Führung

»Was ist das 'Rezept'?«

30. November 2018, 8:14 Uhr | Corinne Schindlbeck
Diesen Artikel anhören

Fortsetzung des Artikels von Teil 2

»Es hängt schlichtweg davon ab, wie wir selbst ticken«

Praktisch alles, was unter »New Work« diskutiert wird, setzt Partizipation, Respekt, Augenhöhe und Vertrauen voraus. Inzwischen gibt es sogar in über 100 Firmen in Deutschland mit »Vertrauensurlaub«, vor allem in der IT-Industrie und bei Start-ups. Dazu das skeptische Zitat eines Lesers, selbst Unternehmenschef: ‚There is no free lunch‘. Warum tut sich die etablierte Industrie mit Vertrauen in ihre Mitarbeiter so schwer, während es für Start-ups kein Problem zu sein scheint? 
Ihre Aussage, dass ein Start-up sich leichter tut, kann ich gut nachvollziehen. Ich selbst startete ja als frisch gebackener Ingenieur bei der neu gegründeten National Instruments Germany GmbH und beteiligte mich maßgebend an deren Aufbau. Das würde man heute wohl als Start-up einer Niederlassung bezeichnen. Als Start-up hat man keine festgefahrenen, „gottgegebenen“ Strukturen, wie es bei größeren, etablierten Unternehmen der Fall ist. Man schafft sich seine Rahmenbedingungen selbst und kann auch selbst mitbestimmen, wie das Unternehmen „tickt“. Und man beeinflusst damit auch, wie achtsam man miteinander umgeht, und somit auch wieviel Vertrauen vorherrscht!

Das aber nichts mit der Industrie zu tun, sondern ist eine reine menschliche Komponente. Es hängt schlichtweg davon ab, wie wir selbst ticken, also mit unserer Lebenshaltung. Und bei einem Start-up tut man sich schon allein deshalb leichter, weil es weniger Leute gibt als bei einem größeren Unternehmen. Die Wahrscheinlichkeit, bei einer etablierten Firma auf nicht achtsame Menschen zu treffen, ist schon allein aufgrund der Größe des Unternehmens höher. Aber zu behaupten, dass die Strukturen des Unternehmens verhindern, achtsam zu sein, ist dann doch zu einfach.

Ein simples Beispiel: Bin ich in einem dunklen, ruhigen Raum, kann ich relativ gut meditieren, zur Ruhe kommen und mich „herunterfahren“. Versuchen Sie das aber mal in einer S-Bahn zu machen, in der die Post abgeht! Klar, das ist schwierig. Das liegt aber nicht an der Struktur, sondern rein an meiner Einstellung. Viele machen ihre innere Haltung von der Umgebung abhängig, so nach dem Motto: „Hätte ich die optimalen Bedingungen, dann könnte ich besser meditieren.“ Mit dieser Einstellung hat man immer eine wunderbare Ausrede! Ganz unmöglich ist es aber nicht, in der S-Bahn zu meditieren.

Dasselbe gilt aber auch im Unternehmensumfeld. Natürlich hilft es, wenn man die Rahmenbedingungen bei einer größeren Firma entsprechend anpasst. Es darf aber kein K.o.-Kriterium dafür sein, nicht achtsam zu sein. Denn der Clou ist ja genau der, dass es bei einer achtsamen Haltung eben nicht um die halbe Stunde Achtsamkeit (z. B. in Form einer Meditation) geht und dann ist das abgehakt. Eine achtsame Haltung hat man 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr.

In unsere Branche werden technische Spezialisten oft zu Führungskräften befördert, zumindest in den Unternehmen, in denen die Fachkarriere fehlt.  Kann man Führung aus Ihrer Sicht lernen? 
Das kommt ganz auf die jeweilige Person an. Prinzipiell ist es natürlich möglich, Führung zu lernen. Als ich angefangen habe, war ich ja auch keine fertige Führungskraft. Aber man muss erst einmal herausfinden, welcher Typ man ist. Manche bringen eine solche Veranlagung mit, die man dann entsprechen fördern kann. Manche aber eben nicht, und das muss man dann so hinnehmen. Da hilft dann auch keine Schulung.

