Bei welchen Arbeitsschritten kann KI punkten und welche Tätigkeiten werden weiterhin dem Menschen vorbehalten sein?
Je repetitiver, langwieriger und mühsamer die Aufgabe ist, desto besser ist sie für KI geeignet. Wir sehen KI als einen großartigen Assistenten für den Menschen. Er unterstützt Entwickler dabei, Dinge rechtzeitig abzuliefern – und vor allem kann KI das gesamte Team dazu bringen, auf Expertenniveau zu arbeiten.
Werden KI-gestützte EDA-Tools Neueinsteigern die Arbeit erleichtern oder werden sie noch höhere Anforderungen an die Entwickler stellen?
Ja, sie werden es Neueinsteigern erleichtern, im Vergleich zu heute viel mehr Einfluss zu nehmen. Bei der IC-Entwicklung, insbesondere in bestimmten Bereichen wie z. B. dem physikalischen Entwurf, können Ingenieure das Fachwissen nicht an einem Tag oder in einer Woche erwerben, das kann ein Jahrzehnt dauern. Die Möglichkeit, das Wissen erfahrener Entwickler zu nutzen und es so zu kanalisieren, dass Neulinge und Nachwuchsentwickler in der realen Produktionsumgebung davon profitieren können, ist vielleicht der größte Wert, den KI für den Arbeitsplatz eines IC-Entwicklers mit sich bringt.
Wie wird sich die Arbeit von Entwicklungsingenieuren, die gemeinsam Systeme mit ICs/SoCs, Baugruppen und Software entwickeln, in Zukunft verändern?
Ich glaube nicht, dass es heute möglich ist, Systeme gemeinsam zu entwickeln – in der Systementwicklung wird der Ansatz »teile und herrsche« verfolgt, weil die Komplexität jedes einzelnen Bereichs enorm ist. Wir haben viele Silos, die sich gegenseitig beeinflussen, und die isolierte Optimierung dieser Silos führt zu suboptimalen Lösungen auf Systemebene, wenn man alles zusammenbringt. Im schlimmsten Fall funktionieren die Systeme überhaupt nicht.
Wie werden in den nächsten Jahren elektronische Systeme entwickelt?
KI-Unterstützung wird es Domänenexperten ermöglichen, genügend Einblick in andere Domänen zu erhalten, um die gemeinsame Optimierung organisch und parallel voranzutreiben. Wir bei Synopsys sehen eine Zukunft, in der Domänenexperten nicht nur zu Superexperten werden, deren Fähigkeiten durch KI erweitert werden, sondern auch in der Lage sind, besser mit Experten anderer Domänen zusammenzuarbeiten, um optimal konzipierte Systeme zu entwickeln und auch zu liefern.
Unser CEO, Aart de Geus, hat dafür ein tolles Beispiel: Die großen Kathedralen in Europa, von denen viele in Deutschland stehen, wurden in einer Zeit gebaut, in der man es nicht für möglich gehalten hätte, sie zu bauen. Die damaligen Baumeister mussten nicht nur die Funktion der Kathedrale verstehen und neue architektonische Formen entwickeln, sondern sie mussten auch die Eigenschaften des Steins kennen, den sie für jeden Teil des Bauwerks verwendeten. Bei der künstlichen Intelligenz werden wir Fachleute haben, die vielleicht Experten für Optoelektronik sind, die aber auch wissen, wie der Rest des Systems auf einer ziemlich tiefen Ebene funktioniert.
Wächst in Deutschland und Europa aktuell das Interesse, um ICs/ASICs selbst zu entwickeln?
Auf jeden Fall, wir sehen ein wachsendes Interesse in Deutschland und Europa. Die Entwicklung kundenspezifischer ICs und ASICs wird in einer Vielzahl von Branchen immer wichtiger, insbesondere in der Automobilindustrie, wo Deutschland eines dieser Kompetenzzentren ist.
Ich glaube, wir erleben derzeit den größten Wandel, den die Automobilindustrie seit Jahrzehnten erlebt hat, und wir fangen an, das Auto als viel mehr als ein mechanisches System zu betrachten. Es wird immer mehr zu einem softwaregesteuerten, elektronischen System, das über Autonomie verfügt und Dienste bereitstellen kann, die Dinge tun können, die vorher nicht möglich waren.
Was motiviert Unternehmen dazu, jetzt selbst ICs bzw. ASICs zu entwickeln?
Es gibt mehrere Faktoren, die Unternehmen dazu bewegen können, ihre eigenen ICs oder ASICs selbst zu entwickeln. Der Engpass bei der Versorgung mit Halbleitern ist sicherlich ein Faktor, da viele Unternehmen Verzögerungen bei der Beschaffung der ICs erlebt haben, die sie für ihre Produkte benötigen. Durch die Entwicklung eigener ICs oder ASICs haben die Unternehmen mehr Kontrolle über ihre Lieferkette.
Ein weiterer Grund ist der bereits erwähnte Trend zu einer arbeitslastgesteuerten, softwaredefinierten Architektur. In der gesamten Weltwirtschaft wird mit KI groß gedacht und es werden in einem nie dagewesenen Tempo neue Produkte entwickelt. Die speziellen Anforderungen an die Rechen-, Speicher-, Kommunikations- und Erfassungsschaltungen für diese Produkte führen zu einem erhöhten Bedarf an ICs und deren Entwicklung. Synopsys möchte, dass seine Kunden innovativ sein können, um die Produktionskosten zu senken und alle Techniken zu nutzen.
Gibt es ausreichend Fachkräfte für die IC-Entwicklung in Deutschland und Europa?
Europa hat ein unglaubliches Bildungssystem, das es ihm ermöglicht, die Innovatoren von morgen hervorzubringen. In den USA wird die Halbleiterindustrie bis 2030 mit einem Mangel an 23.000 hochqualifizierten Entwicklern konfrontiert sein. Wir und unsere Kunden machen uns große Sorgen über die Verfügbarkeit von Hochschulabsolventen und Leuten, die sich für das Fach Elektrotechnik interessieren. Was das Interesse an unseren EDA-Tools angeht, so sehen wir in Europa durchaus ein Interesse daran, unsere neue Art von KI-gesteuerten EDA-Tools in ihren Denkprozess und in die Produktion einzubinden.
Nach der Covid-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine wurde und wird öffentlich über den Wiederaufbau von Produktionskapazitäten in Deutschland und Europa diskutiert – und das nicht nur im Halbleitersektor. Was erwarten Sie für die nächsten Jahre?
Ich glaube, dass mit dem europäischen Chip-Gesetz, das darauf abzielt, die Investitionen in die Halbleiterinfrastruktur weltweit zu erhöhen, ein größeres Bewusstsein für die Probleme der Branche geschaffen wird. Es ist wichtig, dass die Regierungen dafür sensibilisiert werden, denn letztendlich strebt die Weltwirtschaft nach KI-Produktivität und -Ermöglichung – sei es in Rechenzentren, autonomen Fahrzeugen oder anderen Anwendungen –, sodass wir einen kontinuierlichen Antrieb und eine Nachfrage nach Chips sehen werden. Die Aufmerksamkeit, die wir alle diesem Thema widmen und die längst überfällig ist, ist ermutigend.