Schaden Mobilfunkstrahlen?

Simulationen führen zu verlässlichen Ergebnissen

5. September 2023, 9:15 Uhr | Heinz Arnold
Bei speziellen EMV-Problemen bietet sich eine nähere Ursachenanalyse mittels EMV-Nahfeldscanner an. Oft liegen EMV-Probleme auf Platinen- oder Bauteilebene. Diese Methode ermöglicht die Identifizierung der Ursache auch bei hoch integrierten Schaltkreisen.
© IMST

Können die hochfrequenten Wellen des 5G- und 6G-Mobilfunks dem Menschen schaden? Dazu hat IMST numerische Simulationsverfahren entwickelt, die kürzlich die Akkreditierung erhalten haben.

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Denn für die Betrachtung der Auswirkungen der neuen, höheren Frequenzen auf den Menschen müssen Parameter bestimmt werden, die mit der traditionellen Messtechnik so nicht ermittelt werden können. 

Schon relativ früh hat sich IMST damit beschäftigt, wie sich elektromagnetische Wellen auf den menschlichen Körper auswirken. Können beispielsweise die Wellen, die die Antennen der Mobilfunkbasisstationen oder Mobilfunkendgeräte aussenden menschliches Gewebe wie Nerven beeinträchtigen oder gar schädigen? Dazu haben die Ingenieure von IMST schon zu Anfang des Mobilfunks in Deutschland spezielle Messverfahren entwickelt. 

»Bei unseren Messungen geht es darum nationale und internationale, regulatorisch festgelegte, Grenzwerte der Einwirkung von elektromagnetischer Belastung auf Mensch und Tier (Exposition) ausgehend von Mobilfunkanlagen und -Geräten zu überprüfen«, erklärt Jens Lerner, Leiter des IMST Prüfzentrums.
 
Wie wirkt sich nun die hochfrequente elektromagnetische Strahlung genau auf das Gewebe aus? Erwärmung ist eine wesentliche Einwirkung von elektromagnetischen Wellen auf den menschlichen Körper. Sie erfolgt durch Umwandlung der Befeldungsenergie in Bewegungsenergie der Moleküle, Absorption genannt. Von diesem Effekt sind Organe und Gewebetypen in Abhängigkeit der jeweiligen Blutzirkulation unterschiedlich betroffen. Vor allem schlecht durchblutete Organe wie das Auge haben aufgrund geringer Blutzirkulation kaum einen Wärmeaustausch und absorbieren daher mehr Wärmeenergie als besser durchblutete Organe.       

Elektromagnetische Wellen treten in den Körper ein und erwärmen dort das Gewebe. Für diese Erwärmung gibt es eine Maßeinheit: Die Spezifische Absorptionsrate, kurz SAR. Der SAR-Wert gibt in W/kg an, wie hoch die thermische Wirkung der Absorption im Gewebe ist. Er ist also ein Maß für die Leistung, die im Gewebe absorbiert wird. Beim Telefonieren mit dem Mobiltelefon am Ohr dringt ein Teil der Strahlung, die das Mobiltelefon abgibt, unmittelbar ins Gewebe ein. Die von der Basisstation in weiter Entfernung abgegebene Welle trifft mit dazu vergleichbar niedrigerer Intensität am Empfänger ein. Daher ist die Einwirkung/Exposition des Mobiltelefons auf dessen Anwender höher als die der Basisstation. Darüber hinaus nimmt die Eindringtiefe elektromagnetischer Strahlung ins Körpergewebe mit zunehmender Frequenz rapide ab.

Gemessen wird der SAR-Wert mit Hilfe von sogenannten Körperphantomen. Das sind Behälter, deren Formen und Abmessungen ungefähr menschlichen Körperteilen entsprechen, beispielsweise dem Kopf. In diesen Behältern befinden sich gewebesimulierende Flüssigkeiten. Zur Messung werden die Prüfkandidaten, etwa ein Mobiltelefon, nahe an den »Kopf« herangefahren. In der Flüssigkeit des Körperphantoms befindet sich eine Messsonde, die über einen Roboter frei innerhalb des Phantoms bewegt wird und dabei die Messdaten aufnimmt. Damit die Messsonde räumlich frei im Phantom bewegt werden kann, sind diese Phantome einseitig offen wie der Schnitt durch einen Teil des Körpers. Für die Messungen wird das Mobiltelefon bei voller Leistung betrieben. Die so festgestellten Werte geben also den Worst-Case-Fall wieder, der in der Praxis selten eintritt. Denn je besser die Verbindung zur Basisstation ist, umso weniger Sendeleistung wird eingestellt. Dies ist ein nützliches Feature aller Geräte und Netze, um den Energieverbrauch zu Gunsten der Batteriebetriebszeit bis zum nächsten Aufladen zu verlängern. 

