Wie Hanausek erläutert, kann es aber auch ganz einfache Gründe geben, warum sich Lieferzeiten schlagartig verlängern. »Wir hatten das Beispiel eines 12-W-Steckernetzteils eines taiwanischen Herstellers«, schildert er die Ereignisse, »in diesem Gerät waren insgesamt 14 Bauteile verbaut. Eines davon war auf einmal nicht mehr lieferbar, und so sprang die Lieferzeit für das Steckernetzgerät auf 50 Wochen«. Es habe sich bei dem Hersteller um ein durchaus bekanntes Unternehmen gehandelt, dessen Umsatz deutlich über 100 Millionen Dollar liege.
Auf fehlende Komponenten führt auch Egbers die Lieferprobleme bei General Electric zurück. »Wir führen etwa ein Dutzend Hersteller, deren Lieferzeiten sich im Schnitt um etwa fünf oder sechs Wochen erhöht haben«, erläutert er, »aber richtig schlimm ist das bei General Electric«. Das amerikanische Unternehmen stellt Stromversorgungen vor allem für den Laser- und Broadcasting-Bereich her, deren Leistungen bei 300 W beginnen. Die verlängerten Lieferzeiten werden mit Beschaffungsproblemen bei Power-Kondensatoren und SiC-MOSFETs begründet. Zumindest das Argument der SiC-MOSFETs kann Egbers nachvollziehen: »Wir vertreiben auch Wolfspeed, und deren Lieferzeiten lagen schon mal bei 60 bis 70 Wochen, inzwischen sind die wieder auf 20 bis 30 Wochen runtergegangen«. Wenn ein Kunde wie Tesla nach SiC-MOSFETs verlange, werde dieser wahrscheinlich eher bedient »als wir mit unsren Industriekunden und deren vergleichsweise kleinen Stückzahlen, wir müssen dann halt warten«, so sein Fazit.
Wie Markus Bicker, Gründer und Geschäftsführer der Bicker Elektronik, erläutert, gibt es auch andere namhafte Unternehmen, die sich angesichts der aktuellen Situation größeren Herausforderungen gegenübersehen als andere. »Auch bei Artesyn liegen die Lieferzeiten inzwischen bei 25 Wochen, wir haben unser Lager auch aus diesem Grund um 25 Prozent vergrößert.« In puncto Qualität, Zertifizierung, Dokumentation und technischem Support »ist Artesyn hervorragend, aber sie haben wohl ein Problem beim Image, wie wir feststellen mussten. Auf Messen und auch werblich sind sie kaum präsent. »Sie investieren in die Entwicklung neuer Produkte, toll, aber um ein Output zu bekommen, muss ich zuvor auch etwas investieren.«
Von einem hohen, aber stabilen Niveau im Hinblick auf die Lieferzeiten spricht Richard Needham, Senior Marketing Manger Power & Discretes bei Rutronik. »War der Kunde in der Vergangenheit gut beraten, bei On-Board-Stromversorgungen mit einem Planungshorizont von drei Monaten zu arbeiten, raten wir ihm inzwischen eher zu neun Monaten.« Wie die übrigen Distributoren hat auch Rutronik sein Lager im Stromversorgungsbereich hochgefahren. »Aus heutiger Sicht sehe ich eine gute Chance, dass wir das auch weiterhin gut im Griff haben«, stellt Needham fest, »weil die Kunden ihre Planungshorizonte angepasst haben«.
»Natürlich könnte ich jetzt behaupten, wir hätten das vorhergesehen, und sind deshalb gut vorbereitet«, flunkert Lars Bochmann, Geschäftsführer der M+R Multitronik, »aber es ist schlicht so, dass der Ausbau unserer Lager- und Logistikkapazitäten Teil unserer Wachstumsstrategie war«. Bochmann verweist aber auch darauf, »dass es in jeder Branche mal Probleme mit irgendwelchen speziellen Teilen gibt. Im Jahr 2010 waren das in der Schifffahrt etwa Kurbelwellen«. Der Grund dafür: Die Kunden können immer nur einen begrenzten Forecast geben: »Ein Plan ist ein Plan ist ein Plan«. Vor diesem Hintergrund muss man als Distributor nach seiner Ansicht auch mal ins Risiko gehen können.
So einig sich die Diskussionsteilnehmer darüber sind, dass die Kunden spätestens seit der diesjährigen Embedded World mit dem Thema Lieferzeitverlängerungen vertraut waren, so sicher sind sich die Experten, dass sich das Thema Lieferzeiten in den nächsten Wochen noch weiter verschärfen wird. »Ich habe dafür keine validen Fakten, aber ich vermute, dass sich das noch ein wenig zuspitzen könnte«, meint etwa Rehm, »auch Mean Well hat inzwischen damit begonnen, nachzukorrigieren«.