Der Materialfluss bildete bisher auf der Automatisierungskarte der Bestücker einen weißen Fleck. Mit einem neuen, dynamischen Tool kann ASMPT den Materialfluss automatisch dem aktuellen Bedarf anpassen – und viel Geld sparen.
Die Bestückung von Leiterplatten ist in vielen Bereichen auf dem Shopfloor immer noch sehr personalintensiv. Dem wollte ASMPT abhelfen, und zwar in einem Sektor, der bisher meist noch statisch statt dynamisch abläuft: dem Materialfluss. Ihn dynamisch steuern zu können war das Ziel, das hinter der Entwicklung von Works Material Demand Calculation (MDC) stand. Mit Works MDC kann der tatsächliche Materialbedarf an der Linie kontinuierlich berechnen und aktualisiert werden. Das zieht zahlreiche weitere Vorteile nach sich: Maschinenstillstände werden vermieden, niemand muss mehr Angst vor Materialengpässen haben, die Linie kann optimal genutzt werden, die Mitarbeiter werden entlastet und auf unvorhergesehene Störungen kann sofort reagiert werden. Bei einem Stopp der Maschine, aus welchen Gründen auch immer, wird beispielsweise kein Material mehr nachbestellt.
Um zu verstehen, was das auf dem Shopfloor genau bedeutet, zunächst ein Blick darauf, wie das Material bisher zumeist an die Bestückungsmaschinen gelangt. Dazu gibt es derzeit vor allem zwei Methoden. Einmal wird bei Auftragseingang das gesamte Material, das erforderlich ist, um den Auftrag abzuarbeiten, an die Linie geschafft. Denn sicher ist sicher: Weil die Transparenz zwischen den Logistik- und Produktionsabteilungen fehlt, wird in der Praxis lieber Material angehäuft, aus Furcht, dass die Produktion wegen Materialmangels stillstehen könnte. Ein Tool, das zeitbasiert Material anfordern könnte, gab es bisher nicht.
Also gehen die Mitarbeiter zum Lager, um das gesamte Material dort abzuholen. Es wird in Boxen kommissioniert und an die Linien transportiert. Das bindet das Material an die Linien, das Ganze kostet Zeit und vor allem auch teuren Platz auf dem Shopfloor. Zudem muss das richtige Material zur richtigen Zeit aus den Boxen in den Bestückungsprozess eingeschleust werden, was dann wiederum neuen Zeit- und Arbeitsaufwand bedeutet. Alles nur, weil bisher die Transparenz fehlt, um immer nur so viel an die Linie zu bringen, wie aktuell wirklich benötigt würde. Deshalb sind diese teuren Zwischenlager auch unter dem bezeichnenden Namen »Angstbestände« bekannt.
Die zweite Methode besteht darin, das Material nicht komplett an die Linie zu liefern, sondern es nach Bedarf aus dem Lager abzuholen. Dazu gehen Mitarbeiter die Linie ständig auf und ab und notieren sich auf einem Papier, welche Rollen mit welchen Komponenten an welchen Maschinen aktuell benötigt werden. Dann wandern sie mit ihrem Zettel zum Lager, um das Material abzuholen und zur Linie und den Maschinen zu bringen. Auch dies ist zeitaufwendig und vor allem fehleranfällig, weil schnell einmal etwas vergessen werden kann oder eine Bestellnummer falsch notiert wird. Weil dann das erforderliche Material fehlt, kann es schnell zu kompletten Stillständen kommen – und das, obwohl aus der Sicht des ERP-Systems ausreichend Material für alle Linien auf dem Shopfloor zur Verfügung steht.
»Viele Kunden sehen das Problem schon länger und haben sich gewünscht, den Materialfluss endlich besser zu steuern, um damit es nicht mehr zu kompletten Stillständen der Linie kommen kann und nicht mehr aus Angst überflüssige Lager an den Linien aufgebaut werden müssen«, sagt Alexander Nitzsche, Senior Product Manager Automation Solutions von ASMPT.
Dies auf der Ebene des MES (Manufacturing-Execution-System) zu tun ist allerdings kaum möglich: »Dazu sind tiefe Detailkenntnisse der Maschinen erforderlich. Ich bin überzeugt, dass nur die Hersteller der Maschinen selbst den dafür notwendigen Einblick haben, um die Daten in der erforderlichen Qualität und im richtigen Format aufbereitet zur Verfügung zu stellen«, erklärt Nitzsche. Deshalb hat ASMPT im Rahmen ihrer Smart-Shopfloor-Management-Suite Works die Applikation Works MDC entwickelt. Seit August 2022 sind die Feldtests abgeschlossen, die Markteinführung hat begonnen.
Der entscheidende Vorteil: Works MDC berechnet den Materialbedarf für definierte Zeitintervalle in der Produktion ständig neu und passt ihn dem tatsächlichen Verbrauch an. So können gezielt termingerechte Bedarfsmeldungen an Zentral- und Zwischenlager gesendet sowie zeitgesteuerte Transportaufträge erstellt werden. Damit kommt genau die richtige Menge Material zur richtigen Zeit an die richtige SMT-Produktionslinie und an die richtige Maschine. »Angstbestände« gehören der Vergangenheit an, die Planung geschieht faktenbasiert, die Mitarbeiter an den Linien werden entlastet.«
Ausschlaggebend ist das insbesondere dann, wenn es zu unvorhergesehenen Zwischenfällen kommt. »Störungen sind in der Praxis das Normale«, weiß Nitzsche. »Es kommt darauf an, dass sofort darauf reagiert werden kann. Das funktioniert nur mit einem dynamischen System, wie wir es jetzt vorgestellt haben.«
Was spart dies konkret ein? Diese Frage ist gar nicht leicht zu beantworten. Dass aber deutlich eingespart wird, wissen alle, die damit zu tun haben. Derzeit arbeitet ASMPT laut Nitzsche mit einigen Kunden zusammen, um über Soll-Ist-Vergleiche das Einsparpotenzial genauer ermitteln zu können.
Und es eröffnen sich interessante Zukunftsperspektiven: Die Materialversorgung kann nun über Roboter bzw. Automated Guided Vehicles erfolgen, was die Effizienz in der immer noch personalintensiven EMS-Branche laut Nitzsche weiter steigern könne: »Da steckt noch ein enormes Potenzial, das kann jetzt gehoben werden.«
Selbstverständlich funktioniert Works MDC nur auf den Maschinen von ASMPT, »eben, weil nur wir als Hersteller die Expertise haben, um die Daten so aufbereiten und interpretieren zu können«, sagt Nitzsche. Allerdings können sich Drittanbeter an die Schnittstellen von Works andocken und eigene Systeme entwickeln. Für ASMPT gilt die Regel, die Software, die für die Produktion auf der Maschine und an der Linie erforderlich ist, selbst zu entwickeln, und alles, was darüber liegt, als Standardprodukte anzubieten. »Auf der darüber gelegenen Ebene entwickeln wir keine kundenspezifischen Produkte. Falls Kunden spezielle Anforderungen haben, arbeiten wir mit Partnern zusammen«, so Nitzsche.
So kooperiert ASMPT auf der MES-Ebene mit dem Unternehmen Critical Manufacturing. Es unterstützt die Kunden dabei, ihre Digitalisierung voranzutreiben, und kann dann auf Basis der Daten aus Works MDC Applikationen auf der Cloud-Ebene entwickeln, um beispielsweise standortübergreifend steuern zu können.