Labormesstechnik

Tipps zur Kalibrierung

21. Januar 2015, 13:59 Uhr | Von Murray Coleman
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„Falsche OKs“ und Kalibrierung – welche Sicherheit hat man?

Selbst hier setzt sich jedoch das Fragenstellen fort. Denn wenn ein Kalibrierunternehmen zertifiziert, dass ein Gerät spezifikationskonform ist, hat der Benutzer das Recht zu fragen: Wie sicher kann ich sein, dass die Kalibrierung selbst nicht ein „falsches OK“ hervorbringt? – Schließlich besteht ein Unterschied zwischen einer Kalibrierung, die an 100 Testpunkten durchgeführt wurde, und einer Kalibrierung, die an 5000 Testpunkten durchgeführt wurde. Ein Gerät, das an 100 Testpunkten spezifikationskonform ist, könnte auch an 4900 weiteren Testpunkten spezifikationskonform sein. Genauso aber auch nicht. Welchen Wert hat also die zusätzliche Sicherheit, die durch die zusätzlichen 4900 Testpunkte erbracht wird? Würden zusätzliche 900 Testpunkten eine ausreichende Sicherheit bringen? Oder weitere 2900? Oder ist die Sicherheit, die man erhält, selbst bei einer Kalibrierung mit 5000 Testpunkten nicht ausreichend?

Die Frage der Sicherheit ist der Grund, weshalb es zwischen den Kali­brierungen kein normales Intervall und weshalb es keine Standarddefinition für die Kalibrierung gibt. In einer idealen Welt würde in der Tat jeder Benutzer die Spezifikation des Kalibriervorgangs durch Bezugnahme auf deren Anwendungs- und Betriebsbedingungen festlegen. Allgemein gilt: Je höher das Risiko für die operative oder finanzielle Performance ist, das sich aus geringen Fehlerquoten in Testergebnissen ergibt, umso intensiver und teurer sollte die Kalibrierung sein.

In komplexen Testsystemen kann die Spezifikation von Kalibrationen eine intensive Ingenieurleistung wert sein
Bild 1. In komplexen Testsystemen kann die Spezifikation von Kalibrationen eine intensive Ingenieurleistung wert sein.
© Anritsu European Service Centre

Jedoch beseitigen die besten Statistikmodelle nicht die Beurteilung durch den Benutzer. Selbst dann, wenn der Konfidenzgrad für ein Kalibrierresultat genauestens bekannt ist, muss der Benutzer beurteilen, ob dieser Konfidenzgrad angemessen für die Anwendung ist. Und mit jedem Tag, der nach der Kalibrierung verstreicht, kann die Leistung des Gerätes vom Mittelpunkt der Gerätespezifikation abweichen und – genauso wahrscheinlich – wieder zurück wechseln. Der Abweichungsgrad ist zwangsläufig unbekannt, kann aber auf der Grundlage von Erfahrungen und durch Anleitung des Herstellers geschätzt werden. Nochmals sei gesagt, dass eine Bewertung des Risikos einer Falscheinschätzung der Abweichung dieses Grades vorgenommen werden muss. Diese Bewertungen haben schwerwiegende kommerzielle Folgen. So ist z.B. ein Auftragnehmer für den Bau von Basisstationen, die in den Wüstenregionen Nordafrikas betrieben werden, erheblichen potenziellen Kostenüberschreitungen ausgesetzt, wenn es zu Fehlfunktionen an einer neu errichteten Basisstation kommt. Es ist nämlich kostenintensiv, einen Reparaturtrupp an einem abgelegenen Ort unter rauen Bedingungen einsetzen zu müssen, nur um Arbeiten zu korrigieren, die gleich zu Anfang ordnungsgemäß hätten ausgeführt werden sollen. Für diesen Benutzer besteht ein enormer Ansporn, „falsche OKs“ zu vermeiden, die z.B. durch einen nicht spezifikationskonformen Handheld-Vektornetzwerk-Analysator ausgegeben werden. Ein solcher Benutzer sollte daher einen sehr hohen Konfidenzgrad für die Kalibriertestergebnisse fordern.

Typische Verhaltensmuster der Geräte beobachten!

