Trotz steigender Komplexität wächst das Interesse daran, Chips selbst zu entwickeln. Der Einsatz von KI in EDA-Werkzeugen soll künftig nicht nur helfen, die Komplexität besser zu beherrschen, sondern soll Expertenwissen so aufbereiten, dass Neueinsteiger schneller produktiv ICs entwickeln können.
Markt&Technik: Vor welchen Herausforderungen stehen Halbleiterhersteller, IC-Entwickler und die Anbieter von EDA-Tools derzeit?
Stelios Diamantidis: Sicherlich gibt es viele Herausforderungen, und ich denke, der Hauptantrieb der Halbleiterwelt heute ist der Übergang vom klassischen Moore-Zeitalter mit Moore‘s Law zu dem, was der CEO von Synopsys, Aart de Geus, als »SysMoore-Ära« bezeichnet: In den letzten zehn Jahren ist die Halbleiterprozesstechnik sehr viel komplexer geworden, und während Transistoren weiter in Richtung Angström-Größe verkleinert werden, flacht der Schub durch die Silizium-Prozesstechnik etwas ab. Gleichzeitig erlebt die Welt einen beispiellosen wirtschaftlichen Sog in Richtung Smart Everything, wobei neue Produkte und Dienstleistungen das 1000-Fache oder mehr an Rechenleistung erfordern und ein exponentielles Wachstum der Systemkomplexität bewirken.
In dieser SysMoore-Ära sind neue Entwurfsparadigmen erforderlich, die den klassischen Moore-Prozess mit Innovationen für systemische Komplexität verbinden. Die EDA-Branche bereitet sich auf diese Veränderungen vor, indem sie neue Techniken und Tools entwickelt, um Halbleiterhersteller und IC-Entwickler bei der Bewältigung dieser Herausforderungen besser unterstützen zu können.
Wie reagiert die EDA-Branche auf die exponentiell steigende Komplexität?
Nun, die Produktivität muss ebenfalls exponentiell wachsen! EDA ist natürlich kein Unbekannter, wenn es darum geht, die Produktivität von Ingenieuren zu steigern. In den letzten fast vier Jahrzehnten hat die EDA-Industrie 107 Produktivitätsverbesserungen in der Halbleiterindustrie erzielt, die alles, was bis heute gebaut wurde, erst möglich gemacht haben.
Die Herausforderung für EDA-Anbieter wie Synopsys besteht darin, auch in Zukunft der Wegbereiter und Katalysator für Innovationen in der gesamten Halbleiterindustrie zu sein. Wir bei Synopsys setzten auf KI, um exponentielle Produktivitätssteigerungen bei der Art und Weise, wie Menschen ICs entwerfen, zu ermöglichen.
Wie wird sich die Halbleitertechnik in den kommenden Jahren weiterentwickeln und wie bereitet sich die EDA-Branche darauf vor?
Es wird erwartet, dass sich die Halbleiterindustrie in den kommenden Jahren rasch weiterentwickeln wird, und die EDA-Branche wird eine entscheidende Rolle dabei spielen, um diese Entwicklung zu ermöglichen – durch die Entwicklung neuer Tools und Techniken. Vom Standpunkt des Siliziums aus betrachtet gibt es sicherlich einen klaren Trend zu Multi-Die-Konzepten. Heute handelt es sich dabei meist um 2,5D-Konstruktionen, doch in Zukunft werden viele Entwickler zu vollständigen 3D-Konstruktionen übergehen und dafür Verbindungstechniken nutzen, die mit dem exponentiell steigenden Datendurchsatz Schritt halten.
Die heterogene Integration von zweckgebundenen Chips, hergestellt in verschiedenen Prozesstechniken, wird hier der Schlüssel sein. Der Speicher wird noch näher an den Prozessor rücken, ebenso die Sensoren. Aus Entwicklersicht sind diese »Systems of Chips« – im Gegensatz zu den heutigen Systems on Chip – bereits softwaredefiniert, und dieser Trend wird sich sicherlich noch beschleunigen. Darüber hinaus wird die Software selbst immer stärker von der Arbeitslast abhängen, und die Arbeitslasten werden durch die Einführung elektronischer digitaler Zwillinge immer repräsentativer für reale Anwendungen.
