M&A in der Elektronik

»Viele Unternehmen sind zur Konsolidierung gezwungen«

29. April 2025, 12:22 Uhr | Corinne Schindlbeck
Roman Göd, Geschäftsführer MP Corporate Finance. »Auf technologischer Ebene prägen vor allem Innovationen wie Leistungshalbleiter auf Basis von SiC und GaN die M&A-Landschaft, insbesondere in Anwendungen rund um Elektromobilität und erneuerbare Energien.«
© MP Corporate Finance

Welche Auswirkungen haben Technologietrend, ESG-Kriterien, Geopolitik oder Nachfolgefragen auf die M&A-Aktivitäten in der europäischen Elektronikindustrie? Wo Roman Göd von MP Corporate Finance aktuell die größten Chancen sieht – und was über den Erfolg von Deals entscheidet.

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Herr Göd, welche aktuellen Trends sehen Sie in der Elektronikbranche und wie wirken sie sich auf M&A-Aktivitäten aus?
Etwa die zunehmende Digitalisierung industrieller Prozesse. Das treibt die Nachfrage nach smarter Elektronik, Sensorik und Embedded Systems, was spezialisierte Anbieter zu attraktiven Übernahmezielen macht. Gleichzeitig sehen wir eine dynamische Konsolidierung in der Halbleiterbranche, getrieben durch den Bedarf an leistungsfähigen Chips und den Wunsch nach Technologievorsprung. Auch ESG (Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung) – Anm.d.Red.) gewinnt an Bedeutung: Investoren richten ihre Portfolios zunehmend auf Nachhaltigkeit aus, was "grüne" Elektronikanbieter in den Fokus rückt. Zudem führt die geopolitische Lage dazu, dass Unternehmen ihre Lieferketten absichern und durch gezielte Zukäufe in der Nähe ihrer Produktionsstandorte unabhängiger werden wollen. Schließlich belebt das starke Private-Equity-Interesse an dieser hochfragmentierten Branche die Buy-and-Build-Aktivitäten deutlich.

In welchen Segmenten der Elektronikindustrie beobachten Sie derzeit das größte Potenzial?
Aktuell im Bereich Factory Automation, wo Investitionen in industrielle Sensorik, Steuerungssysteme und Edge-Computing durch den Trend zu Industrie 4.0 stark an Dynamik gewinnen. Auch das Segment Smart Building profitiert von regulatorischen Anforderungen zur Energieeffizienz und der steigenden Nachfrage nach vernetzten, sicheren Wohn- und Arbeitsumgebungen – hier stehen Anbieter mit starker IP in Connectivity und Gebäudesteuerung im Fokus strategischer Käufer. Auf technologischer Ebene prägen vor allem Innovationen wie Leistungshalbleiter auf Basis von SiC und GaN die M&A-Landschaft, insbesondere in Anwendungen rund um Elektromobilität und erneuerbare Energien. Hinzu kommen KI-gestützte Lösungen für Predictive Maintenance oder Robotik, die ebenso wie Embedded Systems und Edge-Computing zunehmend Übernahmeziele für Industrie- und Tech-Unternehmen darstellen. Nicht zuletzt gewinnt auch das Thema Cybersecurity in vernetzten Anwendungen stark an Relevanz.

Gibt es bestimmte Technologien oder Anwendungen, bei denen Sie eine M&A-Welle erwarten?
Besonders AIoT, die Verbindung von IoT und KI, gilt als einer der wichtigsten M&A-Treiber. Vernetzte, intelligente Systeme ermöglichen datengetriebene Prozesse in Echtzeit, z. B. in Smart Factories, autonomen Fahrzeugen oder Gebäudetechnik. Daraus entstehen neue Märkte in Health Tech, Agrar-IoT oder Energy Tech. Investoren und Industrieakteure kaufen gezielt Technologieanbieter, um sich Zugang zu diesen innovativen Ökosystemen zu sichern.