Konflikte zum Beispiel bleiben einer Führungskraft schlichtweg nicht erspart. Um gut zu führen, muss man schon in der Lage sein, den Ton anzugeben und auch Konflikte auszutragen, in dem man proaktiv und konstruktiv zur Lösung eines Konflikts beiträgt. Und zwar indem man sich auf das oder die Gegenüber einlässt und versucht, deren Standpunkt zu verstehen, aber im Notfall auch durchgreift, wenn keine Einigung in Sicht ist. Jemand ohne dieses Profil wird als Führungskraft wohl nie glücklich werden und somit auch keinen guten Vorgesetzten abgeben.

Wie könnte man die traditionelle Industrie hin zu mehr Achtsamkeit verändern? 
Die Industrie ist wie erwähnt nur eine Reflexion dessen, was sich im Inneren des Einzelnen abspielt. Können wir keinen Frieden und kein Glück in uns selbst finden, wird es nahezu unmöglich sein, eine friedliche Umgebung um uns herum zu schaffen. („If we cannot find peace and happiness in ourselves, it will be almost impossible to create a peaceful environment around us.”). 

Ein Unternehmen könnte viele kleine Dinge einführen, um den Mitarbeitern einen Anstoß zu geben. So wäre etwa ein wöchentliches Kolloquium inklusive Fragerunde über die Bedeutung der Achtsamkeit denkbar. Oder die Firma richtet einen Raum der Ruhe ein, in dem man z. B. meditieren kann. Die Mitarbeiter könnten wiederum selbst dazu beitragen, indem sie dem Unternehmen – und somit den Kollegen – etwas zurückgeben und ihre Umgebung bereichern.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus unserer Firma. Eine Kollegin wurde von mir dazu angestachelt, Yoga zu machen. Anfänglich etwas skeptisch, befasste sie sich dann doch mit dem Thema – um festzustellen, dass das perfekt zu ihr passt. Mittlerweile ist sie ausgebildete Yogalehrerin und Meditationskursleiterin! Für ihre Ausbildung benötigte sie Urlaub für einen mehrwöchigen Kurs, der ihr von der Firma genehmigt wurde. Als Gegenleistung hat diese Kollegin jahrelang einmal in der Woche Yogaunterricht für interessierte Kollegen und Kolleginnen gegeben. 

Natürlich darf man dabei aber auch nicht vergessen, dass ein Unternehmen kein NGO oder eine demokratisch gewählte Vereinigung ist, bei der jeder mitmischen kann, wie er will. Es handelt sich trotzdem auch noch um ein Geschäft, das nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch Kunden, Zulieferer, Investoren und andere Teilhaber zufriedenstellen muss.

Welche Vorbilder haben Sie? 
Direkte Vorbilder habe ich nicht, aber ich bewundere Menschen sehr, die sich für die Menschheit einsetzen und Humanes leisten. Der Aga Khan wäre ein Beispiel, der sich der von ihm gegründeten Stiftung in der Entwicklungshilfe stark macht, aber auch Barack Obama, der nicht umsonst den Friedensnobelpreis für seine »außerordentlichen Bemühungen für die Zusammenarbeit zwischen den Völkern« erhalten hat. Aber auch Frank-Walter Steinmeier zolle ich Respekt, nicht nur wegen seines politischen Engagements, sondern auch weil er eine Niere an seine Frau gespendet hat. Angela Merkel wiederum lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und handelt immer bedächtig, egal, wie wild das Fahrwasser um sie herum ist. Das finde ich ebenfalls äußerst bewundernswert. 

Sie sind mittlerweile zum Fellow bei NI befördert worden, haben außerdem eine Professur in China. Wie hat sich Ihre Rolle für NI verändert? 
Als Business and Technology Fellow arbeite ich unternehmensweit an entscheidenden geschäftlichen und technologiegetriebenen Stoßrichtungen. Hierzu stehe ich in ständigem Austausch mit anderen Führungskräften innerhalb von NI, um so die strategische Richtung, Entwicklung und das Wachstum der Firma voranzutreiben. Geändert hat sich für mich nicht viel. Ich bin nach wie vor global tätig und habe mit vielen Sprachen, Kulturen und Ländern zu tun Allerdings muss ich mich weniger mit den operativen Dingen aufhalten, die 25 Jahre lang Teil meiner Arbeit waren.


  1. »Was ist das 'Rezept'?«
  2. Welche Rolle KI künftig einnehmen könnte 
  3. »Es hängt schlichtweg davon ab, wie wir selbst ticken«

Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu National Instruments Germany GmbH

Weitere Artikel zu Arbeitswelt