Die zuvor erläuterte Lösung schützt bis zu Level 4 ESD und EFT, jedoch nur bis Level 2 Überspannung. Eine Erhöhung des Überspannungsschutzpegels erhöht die Komplexität der Schutzschaltung. Das folgende Schutzkonzept bietet Schutz bis Level 4 Überspannung.
Der CDSOT23-SM712 wurde speziell für RS-485-Datenports entwickelt. Die nächsten beiden Schaltungen basieren auf dem CDSOT23-SM712 für noch höheren Schutz. In dieser Lösung bietet der CDSOT23-SM712 sekundären Schutz, während der TISP4240M3BJR-S für den primären Schutz sorgt. Der primäre Schutz leitet den größten Teil der transienten Energie aus dem System ab. Er befindet sich normalerweise an der Schnittstelle zwischen System und Umgebung. Der sekundäre Schutz besteht darin, unterschiedliche Bereiche des Systems vor den transienten Spannungen und Strömen zu schützen, die der primäre Schutz durchlässt. Typischerweise befindet sich in diesen Designs ein koordinierendes Element wie etwa ein Widerstand oder ein nichtlineares Überstromschutzbauteil. Die Tabelle zeigt die Spannungspegel, die beim Schutz vor ESD, EFT und Überspannungstransienten erreicht werden.
Bei einem Spannungstransienten am Schutzschaltkreis bricht der TVS durch und schützt das Bauteil, indem er einen Pfad mit niedriger Impedanz gegen Masse bietet. Bei hohen Spannungen und Strömen muss der TVS auch geschützt werden, indem der Strom durch ihn begrenzt wird. Dies erfolgt mit einer TBU (Transient Blocking Unit) - ein aktives, sehr schnelles Überstromschutzelement. Die hier beschriebenen Schutzschaltungen sind mit der TBU-CA065-200-WH von Bourns aufgebaut.
Eine TBU blockiert Strom, statt ihn nach Masse abzuleiten. Als in Serie geschaltetes Bauteil reagiert eine TBU auf Strom, der durch das Bauteil fließt, statt auf die Spannung über der Schnittstelle. Eine TBU ist ein schnelles Überstromschutzbauteil mit einer voreingestellten Stromgrenze und der Fähigkeit, hohe Spannungen verkraften zu können. Sobald ein Überstrom auftritt und der TVS aufgrund der transienten Spannung durchbricht, steigt der Strom in der TBU auf die durch den Baustein eingestellte Grenze an. An diesem Punkt trennt die TBU die zu schützende Schaltung in weniger als 1 µs vom Spannungstransienten. Im weiteren Verlauf der Transiente bleibt die TBU im schützenden Blockier-Zustand. Unter normalen Betriebsbedingungen zeigt die TBU eine niedrige Impedanz. Somit hat sie einen minimalen Einfluss auf den normalen Schaltungsbetrieb. Im Blockier-Zustand weist die TBU eine sehr hohe Impedanz auf, um die Energie von Transienten zu sperren. Nach einem Transienten gelangt die TBU automatisch in den Zustand mit niedriger Impedanz. Der normale Systembetrieb wird so wieder aufgenommen.
Wie alle Technologien zum Schutz vor Überstrom hat die TBU eine maximale Durchbruchspannung. Ein primäres Schutzbauteil muss daher die Spannung begrenzen und die transiente Energie nach Masse abführen. Dies erfolgt normalerweise mit Bauteilen wie Gasentladungsröhren oder Thyristoren wie der TISP. In dieser Lösung verhält sich der TISP als primäres Schutzbauteil. Sobald seine definierte Schutzspannung überschritten wird, bietet er einen Pfad nach Masse mit niedriger Impedanz. So wird der Großteil der transienten Energie vom System und anderen Schutzbauteilen abgeleitet.
Das nichtlineare Spannungs/Strom-Verhalten des TISP begrenzt Überspannung durch Ableiten des resultierenden Stromes. In seiner Eigenschaft als Thyristor hat ein TISP ein diskontinuierliches Spannungs/Strom-Verhalten, verursacht durch den Schaltvorgang zwischen Hoch- und Niedervoltbereichen.
Bild 3 zeigt das Spannungs-/Strom-Verhalten des Bauteils. Bevor der TISP in einen Zustand mit niedriger Spannung schaltet und dabei eine geringe Impedanz aufweist, um die transiente Energie abzuleiten, wird durch die Durchbruchregion eine Begrenzung ausgelöst. Beim Begrenzen einer Überspannung wird die zu schützende Schaltung für eine kurze Zeit, in der sich der TISP im Durchbruchbereich befindet, einer hohen Spannung ausgesetzt, bevor er in einen geschützten Durchlasszustand mit niedriger Spannung umschaltet. Die TBU schützt die folgenden Schaltungsteile vor hohen Strömen aufgrund dieser hohen Spannung. Sobald der abgeleitete Strom unter einen kritischen Pegel sinkt, wird der TISP automatisch zurückgesetzt und der normale Systembetrieb aufgenommen.
