Integrierte Medizinelektronik – Teil 1

Theorie und Praxis von PPG-und EKG-ICs

26. Mai 2023, 6:00 Uhr | Von Klaus Dembowski
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

PPG-Blutdruckmessung

In einem PPG-Signal steckt im Prinzip auch die Information für die Höhe des Blutdrucks, wofür die beiden Peaks für den systolischen und diastolischen Wert ausschlaggebend sind. Mit Einschränkungen sind sie es deshalb, weil ein PPG-Signal aus unterschiedlichen Gründen mit derartigen Störungen versehen sein kann, dass noch nicht einmal eine halbwegs zuverlässige Aussage zum Puls oder zur Sauerstoffsättigung möglich ist.

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Ein PPG-Signal (aufgenommen mit dem System aus Bild 1) enthält auch einen diastolischen Peak, der weniger ausgeprägt ist und sich deshalb nur schwierig mit analoger Schaltungstechnik erfassen lässt
Bild 3. Ein PPG-Signal (aufgenommen mit dem System aus Bild 1) enthält auch einen diastolischen Peak, der weniger ausgeprägt ist und sich deshalb nur schwierig mit analoger Schaltungstechnik erfassen lässt
© Dembowski

Insbesondere der kleinere Diastolic Peak (Bild 3), der sich im Wesentlichen aus der jeweiligen Physiologie des Probanden ergibt, lässt sich analogtechnisch relativ schwer erfassen. In der jeweiligen Firmware und Software der Halbleiterhersteller werden deshalb verschiedene Tricks angewendet, um Angaben für die Heart Rate, die Sauerstoffsättigung und den Blutdruck aus einem nicht optimalen PPG-Signal zu erhalten, was mehr oder weniger gut funktioniert. Die Berechnungen müssen zudem in Echtzeit erfolgen, was eine entsprechende Rechenleistung erfordert.

Für eine Aussage zur Höhe des Blutdrucks ist nicht nur eine Kalibrierung auf die jeweilige Person – Geschlecht, Alter, Gewicht – notwendig, sondern auch wieder eine Vergleichsmessung mit einem traditionellen Blutdruckmessgerät. Diese Werte bilden dann die Grundlage der Blutdruckberechnung anhand der gemessenen Werte aus einem PPG-Signal. Die Vorgehensweise ähnelt also der, wie sie oben bei der Pulswellenlauf-zeitmethode erläutert ist. Aufgrund der schlechteren Signalqualität ist sie jedoch weniger verlässlich. Deshalb wird diese Methode häufig auch als »Blood Pressure Trending« bezeichnet und erhebt auch gar nicht erst den Anspruch auf verlässliche absolute Blutdruckwerte, sondern es werden lediglich Trends ausgewiesen, die maßgeblich von der vorherigen Benutzerkalibrierung und letztlich auch der Software abhängig sind. Gleichwohl sind Trendaussagen nützlich, denn maßgebliche Veränderungen über einen Zeitraum oder Ausreißer von den üblichen Werten sollten erkannt werden, d. h. Blutdruckmesswerte aus einem PPG-Signal sind für Relativmessungen durchaus geeignet.

Blutdruckmessung mit Radartechnik

Die neueste Entwicklung zur »alternativen« Blutdruckmessung basiert auf der Radartechnik, die allerdings nicht großflächig, sondern für sehr begrenzte Umgebungen oder Flächen, im mm- und cm-Bereich, d. h. für sogenannte »Short Range Sensing Operations« zum Einsatz kommt. Infineon stellt beispielsweise ICs wie den Typ BGT60TR13C her; einen Radarsensor, der nach dem Verfahren eines FMCW-Radars (Frequency Modulated Continuous Wave) arbeitet. Das Prinzip dieses frequenzmodulierten Dauerstrichradars basiert auf der Abstrahlung eines Sendesignals, das in der Frequenz moduliert wird, und dem Empfang von Echosignalen. Damit ist eine sehr präzise Laufzeitmessung möglich, die bisher insbesondere für Abstands- und Füllstandsmessungen sowie für die Gestenerkennung zum Einsatz kommt.

Der Radarsensor verfügt über alle Komponenten für eine FMCW-Radarapplikation
Bild 4. Der Radarsensor verfügt über alle Komponenten für eine FMCW-Radarapplikation (Dembowski, nach Unterlagen von Infineon Technologies)
© Dembowski | Infineon

Der BGT60TR13C (Bild 4) verfügt über einen Sendekanal und über drei Kanäle zum Empfang der reflektierten Signale. Er beinhaltet sämtliche Elemente – Analoges Basisband, HF, PLL, ADU, FIFO, SPI – inklusive der Antenne, die für ein FMCW-Radar benötigt werden, und das alles in einem Gehäuse (PG-VF2BGA-40) mit den Abmessungen 6,5 × 5 × 0,9 mm3.

