»Weil wir heute als einziger Stromversorgungs-Distributor mit einem Elektroniklabor aufwarten können«, so Traum, »ist das ein klares Differenzierungsmerkmal«. Da passt es, dass sich mit der Zeit auch das Image der Mean-Well-Produkte verändert hat. Galten sie vor etwa einem Jahrzehnt in erster Linie als Preisbrecher, die nicht unbedingt mit feinster Technik und Zuverlässigkeit aufwarteten, hat sich das in den letzten Jahren geändert. Dokumentiert wird dieser Wandel unter anderem in einem Test, den der Lehrstuhl für Elektromagnetische Felder der Universität Erlangen-Nürnberg im Auftrag einer Fachzeitung durchführte. Mit 93,9 Prozent Wirkungsgrad zeigte dabei ein Mean-Well-Gerät der jüngsten Generation den besten Wert im Testfeld.
Mit entscheidend für diesen Erfolg der jüngsten Gerätegeneration war für Traum die strategische Entscheidung der Entwickler, auf moderne Leistungshalbleitertechnologie von Infineon Technologies zu setzen. Dieser Schritt trug zwar mit zu den gewünschten technischen Verbesserungen bei, doch für Infineon war Mean Well ein unbeschriebenes Blatt. Die fehlende Kundenhistorie führte zu Lieferengpässen, als der Leistungshalbleiterbedarf nach der Krise 2009 wieder in die Höhe schnellte. »Inzwischen verfügen wir über eine Second-Source«, lächelt Traum, »aber durch diese Lernkurve musste wir wohl erst mal gehen«.
Von äußerst positiven Erfahrungen berichtet Traum im Zusammenhang mit dem asiatischen Keiretsu-Gedanken vor dem Hintergrund des Krisenjahres 2009 und der Ereignisse nach der Dreifachkatastrophe von Japan Anfang März dieses Jahres. »Natürlich wurde auch die Entwicklung von Mean Well durch die Weltwirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 beeinträchtigt«, blickt Traum zurück, »aber man blieb seinen Vertragsverpflichtungen gegenüber den Zulieferern treu. Sie wurden im Maximalfall um ein, zwei Monate in die Länge gezogen, aber man hat nicht einfach bestehende Verträge gekündigt oder einfach von heute auf morgen Lohndienstleister auf Null gefahren«.
Ein Managementstil, der sich in der Aufschwungphase ausgezahlt hat. »Auch unsere Lieferzeiten haben sich im Aufschwung oder nach den Ereignissen in Japan verlängert«, gibt der Geschäftsführer zu, »aber wir zählten zu den ersten, wenn es dann darum ging, verfügbare Ware und Komponenten zuzuteilen«.
Mit der wachsenden Marktmacht Mean Wells dürften diese Verbindungen noch intensiver werden. Nachdem das zwischenzeitliche Ziel, ein Umsatzvolumen von 500 Mio. Dollar zu generieren, inzwischen fast erreicht ist, schickt sich das Unternehmen unter seinem Gründer Jerry Lin an, noch in diesem Jahrzehnt Kurs auf die 1-Mrd.-Dollar-Umsatz-Schwelle zu nehmen.
Auf diesem Wachstumspfad spielen nicht nur die bereits erwähnten Stromversorgungen für LED-Applikationen eine wichtige Rolle, sondern in Zukunft auch neue Gerätelösungen für den Solarmarkt. »Mean Well ist zu Beginn mit Insellösungen in diesen Markt gestartet«, schildert Traum den bisher nicht ganz hindernisfreien Weg in diesem Boom-Segment der Stromversorgungsbranche. Aus einem Projekt für Südafrika entstanden, war diesem Ansatz aber nicht der breite, erhoffte Markterfolg beschieden. Inzwischen wurden daraus die Konsequenzen gezogen und die Entwickler haben ein Familie von 5-kW-Solarinvertern entwickelt, die, wenn alles nach Plan läuft, wohl ab kommendem Jahr auch auf dem deutschen Markt angeboten werden sollen.
Doch damit nicht genug: Solarinverter für Residential- oder Commercial-Anlagen stellen nur den ersten Schritt in das Solarstrom- und E-Mobility-Segment dar. In den Entwicklungslabors wird bereits an Solartanksäulen gearbeitet, ein Zeitpunkt für die Markteinführung steht aber noch nicht fest. Auf den E-Mobility-Markt zielen nach Traums Aussagen letztlich auch die ersten Schritte in Richtung 100-W-Wandler für Bahn-Applikationen oder Gabelstapler. »Mean Well steht in diesem Marktsegment noch ganz am Anfang, doch das Beispiel LED-Stromversorgungen hat gezeigt, wie schnell es dem Unternehmen gelungen ist, sich mit entsprechenden Produkten auf diesem Wachstumsmarkt zu etablieren«.
Doch damit nicht genug: Um das komplette Angebot eines One-Stop-Shops bieten zu können, fehlten Mean Well bisher Brick-Wandler, wie sie vor allem in Tele- und Datenkommunikationsapplikationen zum Einsatz kommen. Doch auch diese Lücke wurde nun geschlossen. »Wir werden als nächstes eine Familie von Half-Brick-Wandlern auf den Markt bringen«, kündigt Traum an, »im ersten Schritt wird es sich dabei um Module mit Ausgangsleistungen von 75, 100 und 150 W handeln. Für die Zukunft ist der weitere Ausbau dieser Produktkategorie vorgesehen«.
Doch der Produktnachschub aus den asiatischen Fabriken und der wachsende Markerfolg haben Traum auch ein Luxusproblem beschert, das er vor zwei Jahren wirklich nicht für möglich gehalten hätte: »Unsere vor zwei Jahren errichtete Logistik- und Lagerhalle ist inzwischen schon wieder bis unters Dach gefüllt«, beschreibt er sein Problem. Ein Neubau, so Traum, sei vorerst aber nur die letzte Option. Stattdessen will er versuchen, in Zusammenarbeit mit Logistikdienstleistern wie UPS, DHL und Logwin neue Logistikkonzepte aufzusetzen, die unter anderem etwa die direkte Belieferung der Kunden direkt vom Anlagehafen her vorsehen. Doch noch befindet man sich erst am Anfang der Gespräche. Sollte sich jedoch auf diesem Wege keine Lösung für das »Luxusproblem« finden lassen, »werden wir wohl in den sauren Apfel beißen müssen und neu bauen«. Erfolgreich am Markt zu agieren, kann einem eben immer neue Herausforderungen bescheren.