Was die Leistungsaufnahme von Sensorsystemen angeht, stellt das Gyroskop eine besondere Herausforderung dar, denn das mikromechanisch hergestellte Sensorelement muss konstant in Schwingungen versetzt werden, um die Drehraten ermitteln zu können. Ein Gyroskop verbraucht also ständig Energie – und unglücklicherweise davon auch noch relativ viel. Kein Wunder, dass die Ingenieure einen besonderen Schwerpunkt darauf setzen, Sensordatenfusions-Algorithmen zu entwickeln, die die Leistungsaufnahme des Gyroskops reduzieren. Eine Methode drängt sich geradezu auf: Das Gyroskop einfach schlafen zu schicken, wenn es gerade nicht gebraucht wird. Dafür kann der Beschleunigungssensor kontinuierlich laufen, weil er weit weniger Leistung aufnimmt. Sobald der Beschleunigungssensor eine Bewegung wahrnimmt, weckt er das Gyroskop auf. Damit dies schnell genug geschieht, muss der Sensordatenfusion-Algorithmus sehr genau auf die spezifischen Timing-Anforderungen der Sensoren abgestimmt sein.
Ein radikalerer Ansatz, der aber für Smartphones der mittleren und unteren Leistungsklasse durchaus praktikabel sein kann, besteht darin, das Gyroskop gleich ganz weg zu lassen. Das Gyroskop kann eine über Sensordatenfusion realisierte Kombination aus Beschleunigungssensor und Geo-magnetischem Sensor ersetzt werden, ein sogenannter Soft-Gyro. Dieser Soft-Gyro erfordert wiederum besonders ausgefeilte Sensorfusion-Techniken, um die geforderte Reaktionszeit und Immunität gegenüber lokalen Störmagnetfeldern zu bieten. Denn das Gyroskop wurde ja ursprünglich genau deshalb eingesetzt, um die Störungen durch äußere Einflüsse auf den Geo-magnetischer Sensor zu kompensieren.
Diese vereinfachten Beispiele zeigen schon, warum Sensordatenfusion wichtig ist und welches Potenzial darin steckt. In der Praxis steht der Entwickler vor sehr viel komplexeren Aufgaben als die Beispiele andeuten. In der realen Welt müssen eine Vielzahl von Sensoren kombiniert werden: Um etwa einen sechsachsigen Sensor aufzubauen, kommt eine Kombination aus einem dreiachsigen Beschleunigungssensor plus einem dreiachsiges Gyroskop in Frage. Eine Alternative wäre eine Kombination aus einem dreiachsigen Beschleunigungssensor und einem dreiachsigen Geo-magnetischen Sensor. Ein neunachsiger Sensor lässt sich aus einem dreiachsigen Beschleunigungssensor, einem dreiachsigen Gyroskop und einem dreiachsigen Magnetsensor aufbauen. Kommt noch ein Drucksensor hinzu, so handelt es sich um einen zehnachsigen Sensor. Außerdem ließe sich ein solches System um einen Feuchte- und einen Temperatursensor sowie ein MEMS-basiertes Mikrophon erweitern. Dazu muss den System-Designern aber eine Sensorfusion-Software zur Verfügung stehen, die es ihnen erlaubt, all diese Konfigurationen zeit- und kosteneffektiv umzusetzen und auf ihre jeweiligen Zielsysteme anzupassen.
Bleiben wir kurz beim Beispiel des Smartphones – das wohl sensorintensivste Consumer-Gerät, das jemals entwickelt wurde. Ursprünglich war der Applikationsprozessor dafür zuständig, das Sensor-Management und auch Sensorfusion mit zu übernehmen. Nun ist der Applikationsprozessor bekanntermaßen ein Stromfresser. Deshalb arbeiten in Smartphones jetzt Low-Power-Sensor-Knoten (Hubs). Sie übernehmen das Sensor-Management und die Sensordatenfusion - während der Applikationsprozessor ruhig vor sich hin schlafen kann. Auf diese Weise verlängert sich die Laufzeit des Akkus deutlich - verbesserter Leistungsumfang muss also nicht notwendigerweise mit kurzer Akkulaufzeit teuer bezahlt werden.
Sensoren halten jetzt aber auch verstärkt in weiteren Consumer-Geräten Einzug. Vom Fitness-Tracker über Gesundheitsüberwachungssysteme und Wearables bis zu speziellen Navigationssystemen reicht das Spektrum. Hier existiert – anders als bei den Smartphones – kein vordefinierter Standard. Und während Smartphone-Hersteller Zeit und Mitarbeiterressourcen in die strategische Sensortechnik stecken, verfolgen die Hersteller von Consumer-Gadgets kurzfristigere Ziele. Sie müssen in schneller Folge Innovationen liefern, enge Vermarktungsfenster treffen und mit kurzen Produktlebenszyklen zurechtkommen. Sie haben weder Zeit, Geld noch die Neigung, Sensorexperten zu werden. Und sie können ihre jeweilige Sensorstrategie von Produkt zu Produkt sprunghaft ändern. Also müssen die System-Designer Sensordatenfusion in dieser Zielgruppe aus einer anderen Perspektive angehen. Sie wollen sicherlich auf höherer Ebene Optimierungen durchführen, Sensordatenfusion-Algorithmen sehen sie aber nicht als den wesentlichen Differenzierungsfaktor an. Ihr System muss sich durch die Technik unterscheiden, die erst oberhalb der Sensordatenfusion-Ebene zum Tragen kommt. Sie wollen nichts mehr und nichts weniger als schlicht ein funktionierendes System.