Die Arbeitsfrequenz beträgt 60 GHz und die Bandbreite 5,5 GHz. Die Kommunikation mit einem Mikrocontroller erfolgt über SPI zum Lesen und Schreiben von Registerinhalten sowie zum Auslesen des FIFO-Speichers, der die Empfangsdaten zwischenspeichert. Der Radar-IC kostet ca. 25 Euro und ein Demonstration Board (DEMOBGT60TR13CTOBO1) ca. 250 Euro.

Infineon kooperiert über sein Silicon Valley Innovation Center (SVIC) seit über zwei Jahren mit dem amerikanischen Startup Blumio [6] zur Entwicklung eines mobilen Blutdruckmessgerätes, das die Pulswellenlaufzeitmethode (PTT, s.o.) mit dem BGT60TR13C einsetzt. Die Messung des PPG-Signals als Endwert für die Pulswelle soll hierfür nicht nötig sein, sondern der systolische und der diastolische Wert sollen allein aus einem Arteriensignal mit einem Wearable am Handgelenk gewonnen werden. Wie dies genau funktioniert, wird nicht preisgegeben.

Die Animation zum Funktionsprinzip auf der Blumio-Seite mag etwas zu simplifiziert sein (https://www.blumio.com/science/), gleichwohl wird hier ein Pulssignal gezeigt, wie man es als PPG-Signal kennt. Der Punkt des diastolischen Wertes (s.o.) ist demnach aber nicht korrekt angegeben, was noch neugieriger macht, wie das System funktioniert. Das Sensor-Development-Kit soll mittlerweile verfügbar sein und wird in einem späteren Praxisbericht noch genauer untersucht werden.

Sensor Fusion

Die neue Ein-Chip-Generation, die sowohl mit LEDs und Fotodiode als auch mit Elektrodensignalen umgehen kann, wird von den Herstellern unterschiedlich bezeichnet, etwa als »Sensor Fusion«, wie sie bei Maxim Integrated heißt, oder als »Multimodal Sensor Front End« bei Analog Devices oder als »Biosignal Sensor Analog Frontend« bei AMS Osram und als »Biosensing AFE« bei Texas Instruments.

Maxim Integrated wurde vor zwei Jahren von Analog Devices übernommen, sodass die ursprünglich eigenen Entwicklungen der Medical Chips zusammengeführt wurden, was prinzipiell zum größten Lieferspektrum von Medical Chips führt. Gleichwohl werden die jeweils firmentypischen Bezeichnungen (ADPD, MAX) weitergeführt. Die Suchfunktionen auf den Webseiten funktionieren leider (immer noch) nicht befriedigend zwischen den beiden Divisionen, weshalb sich ein Entwickler nach wie vor bei beiden Firmen separat umsehen muss. Auf der Internetseite von Analog Devices gelangt man mittlerweile auch zu den Maxim-ICs, umgekehrt funktioniert dies nicht.

Andere wichtige Halbleiterhersteller auf diesem Gebiet sind Texas Instruments und AMS Osram, wobei der österreichische Halbleiterhersteller AMS das Traditionsunternehmen Osram Licht ebenfalls im Jahre 2020 übernommen hatte, sodass das AMS-Angebot auch durch die optischen Komponenten von Osram im Bereich Medical & Health ergänzt wird.

 Übersicht zu ICs mit analogen Eingangsstufen für PPG- und EKG-Messungen
Tabelle. Übersicht zu ICs mit analogen Eingangsstufen für PPG- und EKG-Messungen.
© Dembowski

In der Tabelle sind aktuelle ICs angeführt, die sowohl über optische Komponenten für die PPG- als auch für eine Elektrodenelektronik zur EKG-Messung (ECG, ElectroCardioGram) verfügen. Optional bieten sie weitere Funktionen, wie etwa für die Messung der Impedanz (Bio-Z; BIA, Body Impedance Analysis; GSR, Galvanic Skin Resistance), wofür unterschiedliche Methoden zum Einsatz kommen, die unterschiedliche Rückschlüsse auf die Physiologie ermöglichen, worauf in Teil 2 und Teil 3 der Beitragsserie noch näher eingegangen werden wird. Eine andere implementierte Option ist die direkte Signalerkennung eines Herzschrittmachers (Pace Pulse Detection), was beispielsweise mit dem AFE4960 von Texas Instruments möglich ist.

Die entsprechenden ICs sind auf den Internetseiten der Firmen nicht immer leicht zu finden, denn sie werden – je nach Hersteller – unterschiedlichen Sparten zugeordnet. Bei Maxim Integrated firmieren die Produkte unter »Sensors« (Healthcare Sensor ICs), bei Analog Devices unter »Optical Communication & Sensing« (Optical Mixed Signal Devices), bei Texas Instruments unter »Datenwandler« (Integrierte/Spezialfunktions-Datenwandler – Medizinische AFEs) und bei AMS Osram unter »Sensorlösungen« (Sensoren für Medizin und Gesundheit).

