Als Reaktion auf die weltweit wachsende Nachfrage nach Embedded-Applikationen hat Avnet einen neuen Technologie-Campus eröffnet. Dort fertigt der Hersteller industrielle Computing-, System- und Server-Produkte. Markt&Technik sprach mit Silvano Geissler, Vice President Product Creation bei Avnet.
Anfang November wurde im Beisein von Vertretern der Politik und Wirtschaft die neue Fertigungsstätte von Avnet Embedded in Eschbach im Großraum Freiburg eröffnet. Das neue Werk ist auf das Entwickeln, Fertigen und die Integration maßgeschneiderter Applikationen auf Basis von Plattformtechnologien im Computing- und Displaybereich spezialisiert. Im Vergleich zum alten Standort in Freiburg stehen am neuen Campus eine etwa doppelt so große Produktionsfläche und eine vollintegrierte Logistikhalle zur Verfügung.
Markt&Technik: Herr Geissler, warum war es nötig, die Fertigungskapazitäten zu erweitern?
Silvano Geissler: Wir haben unsere Fertigungsstätte am alten Standort in Freiburg in den letzten Jahren immer weiter verdichtet und optimiert. Es war abzusehen, dass wir bald an unsere Kapazitätsgrenzen stoßen. Um unser Wachstum in den nächsten Jahren sicherzustellen, fingen wir frühzeitig mit dem Planen der Expansion unserer Produktionsmöglichkeiten an. Heute haben wir wieder alle Schlüsseltechnologien, moderne Prozesse und kompletten Arbeitsschritte unter einem großen Dach vereint und sind für die Zukunft bestens gerüstet.
Welche Produkte fertigt Avnet im neuen Werk?
Unser neuer Standort in Eschbach ist eine Systemfertigung. Der Schwerpunkt liegt auf anwendungsspezifischen Embedded-Systemen, zum Beispiel industriellen HMI-Systemen und Headless-Geräten. Die dafür benötigten Embedded Boards kommen aus unseren Produktionsstätten in Stutensee und Malta. Zudem fertigen wir in Eschbach kundenspezifische Server-Racks für Datenzentren.
Welche Eigenschaften zeichnet die neue Fabrik aus?
Unser neues Werk bietet auf einer Fläche von ca. 19.000 m² Platz für eine 8.300 m² große Produktionshalle, 7.500 m² Lagerflächen, 3.000 m² Büro- und Sozialflächen sowie ausreichend Parkplätze in einer begrünten Freifläche. Hiermit steht uns mehr als die doppelte Kapazität im Vergleich zur bisherigen Produktion zur Verfügung. Der Einsatz von Robotik oder voll integrierte Logistik- und Transportkonzepte sind nur einige Punkte, die die Produktivität steigern. Hinzu kommen die nach modernen Gesichtspunkten konzipierten Arbeitsplätze und der starke Avnet-Konzern im Hintergrund – sie sind für alle Mitarbeiter und Bewerber sehr attraktiv.
Inwiefern profitieren Ihre Kunden vom neuen Standort?
Die gerade erwähnten Punkte bedeuten für unsere Kunden, dass wir sichere, nachhaltige und konkurrenzfähige Produkte herstellen können und dies in einem einzigen nahen Umfeld vereinen.
Können Sie konkrete Punkte zum Thema »nachhaltige Fertigung« hervorheben?
Unser neuer Campus nutzt moderne Technologien und nachhaltige Fertigungsprozesse, um den Betrieb nahezu CO2-neutral zu realisieren. Bei unserem Energiekonzept setzen wir auf Geothermie und Photovoltaik und vermeiden den Einsatz fossiler Brennstoffe. Das gilt im Übrigen ebenso für unser Entwicklungs- und Produktionsgebäude für Boards in Stutensee. Das Werk in Eschbach verfügt darüber hinaus über gut dimensionierte Stromspeicher, sodass wir den überwiegenden Teil unseres Eigenverbrauchs selbst decken. Fremdbezug von elektrischer Energie haben wir über »grüne« Stromverträge geregelt. So können wir in Deutschland nachhaltig produzieren.
Lohnt sich eine Fertigung am Standort Deutschland für Sie und Ihre Kunden?
Diese Frage wird oft gestellt und kann ich aus Überzeugung mit »ja« beantworten. Die Preise für unsere Produkte und Dienstleistungen sind dank hoher Effizienz auf Weltmarktniveau. Hinzu kommt, dass unter dem Strich die Total Cost of Ownership zählt, und diese ergibt sich aus vielen Faktoren wie Qualität, Support, Maintenance oder Nähe zum Markt. Außerdem sind in den vergangenen Jahren bei vielen Kunden neue Faktoren ins Bewusstsein gerückt, und Themen wie Nachhaltigkeit, Resilienz und Produktion in einem westlichen Land spielen immer mehr eine entscheidende Rolle. In all diesen Bereichen können wir mit unseren Werken massiv punkten.
Welche Vorteile bietet die enge Verzahnung von Entwicklung, Test und Serienfertigung?
Alle drei Disziplinen beeinflussen sich gegenseitig und lernen voneinander. Manchmal treiben die Entwicklungsanforderungen eines Produkts die eingesetzte Technologie voran, in vielen Fällen ist es umgekehrt. Aufgrund der engen Verzahnung von Entwicklung, Test und Serienfertigung sind Rückkopplungsschleifen möglich, um ein Produkt schneller auf den Markt zu bringen. Der Test ist ein wesentlicher Bestandteil der Industrialisierung und begleitet die Entwicklungsphase, was den Übergang in die Serienproduktion erleichtert. Wir können hiermit Überraschungen zum Serienstart minimieren und die volle Kontrolle über das Produkt über die gesamte Laufzeit garantieren.