Gibt es Druck zur Konsolidierung? 
Ja. Technologischer Wandel, hohe Entwicklungskosten, regulatorische Hürden und globaler Wettbewerbsdruck zwingen viele Unternehmen dazu. M&A wird genutzt, um Know-how, Skaleneffekte oder Resilienz in Lieferketten zu sichern. Besonders stark ist diese Dynamik in spezialisierten Feldern wie Halbleiter, MedTech oder Industrieautomation zu spüren – dort, wo technologische Tiefe und Marktzugang über Zukunftsfähigkeit entscheiden.

Wirkt die zunehmende Komplexität in der Elektronikfertigung wie ein Katalysator für M&A-Aktivitäten?
 Unternehmen stehen vor der Wahl, entweder in teure eigene Entwicklungs- und Fertigungskapazitäten zu investieren – oder durch gezielte Übernahmen schneller auf spezialisierte Technologien zuzugreifen. Regulatorische Hürden spielen auch Rolle: Firmen mit bestehenden Zertifizierungen sind besonders attraktive Ziele, weil sie den Zugang zu streng regulierten Märkten erleichtern. Darüber hinaus geht es oft um Skaleneffekte oder die vertikale Integration entlang der Wertschöpfungskette, etwa wenn ein Sensorhersteller einen EMS-Dienstleister übernimmt, um Entwicklung und Fertigung enger zu verzahnen. M&A wird so zum Mittel der Wahl, um technologisch Schritt zu halten und die Time-to-Market zu verkürzen.

Ihr Geschäft ist es, Unternehmen dabei zu unterstützen, den idealen strategischen Partner für eine Übernahme oder den Unternehmensverkauf zu finden. Welche Rolle spielen regionale Marktkenntnisse bei grenzüberschreitenden Transaktionen im Elektroniksektor?
Gerade in der Elektronikindustrie ist der richtige Partner entscheidend für den Erfolg einer Transaktion – denn es geht nicht nur um Kapital, sondern auch um technologische Anschlussfähigkeit, Marktzugang und operative Synergien. Unsere Beratung basiert auf jahrzehntelanger Erfahrung in der Branche und einem tiefen Verständnis ihrer spezifischen Anforderungen. Wir kennen die branchenspezifischen Bewertungslogiken rund um geistiges Eigentum oder Zulassungsstatus und verfügen auf globaler Ebene über direkte Kontakte zu den relevanten Entscheidungsträgern aus der Industrie, das weit über reine Finanzinvestoren hinausgehen. So können wir passgenaue Käufer oder Verkäufer identifizieren, die sowohl technologisch als auch kulturell wirklich zum Unternehmen passen.
Regionale Besonderheiten – von regulatorischen Anforderungen über Kundenpräferenzen bis zum kulturellen Umgang mit Partnern – sind im Elektronikbereich erfolgskritisch. M&A über Grenzen hinweg erfordert deshalb präzises Marktverständnis und ein Netzwerk vor Ort. Nur wer lokale Marktlogiken, Zulassungspflichten und Vertriebskanäle kennt, kann Risiken steuern und den Wert eines grenzüberschreitenden Deals realisieren.

Buy-and-Build-Strategien sind eine Wachstumsstrategie, bei der ein Investor (oft ein Private-Equity-Unternehmen oder ein Konzern) zunächst ein etabliertes Unternehmen (die sogenannte Plattform) kauft und diese Basis dann gezielt durch weitere Zukäufe von passenden, meist kleineren Unternehmen ergänzt. Ziel dabei: schneller Marktanteile auszubauen, neue Technologien oder Regionen zu erschließen und Skaleneffekte zu erzielen. Wie sieht ein typisches Buy-and-Build-Modell im Elektronikbereich aus – und für wen ist es besonders attraktiv?
Besonders Private-Equity-Investoren, aber auch strategische Käufer setzen hier zunehmend an. Ausgangspunkt ist meist ein etabliertes Plattformunternehmen, das akquiriert und systematisch durch komplementäre Zukäufe erweitert wird, entweder technologisch, regional oder entlang der Wertschöpfungskette. Die Elektronikbranche eignet sich besonders gut dafür, da sie stark fragmentiert ist, technologisch breit aufgestellt und international skalierbar. Erfolgreich ist das Modell vor allem dann, wenn es sich auf klar definierte Nischen wie Power Electronics, Sensorik oder Medizintechnik fokussiert und die Integration professionell gesteuert wird.

