Künstliche Neuronen können mehr als 10.000 mal schneller Signale verarbeiten als ihre echten biologischen Vorbilder – und das bei bisher unerreicht niedriger Leistungsaufnahme.
Damit scheint der Weg offen zu noch viel leistungsfähigeren Tiefen Neuronalen Netzen, als die, die wir gegenwärtig kennen – zumal die künstlichen Neuronen nicht nur viel schneller sind, sondern auch noch um den Faktor 1.000 kleiner als biologische Neuronen. Mindestens genauso entscheidend ist, dass sie auch noch sehr leistungseffizient arbeiten und kompatibel zur Fertigung in CMOS-Prozessen sind. Damit kommen Tiefe Neuronale Netze in Reichweite, die viel schneller lernen können als die heutigen Versionen, die sehr aufwändig trainiert werden müssen.
Wie haben die Forscher um Prof. Murat Onan vom MIT dieses Kunststück zustande gebracht? Ihr zentrales Element nennen sie einen »programmierbaren Widerstand«. Er verhält sich ganz ähnlich wie ein Memristoren, die die Wirkungsweise von Synapsen in biologischen Gehirnen simulieren.
Im Unterschied zu Memristoren verfügen die neuen programmierbaren Elemente, die unter Leitung von Prof. Murat Onen vom MIT entwickelt wurden, nicht über zwei, sondern wie ein Transistor über drei Anschlüsse. Beide können sich »merken«, wieviel Ladung sie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt durchflossen hat, auch nachdem die Leistungsversorgung abgeschaltet wurde. Dieser Wert bestimmt ihre Leitfähigkeit. In diesem Sinne ähneln sie biologischen Synapsen.
Die Leitfähigkeit der programmierbaren Widerstände von Prof. Onan wird durch die Verschiebung von Protonen definiert: Werden Protonen mit Hilfe eines elektrischen Feldes in die Widerstände eingebracht, erhöht sich ihr Widerstandswert, werden sie aus ihm entfernt, so sinkt er. Der dazu erforderliche Elektrolyt ähnelt den Elektrolyten, die in Batterien zu finden sind. Dort lassen sie Protonen passieren, Elektronen hingegen nicht. Für ihren programmierbaren Widerstand wählten die Forscher Phosphorzilizium-Glas, weil sie davon ausgingen, dass dieses Material eine hohe Leitfähigkeit für Protonen bei Raumtemperatur aufweist. Denn in ihm befinden sich viele Poren in der Größenordnung von Nanometern, durch die der Protonentransport geschieht, und zudem widersteht das Material sehr hohen, gepulsten elektrischen Spannungen, so dass die Protonen schnell bewegt werden können.
»Bisher waren dazu Millisekunden erforderlich, jetzt haben wir Nanosekunden erreicht«, sagt Murat Omen.
Der großen Vorzug von Phosphorsilizum-Glas besteht darin, dass es voll kompatibel zum bestehenden CMOS-Prozess ist. Deshalb lassen sich die programmierbaren Widerstände mit Hilfe von Standard-Maschinen Für die IC-Fertigung auf Strukturgrößen bis hinab zu 10 nm und drunter bringen. »Bilogische Synapsen sind dagegen um den Faktor 1000 länger!«, so Onan.
Die Geschwindigkeit, die biologische Systeme erreichen können, begrenzt die niedrige Feldstärke, die an wässerige Materialien angelegt werden kann, die die Grundlage der Neuronen im Gehirn bilden: Ab über 1,23 V spaltet sich Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff. Die Übertragung von Signalen durch Nerven findet darum im Bereich von Millisekunden statt. Diese Begrenzung kennen die programmierbaren Widerstände von Prof. Onan nicht.
Messungen haben ergeben, dass sie sogar 10.000 Mal schneller sind als biologische Neuronen – bei Raumtemperatur. »Wir waren selber überrascht, mit welch hoher Geschwindigkeit wird die Protonen im Festkörper hin- und herschieben können«, freut sich Murat Onan. »Bisherige Elemente, die biologische Synapsen nachahmen, waren durchaus vielversprechend, ihr großer Nachteil bestand allerdings darin, dass sie zu langsam und deshalb für die Integration in Prozessoren ungeeignet waren.«
Zudem sind die programmierbaren Widerstände sehr robust und können Millionen von Zyklen unbeschadet überstehen. Dabei entsteht so gut wie keine Wärme, weil praktisch keine Elektronen fließen.
Prof. Onan ist überzeugt, dass sich das Prinzip der programmierbaren Widerstände auch auf andere Gebiete anwenden lassen wird: »Dass wir ein Verfahren entdeckt haben, um Ionen mit sehr hohen Geschwindigkeiten durch Festkörper zu bewegen, wird auf anderen Gebieten interessante Aussichten eröffnen. Damit lassen sich Mikrobatterien genauso verbessern wie Brennstoffzellen und künstliche Photosynthese.«