Stefan Bornholdt erklärt: »Wenn wenig Strom im Netz und der Preis daher teuer ist, wird das Waschen einfach verschoben. Aber das geht nicht unendlich lang, weil es sich beim Waschen um ein Grundbedürfnis handelt. Je mehr von den Menschen vorprogrammierte Waschmaschinen nun auf ihren Start warten, desto höher steigt die potentielle Nachfrage: Eine Nachfrage-Blase bildet sich.«

Sinkt der Strompreis wieder, wollen nun alle auf einmal Waschen, weil sie aufgrund des sich aufstauenden Waschbedürfnisses ihre (preisliche) Schmerzgrenze nach oben verschoben haben. »Dann wird ein kollektiver Lawinen-Mechanismus ausgelöst, der die Stromnetze extrem belastet – Blackouts wegen unerwarteter Überlastung nicht ausgeschlossen«, so der Bremer Physiker.

Vor der umfassenden Einführung variabler Strompreismodelle, die durch ubiquitäre Smart Meter möglich werden, warnen die Forscher, dies sei »ein Schnellschuss, der nicht sorgfältig bis zum Ende durchdacht ist.« Es gelte Versorger auf die möglichen Gefahren hinzuweisen. »In unserem Computermodell haben wir mit verschiedenen Variablen das nachvollzogen, was reale Menschen in solchen Situationen logischerweise tun würden«, so Bornholdt. «Der Einzelne weiß in solch einer Situation natürlich nicht, welche Folgen sein Verhalten hat, wenn es sich potenziert. Und leider wissen es auch diejenigen noch nicht, die den Strom bereitstellen.«

Die Ergebnisse der Bremer Forscher wurden im Beitrag »When a market does not dampen fluctuations but amplifies them« (Wirtschaftsphysik der adaptiven Strommärkte: Wenn ein Markt Schwankungen nicht dämpft, sondern verstärkt) in der Zeitschrift Physical Review der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft veröffentlicht.


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