Industrie 4.0 in der EMS-Fertigung

Auf dem Weg zur smarten Produktion

10. November 2015, 16:20 Uhr | Karin Zühlke
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Fortsetzung des Artikels von Teil 2

MID-Tronic: Die erste Cloud-basierte Elektronikfertigung

Wie Industrie-4.0-Vernetzung in Reinkultur auch ohne offizielle Standards funktionieren kann, zeigt schließlich ein Blick in die Elektronikfertigung von MID-Tronic in Wiesau: Dort wird eine neue Sensorapplikation im Fahrzeug-Getriebe für einen deutschen PKW-Hersteller aus dem Premiumsegment nach den strengen Traceability-Vorgaben der VW-Norm VW 80131 in Serie produziert. Ein Novum: Die Traceability-Daten liegen in der Cloud.

Mit dem Cloud-Projekt betrat MID-Tronic-Geschäftsführer Karl Görmiller in jeder Hinsicht Neuland: »Bisher hatte ich immer mit IT-Systemen zu tun, bei denen der Server nahe an die Fertigung angekoppelt war. Durch das Cloud-basierte System kommen zusätzliche Herausforderungen ins Spiel wie Latenzzeiten, und die Netzwerkgeschwindigkeit spielt eine essenzielle Rolle.« Es gab durchaus Zweifler, wie Dieter Meuser bestätigt, CTO des MES-Unternehmens itac Software: »Im Vorfeld wurde von Experten angezweifelt, dass eine synchrone Anlagenkommunikation über Internetstrecken möglich sei, aber mit diesem Projekt konnten wir beweisen, dass dies in der Praxis realisierbar ist«, erklärt Dieter Meuser, CTO des MES-Unternehmens itac Software. Vorher erprobte itac das Szenario bereits im Labor, und die Ergebnisse waren mehr als vielversprechend. »Es gibt eine Schwelle von 500 ms, die eingehalten werden muss, um den Takt nicht zu beeinflussen. Diese wurden in unseren Versuchen deutlich unterschritten. Wir lagen im Cloud-Versuch unter 30 ms und im lokalen Netzwerk unter 22 ms für eine synchrone Transaktion von der lokalen Anlage über alle Softwareschichten bis zur lokalen Anlage.« Diese Zahlen sprechen für sich, und nach den Worten von Meuser gibt es weltweit kein vergleichbares Praxis-Projekt.

Die Linie hat ihren Betrieb mit Cloud-Anbindung seit Ende Februar dauerhaft aufgenommen, und die Praxis hält, was die Labortests versprochen haben. Gefertigt wird eine neue Sensorapplikation für eine automobile Vierfach-Gangsteller-Einheit. Dazu hat MID-Tronic für einen deutschen Aktuator-Spezialisten einen dreistufigen Fertigungsprozess zur doppelseitigen SMD-Präzisionsbestückung flexibler Schaltungsträger entwickelt und konzipiert. »Wir haben Serienzustand für das Produkt und die absolute Notwendigkeit der Traceability«, unterstreicht Görmiller. »Im Moment fertigen wir 10.000 Baugruppen pro Monat, ab Sommer werden wir auf 30.000 aufstocken, und im nächsten Jahr auf 50.000 Baugruppen pro Monat. Mittelfristig sind bis zu 1,3 Millionen Baugruppen pro Jahr vorgesehen.«

MID-Tronic orientiert sich an den „VW Anforderungen an Lieferanten von elektrischen und elektronischen Bauteilen“ VW 80131. Wenn die Elektronik ausfällt, wird das Getriebe nicht mehr repariert. Das heißt, es lastet ein hoher Produkthaftungsdruck auf dem Fertigungsbetrieb. Eine lückenlose Traceability ist demnach obligatorisch.

Wo liegen die Daten von MID-Tronic physikalisch? »Die Daten stehen nur im Zugriff unseres Unternehmens in einer Hybrid Cloud in Koblenz. Wir betreiben die Infrastruktur dort selbst, und nur Mitarbeiter der itac Software können auf diese Daten zugreifen«, versichert Meuser. Beim Rechenzentrumsbetreiber handelt es sich um einen regionalen Stromversorger, der Hardware-Kapazitäten vermietet. Aber alles, was an Security-Komponenten gegeben ist, Firewall-Strecken und Reverse Proxy, wird von itac zur Verfügung gestellt und gewartet und dem laufenden Security Assessment unterzogen. »Wir garantieren für die Sicherheit«, betont Meuser.

Auch das Problem der heterogenen Schnittstellen der Fertigungsmaschinen hat MID-Tronic gemeinsam mit seinen Lieferanten gelöst: Bei ASM Assembly Systems ist man hier schon sehr weit, andere Anlagenhersteller hingegen hinken noch hinterher. ASM nimmt mit einer proprietären, öffentlichen Schnittstelle, Siplace OIB (Operations Information Broker) eine Vorreiterstellung unter den SMT-Anlagenbauern ein. »Wir haben schon im Jahr 2007 damit begonnen, mit „Siplace OIB“ eine serviceorientierte Schnittstelle zu implementieren«, so Dr. Thomas Marktscheffel, Software-Entwicklungsleiter von ASM. »Derzeit sind wir dabei, Siplace OIB weiter zu entwickeln, auf die Maschinen unserer Schwester-Division DEK hin, und sind auch mit anderen Firmen in Deutschland zu diesem Thema im Gespräch.« Ziel sei es, so Marktscheffel, auch das Equipment anderer Hersteller mit zu integrieren. Eine Standard-Schnittstelle, die auf alle Maschinen passt, gibt es aber nach wie vor nicht.


  1. Auf dem Weg zur smarten Produktion
  2. Limtronic & iTAC: Maschinen sollen selber denken
  3. MID-Tronic: Die erste Cloud-basierte Elektronikfertigung

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