50 Jahre Rutronik

»Wir wollen auch in Zukunft unabhängig sein«

12. Juni 2023, 12:30 Uhr | Karin Zühlke
Diesen Artikel anhören

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Regionalität fördern

Rechnen Sie mit einer Konsolidierung oder einem Einbruch des Marktes?

Ich sehe derzeit keinen dramatischen Umsatzrückgang oder die Gefahr, dass der Markt einbricht. Was wir momentan schon sehen, ist, dass Kunden, wie gerade erklärt, ihre Läger noch relativ voll haben, aber die Umsätze laufen vernünftig weiter.

Sie sprechen es mit dem geringen Anteil Europas am Weltmarkt von Halbleiter-Anwendungen bereits an: Die Diskussion um mehr europäische Unabhängigkeit bei Elektronik-Komponenten ist in vollem Gange. Wie sehen Sie die Situation für Rutronik?

Der europäische Anteil am weltweiten Halbleitermarkt beläuft sich – wie vorher schon gesagt – auf weniger als zehn Prozent. Unter den Top-10-Herstellern des weltweiten Halbleitermarktes – das sind rund zwei Drittel des Gesamtmarktes – befinden sich sechs US-amerikanische Unternehmen und mit Infineon und STM nur zwei Unternehmen aus Europa – und an denen sind ebenfalls Investoren aus Amerika beteiligt.

Diese Entwicklungen bereiten große Sorgen. Wir sehen erhebliche Risiken für den europäischen Wirtschaftsstandort, insbesondere im Hochtechnologie-Bereich in Bezug auf Know-how und Patente. Da das Geschäft hier in Deutschland durch viele mittelständische Kunden ein Distributoren-Geschäft ist, ist diese Entwicklung mit Gefahren für unsere Wirtschaft verbunden. Als der einzige große europäische Distributor sehen wir uns im internationalen Wettbewerb mit erheblichen, nicht zuletzt steuerlichen Nachteilen und Hürden konfrontiert.

Gibt es noch schwarze Flecken auf der Weltkarte, die Sie mit Rutronik noch abdecken wollen in den nächsten Jahren?

Es wird zunehmend schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich, ein Unternehmen mit mehr als 80 Niederlassungen in über 40 Ländern auf drei Kontinenten zentral von Ispringen aus zu steuern. Zudem: Wer kennt die regionalen Anforderungen besser als die Mitarbeitenden vor Ort? Deshalb verstärken wir die regionale Marktpräsenz durch den Aufbau von Field-Application-Engineering- und Produktmarketing-Kompetenz vor Ort. Damit schaffen wir schnellere Entscheidungswege, ermöglichen Kommunikation in der lokalen Sprache und erhöhen die Verfügbarkeit von Fachpersonal. Darüber hinaus bündeln wir das nachgefragte Know-how genau dort, wo es benötigt wird, und können so unsere technische Expertise noch besser auf die Straße bringen.

Sie haben vor vier Jahren einen Rutronik-Standort in Indien eröffnet. Sind Sie mit der Geschäftsentwicklung dort zufrieden?

Mit unserem Geschäft in Indien bin ich sogar mehr als zufrieden. Wir haben dort ein tolles Team, was auch unsere Hersteller bestätigen. Ich habe das Team im Frühjahr selbst getroffen und bin sehr angetan. Auch Asien insgesamt hat sich sehr gut entwickelt – trotz der Pandemie-Phase, während der Reisen dorthin nicht oder kaum möglich waren.

Rutronik
Das Rutronik-Lager in Eisingen
© Rutronik

Sie sprachen eingangs davon, die Regionalität fördern zu wollen. Was heißt das nun konkret am Beispiel Asien?

Asien agiert sehr unabhängig. Die Region hat einen eigenen Einkauf, ein eigenes Produktmarketing, eigene Lager und eine eigene Preisgestaltung. Im täglichen Geschäft hat die Region also gar nichts mehr mit der europäischen Organisation zu tun. Vorteil ist, dass die Kolleginnen und Kollegen in Asien mit uns auf einer EDV-Plattform verbunden sind. Dies ist übrigens auch für die USA in Planung, sodass wir drei unabhängige Distributions-Unternehmen unter dem Dach von Rutronik haben: Asien, Europa und die USA, die jeweils lokal und unabhängig agieren.

Wir haben damit die Organisation so aufgebaut, wie unsere Hersteller auch ihre Vertriebsteams einsetzen.

Wo befinden sich die Lager in Asien?

Auch in Asien gilt es, die unterschiedlichen Bedarfe und Bedingungen hinsichtlich individueller Logistiklösungen zu berücksichtigen. Das können wir über unsere Lager-Standorte in Hongkong, Singapur und Shanghai.