Für andere Anwendungen jedoch können Beurteilung und das Einbringen von Erfahrung ohne Verwendung komplexer Statistikmodelle vorgenommen werden. In vielen Fällen ist es ausreichend, Muster in Kalibrierergebnissen zu beobachten: Wenn ein Gerät nach 12-monatigem Betriebseinsatz erstmalig kalibriert wird und die Vorkalibrierungs-Ergebnisse zeigen, dass das Gerät deutlich innerhalb der Spezifikation liegt, ist es sinnvoll, in Zukunft mit einem Kalibrierintervall von 12 Monaten fortzufahren.

Ebenso könnten einige Benutzer Vergleichskurven heranziehen, um die Spezifikationstreue periodisch zu verifizieren, ohne dass ein vollständiger Kalibriervorgang durchlaufen werden muss. Dies ist z.B. für Benutzer eines ODTR (Optical Time Domain Reflectometer) zweckmäßig, die die Referenzlänge des Kabels zum Zeitpunkt der Erstinstallation (oder wenn es neu kalibriert wird) des Gerätes ermitteln und periodisch Messungen an demselben Kabel vornehmen, um festzustellen, in welchem Umfang eine Abweichung von den spezifizierten Daten vorliegt. Der Benutzer kann eine Grenze definieren, und wenn die Abweichung diese Grenze überschreitet, wird das Gerät zur weiteren Untersuchung und zur Kalibrierung ins Labor geschickt.

Einige sinnvolle Tipps rund um die Kalibration

Was sollten Benutzer also in der Praxis tun, um einen Kalibrierzyklus zu optimieren? Drei grundlegende Maßnahmen sind in diesem Zusammenhang zu erwähnen:

  • Betriebsbedingungen, unter denen das Gerät verwendet wird, verinnerlichen und kontrollieren. Wo es machbar ist, Tischgeräte in einem Raum mit geregelter Temperatur und Luftfeuchte stationär belassen. Dieses ist bei der Verwendung von tragbaren Geräten unmöglich. Es ist jedoch wichtig, die Benutzer über den Unterschied zwischen akzeptablen und inakzeptablen Handhabungen zu schulen. So ist z.B. das unabsichtliche Fallenlassen eines robusten Handheld-VNAs in Ordnung, ihn bewusst als improvisierten Hammer zu gebrauchen jedoch nicht.
Reinigung und Wartung im Inneren des Gerätegehäuses sind praktisch immer im Leistungsumfang der Kalibrierung durch den Hersteller enthalten
Bild 2. Reinigung und Wartung im Inneren des Gerätegehäuses sind praktisch immer im Leistungsumfang der Kalibrierung durch den Hersteller enthalten.
© Anritsu European Service Centre
  • Regelmäßige Kalibrierintervalle einhalten, um von den damit verbundenen Vorteilen zu profitieren, wie z.B. Reinigung und Wartung (Bild 2).
  • Betriebsbedingungen reagieren wird, denen es ausgesetzt sein wird. Wenn erforderlich, kann der Hersteller zudem den statistischen Rahmen zur Unterstützung der Beurteilungen liefern, wenn es nämlich um die Einschätzung von Fehlergrenzen und den Konfidenzgrad geht, den man für eine Messung ansetzen kann.

Selbst wenn man verschiedene Anwendungsszenarien entwickelt, eventuell mit dem Gerätehersteller, und auch Unsicherheitsberechnungen durchführt, so muss man als Benutzer oder Verantwortlicher immer zu einem Gesamturteil über den Nutzen bestimmter (Kalibrier-) Maßnahmen oder Rahmenbedingungen kommen. Hier kann auch ein Gerätehersteller wenig weiterhelfen. Bleibt als Empfehlung also nur: Sie kennen Ihre Anwendung besser als jeder andere – wägen Sie technische Gegebenheiten also mit Ihrer Erfahrung ab und vertrauen Sie Ihrem eigenen sachkundigen Urteil!

 

Der Autor

Murray Coleman

 

ist Leiter des Customer Service für Europa, den Nahen Osten und Afrika beim Kommunikationsmesstechnik-Hersteller Anritsu und verfügt über langjährige Erfahrung in der Anwendungspraxis von Messgeräten verschiedener Art und auch bezüglich unterschiedlicher Kalibrier-Strategien.

 

  1. Tipps zur Kalibrierung
  2. „Falsche OKs“ und Kalibrierung – welche Sicherheit hat man?

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