Viele Elektronikunternehmen im DACH-Raum sind familiengeführt. Wie viele davon haben ein Nachfolgeproblem? 
Für Investoren sind sie der Schlüssel zu etablierten Nischenmärkten mit hohem Technologiefokus, für Unternehmer die Chance, ihr Lebenswerk strategisch abzusichern. Entscheidend ist, dass nicht nur Zahlen stimmen, sondern auch kulturelle Werte, Kontinuität und Vertrauen zwischen den Parteien gegeben sind. Gerade im Elektronikmittelstand spielen emotionale Aspekte eine große Rolle. Es geht oft nicht nur um den Verkauf, sondern darum, das eigene Lebenswerk in gute Hände zu legen. Vertrauen, ein gemeinsames Zukunftsbild und das Gefühl, verstanden zu werden, sind dabei genauso wichtig wie der wirtschaftliche Rahmen. Entsprechend häufig hören wir Sätze wie: „Ich suche keinen Investor, sondern jemanden, der mein Unternehmen versteht und ihm ein gutes neues Zuhause gibt.“

Soziale Verantwortung, gute Unternehmensführung, Umwelt: Wie beeinflussen ESG-Kriterien aktuell Kauf- und Verkaufsentscheidungen in der Elektronikindustrie? Sehen Sie einen Trend, dass Unternehmen vermehrt in „grüne Elektronik“ oder energieeffiziente Technologien investieren – und sich dabei durch M&A verstärken?
ESG-Kriterien haben in der Elektronikindustrie deutlich an Bedeutung gewonnen und sind mittlerweile ein zentraler Faktor bei M&A-Entscheidungen. Was früher eher als freiwillige Ergänzung galt, ist heute oft ein echter Dealbreaker oder Dealmaker – sowohl für strategische Investoren als auch für Private-Equity-Gesellschaften. Unternehmen, die ESG-konform aufgestellt sind, verbessern nicht nur ihre Marktposition, sondern erhöhen auch spürbar ihre Attraktivität für potenzielle Käufer oder Partner.
Es zeichnet sich ein klarer Trend ab, dass Unternehmen in der Elektronikindustrie gezielt in „grüne Elektronik“ und energieeffiziente Technologien investieren – und M&A wird zunehmend als strategisches Instrument genutzt, um in diesen Wachstumsfeldern schneller und stärker zu skalieren. Der Trend zu „grüner Elektronik“ ist real und wächst – M&A ist einer der schnellsten Wege, daran zu partizipieren.

Welche Entwicklungen erwarten Sie für die kommenden 3 bis 5 Jahre im Bereich Electronics M&A?
Wir rechnen mit einer fortschreitenden Konsolidierung in Nischensegmenten, mehr grenzüberschreitenden Deals und einem stärkeren Fokus auf KI, Edge Computing und ESG als Transaktionstreiber. Nachfolge bleibt ein zentraler Exit-Grund im DACH-Raum. Insgesamt wird der Markt komplexer, technologiegetriebener und internationaler mit entsprechend wachsenden Anforderungen an Käufer und Verkäufer.

Gibt es internationale Märkte oder Player, die Ihrer Einschätzung nach die M&A-Aktivitäten in Europa besonders prägen werden?
Mehrere internationale Akteure werden das M&A-Geschehen im europäischen Elektroniksektor in den kommenden Jahren maßgeblich mitgestalten. Aus den USA sehen wir nach wie vor eine starke Dynamik – sowohl von strategischen Käufern als auch von Private-Equity-Investoren, die Plattformstrategien mit Technologiefokus verfolgen. Auch aus China wächst das Interesse, wenngleich regulatorische Hürden ein selektives Vorgehen erfordern. Japan und Südkorea agieren oft weniger lautstark, sind aber langfristig orientierte Investoren mit hohem Technologieanspruch. Zunehmend aktiv zeigt sich auch der Mittlere Osten: Investoren aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien oder Katar bauen gezielt Technologieportfolios auf – auch im Rahmen globaler Diversifizierungsstrategien. All diese Player haben klare Ziele: Zugang zu Technologien, Markterweiterung, ESG-Kompetenz und resilientere Lieferketten.

(Interview: Corinne Schindlbeck)
 


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