Gibt es einen Warenaustausch zwischen den Regionen, wenn Not am Mann ist?

In Ausnahmefällen ist das möglich. Ziel ist es aber, dass das Geschäft lokal verankert ist, da es oft allein aus Kundensicht kaum Sinn macht, zwischen den Regionen auszutauschen. Wenn aber Not am Mann ist, können wir Lösungen finden.

Hat ein unterschiedliches Preismodell in den Regionen aus Ihrer Sicht seine Berechtigung? Kundenseitig wird das ja immer mal wieder kritisiert.

Wenn die Leute meinen, dass alles in Asien billiger ist, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Es geht ja nicht nur um das Produkt, sondern beispielsweise auch die Garantieansprüche zum Produkt. Derartige Vorgaben sind in den Regionen nicht gleich. Es gibt unterschiedliche Rahmenbedingungen in den jeweiligen regionalen Wirtschaftsräumen, und die müssen eingepreist werden. Natürlich gibt es auch das Währungsthema, das einen Preisunterschied bedingt.

Aber damit wir uns richtig verstehen: Wir sprechen beim Preismodell nicht von riesigen Unterschieden, sondern von Nuancen.

Was wünschen Sie sich als mittelständischer Unternehmer von der deutschen und europäischen Politik?

Wir als Mittelstand werden hier in Deutschland eigentlich nicht oder nicht genügend wahrgenommen, so ist zumindest mein Eindruck. Wir haben hierzulande in etwa 150 bis 160 KMU-Distributionsfirmen. Die Regierung müsste sich viel mehr Gedanken darüber machen, wie unser Markt funktioniert, und die Branche in Deutschland unterstützen, um hier ein europäisches Gegengewicht zu den dominierenden US-Firmen zu etablieren. Aber die klare Aussage vonseiten des Wirtschaftsministeriums ist, dass nur Firmen unterstützt werden, die sich neu hier in Deutschland ansiedeln. Für bestehende Firmen gibt es keine Subventionsprogramme. Das müsste sich dringend ändern.

Auch administrative Prozesse, die für viele Mittelständler kaum mehr zu bewältigen sind, müssten deutlich verschlankt werden. All dies hat für mich auch mit einer Wertschätzung hier ansässiger Unternehmen zu tun, die einerseits in ihren Regionen in der Wertschöpfungskette zentrale Funktionen übernehmen und teilweise gar Weltmarktführerrollen in ihren Bereichen einnehmen, andererseits aber auch große, regional wichtige Arbeitgeber sind.

Und auch auf Europa bezogen: Wir müssen den europäischen Markt stärken und uns unabhängiger machen. Förderungen und Investitionen auf nationaler und EU-Ebene müssen zielgerichtet und auf die gesamte europäische Lieferkette im Elektronikmarkt sowie die wissenschaftliche Ausbildung bezogen erfolgen. Derzeit wird die Relevanz von Distributoren wie Rutronik nicht gesehen, und wir profitieren leider nicht von Förderungen. Insbesondere Unternehmen, die in Europa bilanzieren, sollten mit EU-seitigen Förderungen berücksichtigt werden. Denn ansonsten wird die Hauptsitzfrage künftig bei vielen Unternehmen nicht mehr auf einen Standort in Europa fallen, und auch bestehende Unternehmen werden gezwungen sein, über ihren Hauptsitz kritisch neu zu entscheiden.

Wie beurteilen Sie die derzeitige Verteilung des TAM im Verhältnis zum DTAM?

Wir sind in der Distribution sehr industriegetrieben, d. h. wir bedienen Anwendungen im Industriegüter-Umfeld, aber auch im Automotive-Segment. In diesem Zusammenhang ist auch unsere Automotive Business Unit bei Rutronik ein wichtiger Baustein. In Bezug auf die Märkte haben wir es mit einer 70-zu-30-Prozent-Aufteilung zwischen Direkt- und Distributionsmarkt zu tun: Weltweit kaufen also hunderttausende Kunden über die Distribution. Gleichzeitig konzentrieren sich viele Hersteller nur auf Direktkunden bzw. OEMs. Die Hersteller hingegen, die mit der Distribution und dem Investitionsgüter-Umfeld umgehen können, bedienen mit ihrem Geschäftsmodell beides.


  1. »Wir wollen auch in Zukunft unabhängig sein«
  2. Regionalität fördern
  3. »Deep-Tech-Ansatz«

Lesen Sie mehr zum Thema


Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu Rutronik Elektronische Bauelemente GmbH

Weitere Artikel zu Rutronik24

Weitere Artikel zu Distribution