Lerner Jens
Jens Lerner, IMST: »Ab sofort können wir auch auf Basis der elektromagnetischen Simulation für 5G und 6G im Auftrag Dritter Gutachten zu den Auswirkungen auf den menschlichen Körper erstellen, wie wir das im Umfeld der herkömmlichen SAR-Messungen schon lange tun – ein wichtiger Schritt, um gesundheitliche Risiken abschätzen bzw. minimieren zu können.« 
© IMST

Derzeit befinden wir uns in der Ausrollphase der 5G-Generation, an 6G entwickeln die Ingenieure bereits schon intensiv. Die beiden neuen Generationen lassen neue Befürchtungen aufkeimen, denn technisch ändert sich einiges: Während die Antennen der Basisstationen der Vorgängergenerationen die Umgebung konstant ausleuchten, arbeiten die Basisstationen der 5G- und 6G-Generationen mit Beamforming, richten den Strahl also gezielt auf die Teilnehmer. Das schürt neue Ängste: Der Antennenstrahl »verfolgt« die Teilnehmer. Das geschieht aber wegen der höheren Effizienz, die das Beamforming erlaubt: Der gerichtete Antennenstrahl kann mit sehr viel geringerer Energie gerichtet abgestrahlt werden, als wenn der gesamte Antennensektor ausgeleuchtet werden müsste. Außerdem wären ohne Beamforming die hohen Antennendichten der vielen Basisstationen gar nicht möglich. Doch letztendlich kommt es nur auf die Energie an, die den einzelnen Menschen erreicht, nur sie kann im Gewebe umgesetzt werden. 

Weil 5G- und besonders die neue 6G-Technik mit viel höheren Frequenzen arbeiten, stellt das auch neue Anforderungen an die Messtechnik, die die Auswirkungen dieser Strahlen auf den menschlichen Körper feststellen soll. Das wird auch bei den Verfahren zur Ermittlung der Auswirkungen einiges ändern, wie Jens Lerner erklärt: »Denn bei Frequenzen von 6 GHz und darüber können die herkömmlichen messtechnischen Betrachtungen, so nicht mehr kostengünstig verwendet werden. Der Ausweg: Oberhalb von 6 GHz setzen wir nun zusätzlich numerische Simulations-Methoden ein, um die Einflüsse der hochfrequenten, kurzwelligen Strahlung genauer zu ergründen.« Das Ziel besteht darin, die Simulation, die bereits im Rahmen der hauseigenen Software »EMPIRE XPU« entwickelt wurde, künftig genauso als Dienstleistung zu etablieren wie die herkömmlichen SAR-Messungen. 

Dabei kann IMST auf die langjährige Erfahrung zurückgreifen, die die Mitarbeiter im eigenen, von der Deutschen Akkreditierungsstelle anerkannten Prüfzentrum gewonnen haben. Es wurde bereits 1996 eröffnet, also vier Jahre nach der Gründung von IMST. Seitdem hat das Prüfzentrum die Akkreditierung für zahlreiche messtechnische Verfahren erhalten. »Unser Vorteil: Die Ingenieure wissen sehr genau, wie die Verfahren aussehen müssen, damit die unabhängigen Stellen die eigenen Messmittel sowie die Prüfmethoden anerkennen. Das hat uns bei den neuen Simulationsverfahren geholfen«, freut sich Lerner. Das Ergebnis: Im Oktober 2022 hat das Prüfzentrum von IMST die Akkreditierung für Expositions-Simulationen erhalten, ein wichtiger Schritt, wie Lerner erklärt: »Nun können wir auch auf Basis der Simulation im Auftrag Dritter Expositions-Analysen erstellen, wie wir das im Umfeld der herkömmlichen SAR-Messungen schon lange tun.« 

Doch nicht nur der Mobilfunk zieht das Interesse auf sich. Viele Firmen wollen auch wissen, welche Auswirkungen die in unmittelbarer Nähe zum Körper platzierten Wearables auf das Gewebe im Körper nehmen. 

Außerdem ist von höchstem Interesse, zu wissen, wie sich Implantate unter dem Einfluss elektromagnetischer Strahlung verhalten. Können sie Schaden nehmen oder können Hörgeräte plötzlich Töne aussenden und ein Eigenleben entwickeln? Wie verhalten sie sich beispielsweise in der Nähe von Kraftwerken mit großen Transformatoren oder im Arbeitsumfeld? Wie wirken sich die elektromagnetischen Strahlen auf Herzschrittmacher aus? »Auch das messen wir, da sind wir mit unseren Messgeräten vor Ort, überall dort, wo elektromagnetische Belästigungen Beeinträchtigungen vermutet werden«, sagt Jens Lerner.  

In den meisten Fällen hat sich bisher herausgestellt, dass es keine Überschreitung der jeweiligen Grenzwerte gibt, die der Gesetzgeber vorgibt. »Meist sind die aktuellen Werte, die wir messen, weit davon entfernt«, so Lerner. Und was passiert, wenn doch einmal Überschreitungen festgestellt werden? »Dann informieren wir den Betreiber bzw. die Bundesnetzagentur, die dann weitere Schritte einleiten«, antwortet Lerner. Auch dann bleibt IMST meist mit diesen Fällen befasst, denn das Unternehmen verfügt über die erforderlichen Labore, um die weitergehenden Messungen vorzunehmen und der Sache auf den Grund zu gehen.


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