Bei Maxim Integrated taucht geradezu eine Unmenge an Healthcare-Sensor-ICs auf, die verschiedenen Sparten zugeordnet sind. Bei genauerer Betrachtung fällt aber auf, dass bestimmte ICs gleich mehreren Sparten zugeordnet werden, sodass die Vielzahl vermeintlich unterschiedlicher Bausteine täuscht. Ärgerlich ist (Stand 11/22), dass bei aktuellen ICs selbst für das Einsehen eines Datenblattes eine Geheimhaltungserklärung (NDA, Non-Disclosure Agreement) mit Maxim Integrated/Analog Devices zu vereinbaren ist.

Bei Texas Instruments tauchen ebenfalls sehr viele ICs – hier unter der Überschrift AFEs, was für »Analog Front End« steht – auf, die sich für medizinische Applikationen eignen, was aber bedeutet, dass sich die meisten davon auch für andere Schaltungen, wie etwa für die Umweltmesstechnik, empfehlen. Demnach sind dies keine speziellen ICs für medizinische Applikationen, sondern eben analoge Eingangsstufen mit verschiedenen Verstärkern, Umsetzern und GPIOs.

Aus diesen Gründen reduziert sich die Anzahl geeigneter einzelner ICs, die explizit für PPG- und EKG-Messungen vorgesehen sind, drastisch, sodass die Tabelle recht übersichtlich ausfällt. Neben dem eigentlichen IC wird ein passendes Entwicklungskit benötigt, denn die ICs sind für einfache Probeaufbauten aufgrund ihrer Gehäuse und Größen nicht geeignet. Außerdem ist noch entsprechende Software vom Hersteller erforderlich, die recht anspruchsvoll ist, weil für die Bestimmung der Vitalparameter einiges an Firmware und Auswertungssoftware zu schreiben ist.

Neben ihrem hohen Miniaturisierungsgrad ist den genannten ICs gemein, dass sie typischerweise mit einer Versorgungsspannung im Bereich von 1,7 V bis 2 V arbeiten, über einstellbare Verstärkerstufen sowie verschiedene Filter verfügen und mit 24-bit-A/D-Umsetzern aufwarten. Bei diesen kombinierten ICs (PPG und EKG) ist eine einkanalige Auslegung – drei Elektroden – typisch. Bei den explizit für EKG-Anwendungen ausgewiesenen IC-Typen, die hier jedoch nicht Gegenstand der weiteren Betrachtungen sind, wie etwa bei der ADS129x-Serie von Texas Instruments, stehen hingegen mindestens zwei Kanäle zur Verfügung.

Von den in der Tabelle angegeben »Kombi-Chips« kann lediglich der AFE4960 von Texas Instruments zweikanalig messen und erlaubt zudem eine Kaskadierung der ICs, sodass mit sechs Stück davon (theoretisch) auch ein 12-Kanal-EKG möglich ist, was dem aktuellen Standard in der EKG-Diagnostik entspricht und sowohl für Belastungs- als auch für Ruhe-EKGs verwendet wird. Ein 12-Kanal-EKG kombiniert die Standardableitsysteme nach Einthoven, Goldberger und Wilson, wodurch eine vertikale und eine horizontale Messebene zur Verfügung stehen, was somit die hohe Qualität eines 12-Kanal-EKG ermöglicht.

Demgegenüber ist die medizinische Aussage von 1-Kanal-EKGs limitiert, sie reicht jedoch für die Beurteilung von Herzfrequenz und Herzrhythmus aus und ermöglicht die Klassifizierung von Vorhofflimmern. Gesundheitliche Probleme, etwa ein Herzinfarkt, lassen sich mit einem 1-Kanal-EKG nicht identifizieren. 3-Kanal-EKGs werden für die 24h-EKG-Messung eingesetzt, was eine weit verbreitete Methode zur Diagnostik von Herzproblemen ist, ansonsten unterliegen sie in der Aussagekraft den Limitierungen von 1-Kanal-EKGs.

 

Der Autor

 

Klaus-Dembowski von derTU Hamburg
Klaus Dembowski von der TU Hamburg.
© Uni Hamburg

Klaus Dembowski

ist Entwicklungsingenieur für Low-Power- und Energy-Harvesting-Systeme. Er wurde 2011 und 2017 von der Redaktion der Elektronik für seine Fachaufsätze »Sensornetze mit energiesparender Funktechnik« und »Funkelektroden zur Messung bioelektrischer Signale: EKG ohne Kabel« als »Autor des Jahres« ausgezeichnet. Sein Fachaufsatz »Raspberry Pi: Unterschätzte One Wire-Schnittstelle« war 2021 der meistgelesene Fachaufsatz auf elektroniknet.de.

dembowski@tuhh.de


  1. Theorie und Praxis von PPG-und EKG-ICs
  2. PPG-Blutdruckmessung
  3. Literatur

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