Wie ergänzt das neue Werk die Produktionsstätte für Embedded-Module in Stutensee? Welche Technologiekette ergibt sich daraus?
Das neue Systemwerk in Eschbach ist die Reaktion auf unser Wachstum in der Fertigungsstätte für Boards in Stutensee. Dieses wiederum ist die Antwort auf das Plus bei den Halbleiterprodukten des Avnet-Konzerns. Die Evolution, die sich seit Jahren in der Elektronikwelt abspielt, beschleunigt sich in Zukunft weiter. Hierauf haben wir haben unsere Strategie abgestimmt. Eine zusätzliche Technologieachse ergibt sich durch unsere starke Softwareorganisation Witekio mit der wir alle Marktanforderungen an die Software für Embedded-Systeme abdecken, beispielsweise Apps, Security-Funktionen, Cloud-Anbindung oder künstliche Intelligenz.
Wie viele Compute-Module fertigen Sie heute in Stutensee pro Jahr?
In Stutensee fertigen wir aktuell mehr als 1,5 Mio. Computermodule in unterschiedlichen Formfaktoren.
Welchen Stellenwert haben beide Werke innerhalb des Avnet-Konzerns?
Einen sehr hohen. Der neue Campus in Eschbach folgt der Strategie des Konzerns, die Präsenz in Europa zu vergrößern und die Standorte für Elektronikfertigung weltweit breit zu fächern. Als einer der Marktführer in der Halbleiterdistribution erkennt Avnet die Chip-Down-Anforderungen seiner Kunden, aber auch den Trend der Hersteller, der sich in der Evolution vom Chip zum Board und zum System abzeichnet. Eigene IP auf Basis der Produktlinien der Hersteller sind mit ein Grund dafür, dass Avnet den Embedded-Bereich mit entsprechender Weitsicht bereits vor zehn Jahren ins Unternehmen integriert hat. Zusammen mit Forschung und Entwicklung spielen die Werke eine tragende Rolle, wie man an dem Besuch unseres CEO Phil Gallagher in Eschbach sehen kann.
Welche Systeme fertigen Sie in Eschbach?
Wir fertigen schwerpunktmäßig komplexe HMI-Systeme, bei denen wir Touchdisplay-Stacks zusammen mit Prozessortechnologien aus eigener Herstellung kombinieren. Die industriellen Elektroniksysteme kommen in unterschiedlichen Anwendungen zum Einsatz. Zum Beispiel in Automatisierungs- und Steuerungssystemen basierend auf künstlicher Intelligenz, in Medizingeräten oder in Nutzfahrzeugen.
Welche besonderen Technologien und Services können Sie Ihren Kunden bieten?
Wir unterstützen unsere Kunden durch unsere IP unter anderem in den Gebieten Computer-on-Modules, Systementwicklung oder Produktion und Software. Aufgrund unserer Werke können wir One-Stop-Shopping, Life-Cycle-Management und Produkt-Maintenance anbieten.
Wie haben sich die Märkte in den letzten Jahren verändert?
Ein wichtiger Trend hängt mit den Erfahrungen der jüngsten Allokation sowie der geopolitischen Situation zusammen. Kunden legen sehr viel Aufmerksamkeit auf die Themen Risiko-Management und Resilienz bei der Beschaffung und wollen Sicherheit was die Kontrolle über ihre Produkte beziehungsweise deren Pflege betrifft. Risikoländer sollen nach Möglichkeit vermieden werden und Produktionsstätten in der westlichen Welt mit Lieferketten in freundschaftlichen Ländern sind ein großes Thema geworden.
Der Trend, innovative Technologien in Form von Embedded-Standardmodulen einzusetzen, ist ungebrochen und legt sogar weiter zu. Das liegt zum einen daran, dass es sich für Unternehmen immer weniger lohnt, diese als ihr Kern-Know-how selbst aufzubauen, da die Komplexität sowie die technischen Investitionen immer größer werden. Zum anderen können es sich selbst die Hersteller nicht mehr leisten, die Support-Breite der Vergangenheit aufrechtzuerhalten.
Inwiefern reagieren Sie auf neue Anforderungen in den unterschiedlichen Märkten?
Wir investieren dort in Infrastruktur und Mitarbeiter, wo wir basierend auf unserer Strategie das geplante Wachstum ausmachen. Hierbei beobachten wir die Märkte genau und nutzen sowohl unsere eigenen Fähigkeiten als auch das gewaltige Wissen des Avnet-Konzerns, um unsere nächsten Schritte zu bestätigen. Die technischen Herausforderungen sehe ich im Board-Bereich in der Miniaturisierung und im Systembereich in der Industrialisierung.
Welche Punkte möchten Sie außerdem ansprechen?
Zu den wichtigsten Voraussetzungen für das Gelingen unseres Geschäfts zählen unsere Mitarbeiter, das Leben unserer Werte sowie der wertschätzende Umgang miteinander. Aufgrund des demografischen Wandels wird das Arbeiten, Lernen und Führen im Generationenmix zu einem bedeutenden Faktor, der genauso beherrscht werden muss wie Technologie und Preise. Es liegt mir viel daran, dass wir ein Unternehmen sind, welches diese Aspekte nicht nur schriftlich festlegt, sondern auch einfordert.