Schutzlösung 3
Schutzpegel über Level 4 Überspannung sind häufig erforderlich. Dieses Schutzkonzept schützt RS-485-Ports bis einschließlich 6 kV Überspannungstransienten. Es arbeitet auf ähnliche Weise wie die Schutzlösung 2. Allerdings wird in dieser Schaltung zum Schutz der TBU statt des TISP eine Gasentladungsröhre (GDT) eingesetzt. Diese wiederum schützt den TVS als sekundäres Schutzbauteil. Die GDT bietet im Vergleich zu dem zuvor beschriebenen Schutzkonzept einen Schutz vor höheren Überspannungen und Überströmen. Als GDT für dieses Schutzkonzept dient das Bauteil 2038-15-SM-RPLF von Bourns. Zum Vergleich: Der TISP in der vorher beschriebenen Schaltung ist für 220 A ausgelegt, während die GDT dieser Lösung 5 kA pro Leiter verkraftet.
Vorwiegend als primäres Schutzbauteil verwendet, bietet eine GDT einen Pfad mit niedriger Impedanz gegenüber Masse, um vor Überspannungstransienten zu schützen. Sobald eine transiente Spannung die Durchschlagsspannung der GDT erreicht, schaltet diese vom ausgeschalteten Zustand mit hoher Impedanz in den Lichtbogenzustand um. In diesem Zustand bildet die GDT einen virtuellen Kurzschluss und realisiert einen Strompfad nach Masse. Damit wird der transiente Strom vom zu schützenden Bauteil abgeleitet.
Bild 4 zeigt das typische Verhalten einer GDT. Sobald die Spannung über einer GDT steigt, beginnt das Gas in der Röhre infolge der über ihm entwickelten Ladung zu ionisieren. Dies wird als Glühregion bezeichnet. In dieser Region erzeugt der erhöhte Strom einen Lawineneffekt, der die GDT in einen virtuellen Kurzschluss verwandelt. Jetzt kann Strom durch das Bauteil fließen. Während des Kurzschlusses entsteht über dem Bauteil eine Spannung, diese bezeichnet man als „Lichtbogen“- oder „Arc“-Spannung. Die Übergangszeit zwischen Glüh- und Lichtbogen-Bereich hängt sehr stark vom physikalischen Verhalten des Bauteils ab.
Schlussbemerkung
Die wesentliche Herausforderung bei der Entwicklung EMC-konformer Lösungen für RS-485-Netze besteht in der Anpassung des dynamischen Verhaltens der externen Schutzbauteile mit dem der Ein-/Ausgangsstruktur des RS-485-Bauteils. Die drei verschiedenen EMC-konformen Lösungen für RS-485-Schnittstellen bieten Entwicklern je nach gewünschtem Schutz-Level mehrere Möglichkeiten. Das EVAL-CN0313-SD1Z ist das industrieweit erste EMC-konforme RS-485-Entwicklungs-Tool. Es bietet bis einschließlich Level 4 Schutz vor ESD, EFT und Überspannung. Zwar ersetzen diese Entwicklungs-Tools nicht die Sorgfalt oder die Qualifizierung, die auf Systemebene erforderlich ist, ermöglichen Entwicklern aber, Projektrisiken aufgrund von EMC-Problemen von Anfang an zu reduzieren. So lässt sich die Entwicklungszeit bzw. die Zeit bis zur Marktreife verkürzen.
Literatur
[1] Der EVAL-CN0313-SD1Z auf der Webseite des Herstellers: www.analog.com/RS485emc.
[2] Marais, H.: Applikationsschrift AN-960. RS-485/RS-422 Circuit Implementation Guide.
[3] Schnittstellen und Isolation:
http://www.analog.com/en/interface-isolation/products/index.html
[4] Datenblatt des ADM3485E:
www.analog.com/static/imported-files/data_sheets/ADM3485E.pdf
[5] White Paper über GDTs: www.bourns.com/pdfs/bourns_gdt_white_paper.pdf
Die Autoren
M.Eng. James Scanlon |
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studierte Elektrotechnik am University College in Dublin. Er arbeitet bei Analog Devices als Senior Engineer im Bereich Schnittstellen und Isolation. |
james.scanlon@analog.com
B.Sc. Koenraad Rutgers |
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begann seine Karriere als Applikations-Ingenieur bei Texas Instruments. Bei Bourns leitet er das europäische und asiatische Applikations-Team für Schaltkreis-Schutz, nachdem er sieben Jahre für die Chip-Entwicklung verantwortlich |