Nur wenige Halbleiterhersteller setzen auf kleinste Strukturgrößen und modernste Fertigungstechniken. Die meisten nutzen etablierte Halbleiterprozesse für ihre IC-Entwicklung. Wird sich diese Zweiteilung – High End hier, Low Cost dort – weiter verfestigen?
Die kleinste Struktur war schon immer der Hauptfaktor für Stromaufnahme, Leistungsfähigkeit und Fläche. Diejenigen, die die schnellsten und energieeffizientesten Geräte entwickeln, werden immer nach der neuesten Fertigungstechnik Ausschau halten. Was sich geändert hat, ist die Geschwindigkeit und die Fähigkeit, dies kosteneffizient zu tun, und das ist es, was selbst die Giganten der Halbleiterwelt dazu bringt, ihre Strategien zu überdenken.
Ich glaube jedoch nicht, dass auf größeren Strukturen basierende IC-Entwürfe zwangsläufig weniger fortschrittlich sind als auf kleinen Strukturen basierende IC-Entwicklungen. Wir sehen IC-Entwicklungen auf der Basis etablierter Prozessknoten, die unglaublich schwierig zu entwerfen und herzustellen sind, weil sie in Bereichen oder in Aspekten des sprichwörtlichen Optimierungsraums an die Grenzen gehen. Bei ICs für Edge-Computing und IoT-Geräte, die in Dinge integriert sind, die wir täglich tragen und mit denen wir interagieren, müssen die Hersteller die realen Bedingungen im Betrieb genau kennen und einplanen – wie extreme Temperatur- und Feuchtigkeitsbereiche und Belastungen durch Vibrationen und EMI. Im Vergleich dazu sind bei einem IC mit kleiner Strukturgröße, der in einem klimatisierten Rechenzentrum betrieben wird, die Umgebungsbedingungen nicht anspruchsvoll.
Welche Anwendungen und Hersteller sind auf ICs mit den kleinsten Strukturen angewiesen?
Wir sehen, dass leistungshungrige ICs wie CPUs und GPUs weiterhin an der Spitze der Einführung neuer Prozessknoten stehen. Dabei kann es sich sowohl um die großen Chips handeln, die in Rechenzentren eingesetzt werden, als auch um Chips, die zunehmend in den Bereichen Mobilität und Transport eingesetzt werden.
Was bedeutet das für die Elektronikindustrie und für EDA-Anbieter wie Synopsys?
In der Elektronikindustrie hat jeder Kunde eine einzigartige Mischung aus Energie-, Leistungs- und Flächenzielen und null Spielraum für Margen. Es geht also um ICs, die einen perfekten Mix ermöglichen, schnell und kostengünstig, und das für eine unendliche Anzahl von Anwendungsvarianten. Das ist die Herausforderung.
Welche Bedeutung hat der Einsatz von KI in EDA-Tools und in der Simulation aktuell?
Sie hat eine historische Bedeutung! Wenn man sich an die 1970er-Jahre zurückerinnert, als Schaltkreise noch von Hand entworfen und gezeichnet wurden, dann haben wir seitdem einen langen Weg zurückgelegt. Mit dem Einsatz von KI in EDA-Tools können Entwicklungsteams nun einen größeren Teil des Entwurfsprozesses automatisieren, wodurch sie die Entwurfszeit verkürzen und die Entwurfsqualität verbessern können.
Wie wird KI die Arbeit von IC-Entwicklern konkret verändern?
KI wird den gesamten Design-Stack verbessern. Wir haben kürzlich Synopsys.ai vorgestellt, die branchenweit erste Suite von KI-gesteuerten Tools für die Entwicklung, die Verifikation, das Testen und die Fertigung der modernsten digitalen und analogen Chips. Die Suite erweitert DSO.ai, unsere Software zur Optimierung des digitalen Entwurfsraums, die inzwischen in weit über 100 kommerziellen Tapeouts nachweislich die besten PPA-Ergebnisse liefert (Anmerkung der Red.: PPA – Power, Performance and Area).