Denkstrukturen

Konzentration aufs Wesentliche

12. Januar 2016, 10:50 Uhr | Marcel Consée
Während des Spiels zeichneten die Forscher mit Hilfe eines Elektroenzephalogramms die Hirnströme der Pianisten auf.
© MPI für Kognitions- und Neurowissenschaften

Was ist wichtiger, wenn wir eine Handlung planen: das übergeordnete Ziel oder der Weg dorthin? Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben entdeckt, dass wir zunächst das Ziel im Auge haben.

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Virtuos fliegen die Finger eines Pianisten über die Tasten und erzeugen mit scheinbarer Leichtigkeit eine Melodie, die das Publikum in ihren Bann zieht. Aber was leistet eigentlich das Gehirn des Klavierspielers, während er das Stück spielt? Der Pianist muss sowohl bedenken, was er spielt, also welche Tasten er bedient, damit eine wohlklingende Melodie entsteht, als auch wie er spielt, also welche Finger er benutzt.

»Wir wissen nun, dass der Musiker nicht beides gleichzeitig im Blick behält, sondern zunächst die angestrebte Melodie und anschließend die entsprechenden Fingerbewegungen dazu. Also erst das Was und dann das Wie«, so Daniela Sammler vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften. Ähnlich einem Fußballspieler, der sich vorrangig darauf konzentriert, den Ball ins Tor zu schießen, ohne explizit darüber nachzudenken, wie er seine Füße dafür bewegt.

Herausgefunden haben die Neurowissenschaftler diese Zusammenhänge, indem sie professionelle Pianisten gezielt in ihrem natürlichen Spielfluss störten. Sie spielten den Musikern dazu eine Melodie vor, die diese nachspielen sollten. Plötzlich tauchte darin jedoch ein unerwarteter Akkord auf, der nicht ins melodische Schema passte und im Musikerohr falsch klang. »Wie schnell der Pianist darauf reagieren kann und den unerwarteten Ton spielt, hängt davon ab, wie lang die Melodie davor war. Wenn er mehr Zeit hat, sich auf die Melodie einzustellen, wird es umso stärker überrascht, wenn seine Erwartung durch den Missklang gestört wird«, erklärt Roberta Bianco, Erstautorin der zugehörigen Studie und Doktorandin am Leipziger Max-Planck-Institut. Grund für diese Verzögerung ist, dass der Pianist schon mit der Planung der eigentlich richtigen Bewegung hin zum wohlklingenden Ton begonnen hatte, diese aber auf einmal stoppen und umprogrammieren musste.

Solche Prozesse laufen keineswegs nur bei Pianisten ab. Ähnliches geschieht auch, während wir unsere Sprache und deren Grammatik benutzen. Wir erwarten beispielsweise, dass der Satzbeginn »Ich esse jetzt einen« mit einem Nomen endet, und wären verwirrt, wenn stattdessen ein »lesen« folgen würde. »Ähnlich wie den Satzbau unserer Sprache im Gehirn, hat ein professioneller Pianist die Regeln der Musik gewissermaßen in den Fingern verinnerlicht«, so die gebürtige Italienerin, selbst studierte Musikwissenschaftlerin.

Die Ergebnisse belegen, dass das Gehirn unsere Umgebung ständig nach Regelmäßigkeiten abscannt, um unsere alltäglichen Handlungen und Interaktionen zu ermöglichen. Daraus leitet es dann ab, was als nächstes kommen könnte und bereitet die dafür notwendigen Prozesse vor. Geschieht dann etwas Unerwartetes, benötigt es eine gewisse Zeit, um sich umzustellen. »Erstaunlich ist vor allem, dass bei einem Pianisten während seines virtuosen Spiels prinzipiell die gleichen geistigen Prozesse ablaufen, wie beispielsweise beim Fußballspielen oder Kaffeekochen«, fügt Bianco hinzu.

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