Was bedeutet es für die Nachwuchsgewinnung, dass viele junge Leute laut einer Forsa-Umfrage KI nicht erklären können und von maschinellem Lernen noch nie gehört haben?
Das ist meiner Ansicht nach nicht schlimm, zumal die Begriffe ja auch sperrig sind. Denn gleichzeitig ist heute aufgrund der vielen Anwendungen und Apps die Bereitschaft und zum Teil auch die Notwendigkeit da, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Es muss nicht jeder die Gewichtsfunktionen von neuronalen Netzen bestimmen können, aber die Bereitschaft, sich auf KI einzulassen, bewusst oder unbewusst, alleine hilft schon.
Denn für KI gilt wie auch für andere Technologie-Bereiche: Anwendungen sind und werden einfacher, man muss ja beispielsweise auch nicht mehr Informatiker sein, um mit einem neuen Computer zurechtzukommen. So wie Ihnen heute ein Kopierer auf einem großen Farbdisplay zeigt und demnächst auch sagt, wo genau der Papierstau ist und was zu tun ist. Die Handgriffe danach aber sind möglicherweise die gleichen wie bei einem 15 Jahre alten Kopierer. Nur damals musste man einen Techniker rufen. Auch das ist Instandhaltung.
Bedeutet das, dass heute auch ein Facharbeiter eingesetzt werden kann, wo es früher einen Ingenieur gebraucht hätte?
Als Ingenieur würde ich sagen, dass wir weiterhin beides brauchen. Aber insbesondere in der Instandhaltung ist das Thema Bedienerwartung nach wie vor ein sehr relevantes Thema. Der Bediener übernimmt auch Instandhaltungsaufgaben, diese Entwicklung schreitet seit dem Begriff der Total Productive Maintenance bereits seit den 60er-Jahren voran. Das ist an vielen Stellen so und daraufhin richtet sich die Industrie auch aus. Je mehr anschauliche Technologie – Stichwort Kopierer – wir auch in der Produktion haben, umso mehr gelingt es den Unternehmen, geringer qualifizierte Menschen in komplexe Prozesse einzubinden.
Heißt das, Instandhaltung kann demnächst jeder?
Ganz so ist es vielleicht nicht, aber wir finden auf diese Weise einen Weg, auch geringer Qualifizierte für Instandhaltungsaufgaben zu gewinnen. Damit schaffen wir Freiräume für die Fachleute, um sich um Digitalisierung, Transformation und um kontinuierliche Verbesserungen der Produktionsanlagen zu kümmern. Das sollte aus meiner Sicht einer der Schwerpunkte der Instandhaltung sein und nicht die schnelle Reparatur vermeintlich überraschend auftretender Defekte.
Wie beschäftigt Sie das Thema bei Fraunhofer?
Heute ist nicht mehr der Instandhalter ein guter Instandhalter, der eine ausgefallene Anlage möglichst schnell wieder zum Laufen bringt. Es geht heute vielmehr darum, die benötigte Verfügbarkeit zu garantieren und mögliche Ausfälle im Vorfeld zu erkennen und zu vermeiden. Die Bereitschaft, Wissen zu teilen, ist dafür von entscheidender Bedeutung. Und heute glücklicherweise weit verbreitet, die Anzahl von ‚Likes‘ für einen guten Tipp ist mittlerweile wichtiger als Herrschaftswissen. Damit haben wir eine gute Ausgangsbasis für Wissensmanagement, welches ein sehr, sehr relevantes Thema für Instandhaltung ist. Es geht darum, Instandhalter- und Anwenderwissen für jedermann auffindbar im Unternehmen zu halten. Auch wenn jemand in den Ruhestand geht oder das Unternehmen verlässt. Leider haben viele Unternehmen dazu noch keine praktikablen Lösungen. Das Thema wird vernachlässigt, obwohl passende Technologien mittlerweile verfügbar sind. Unternehmen müssen es jetzt nur anpacken und Hoffen durch Handeln ersetzen.
Denn: Nicht immer braucht es teure Lösungen, jeder von uns trägt doch ein Smartphone mit sich herum. Beispiel Bilfinger: Das Unternehmen betreibt einen eigenen Video-Kanal ähnlich wie Youtube zur Sicherung des Wissens für die Instandhaltungs-Mitarbeiter, zum schnellen Problemlösen und zum Wissenssichern. Instandhaltungsvorgänge werden mittels Smartphone aufgezeichnet und sind zentral abrufbar. Um dieses professionell umzusetzen, braucht man Cutter, Regisseure, Tontechniker, sprich: Fachbereiche, die bis vor Kurzem wohl kaum jemand in der Instandhaltung vermutet hätte.
Fraunhofer startet zum Jahreswechsel eine Smart-Maintenance-Community. Was hat es damit auf sich?
Offiziell zum 1. Januar 2020. Hintergrund für Fraunhofer ist, dass wir nicht nur den Forschungsherausforderungen mit größeren Netzwerken begegnen müssen. Wir müssen auch besser werden, was die Verbreitung gefundener Lösungen angeht. Das gilt für Forschungseinrichtungen wie für Industrieunternehmen, die ja alle vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Wir sind bei Fraunhofer der Überzeugung, dass wir in Kooperationen und mit Netzwerken schneller weiter kommen. Es geht darum, Lösungen so zu verbreiten, dass möglichst viele Unternehmen in Deutschland und Westeuropa profitieren können. Unsere Konkurrenz sitzt ja nicht mehr im Nachbarort, sondern irgendwo anders auf der Welt. Umso mehr sollten wir uns darum bemühen, gemeinsam an die relevanten Herausforderungen heranzugehen. Dazu nutzen wir auch kollaborative Lösungen, die auf den Ideen der klassischen sozialen Netzwerke aufbauen. Unternehmen aus unserer Community sollen von Forschungsergebnissen schnell profitieren und an Weiterentwicklungen teilhaben können.
Darüber hinaus werden wir Weiterbildung zu den Themen der Smart Maintenance anbieten: zu KI, zu maschinellem Lernen, aber auch zu Managementaufgaben. Denn wenn der Bediener einer Anlage auch zum Instandhalter wird, erfordert das auch eine ganz andere Form von Management, einen kollaborativen Führungsstil.