50 Jahre Rutronik

»Wir wollen auch in Zukunft unabhängig sein«

12. Juni 2023, 12:30 Uhr | Karin Zühlke
Thomas Rudel, Rutronik: »Unsere DNA, im Gegensatz zu den meisten Broadlinern: Wir sind ein inhabergeführtes, unabhängiges Familienunternehmen, und dies möchten wir auch künftig so beibehalten, um bestmöglich auf unsere Kunden eingehen zu können.«
© Rutronik

Global vernetzt denken und sich stärker an den regionalen Märkten ausrichten ist laut CEO Thomas Rudel ein Schlüssel-Momentum für Rutronik. Darüber hinaus plädiert der Firmenchef für mehr europäische Unabhängigkeit und wünscht sich von der Politik mehr Aufmerksamkeit für die Distribution.

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Markt&Technik: In diesem Jahr feiert Rutronik sein 50-jähriges Bestehen – das muss man in der Distribution erst einmal schaffen. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erfolgsfaktoren für Rutronik?

Thomas Rudel: Mein Vater Helmut Rudel hat Rutronik vor 50 Jahren, also 1973, gegründet. Die Standortwahl überließ er dabei übrigens nicht dem Zufall. Die geografisch in Deutschland am weitesten entfernten Kunden sollten innerhalb einer Fahrtzeit von maximal zwei Stunden zu erreichen sein. Mit diesem Ziel vor Augen nahm er einen Zirkel und zog einen Kreis um die Region in Deutschland, in der er zu dieser Zeit knapp 70 Prozent des deutschen Bauelemente-Bedarfs für sich ausmachte.

In der Mitte dieses Kreises befand sich Ispringen, und damit war die Entscheidung für den Hauptsitz gefallen. In den 1970er-Jahren ist Rutronik mit einem Fokus auf passive Bauelemente gestartet. Inzwischen fußt unsere Expertise als Broadline-Distributor auf einem umfangreichen Produktportfolio rund um Halbleiter, passive und elektromechanische Bauelemente, Embedded-Boards, Storage & Displays sowie Wireless-Produkte. Wir bedienen heute mehr als 40.000 Kunden, die auch so wachstumsstarke Zukunftsmärkte wie Industrie 4.0, Industrial IoT, Future Mobility sowie Energy & Power vorantreiben.

Erinnern Sie sich noch, wann Sie das erste Mal in der Firma Ihres Vaters, des Firmengründers Helmut Rudel, tätig waren? Was hat Sie dabei besonders beeindruckt?

Mit 14 Jahren habe ich angefangen, bei Rutronik Päckchen zu packen, um mir vom verdienten Geld ein Jahr später mein erstes Mofa zu kaufen. Ich erinnere mich daran, dass mein Elternhaus mir immer die Möglichkeit gab, mich in allen Bereichen und Abteilungen des Unternehmens weiterzuentwickeln, und das immer getreu dem Motto »Überzeugen durch Leistung«.

Rutronik ist zwar längst ein Global Player, aber immer noch ein Familienunternehmen mit seinen Wurzeln im Mittelstand und der einzige Europäer unter den Top-Distributoren auf dem europäischen Markt. Was macht die DNA von Rutronik so besonders?

Aufgrund der Kundenstruktur ist in Europa ein stabiles Distributoren-Netzwerk essenziell. Rutronik steht als europäischer Distributor und Partner vieler europäischer Hidden Champions allen voran US-amerikanischen Wettbewerbern gegenüber. Die aktuelle Situation zeigt sehr gut, dass die umfassenden Kompetenzen der Distribution wichtig sind.

Dahinter stecken komplexe Automatisierungsprozesse in der Beschaffung, um unseren Kunden möglichst effiziente Lösungen rund um ihre Belieferung und Lagerhaltung zu ermöglichen und individuelle Logistikkonzepte für sie zusammenzustellen. Unsere DNA, im Gegensatz zu den meisten Broadlinern: Wir sind ein inhabergeführtes, unabhängiges Familienunternehmen, und dies möchten wir auch künftig so beibehalten, um bestmöglich auf unsere Kunden eingehen zu können.

Rutronik entwickelt gemeinsam mit Forschungspartnern auch Evaluierungs- bzw. Entwickler-Boards. Wie setzen sich die Ressourcen dafür zusammen?

Wir haben dafür eigene Design-Center in Litauen und in Singapur etabliert, die wir aktuell weiter ausbauen. Außerdem haben wir ein Entwicklungsteam am Headquarter in Ispringen. Wir setzen dabei auf eine enge Zusammenarbeit mit unseren Top-Herstellern und Branchenspezialisten bei der Entwicklung unserer teils patentierten Lösungen und beraten unsere Hersteller auch im Zusammenhang mit ihrer Entwicklung.

Rutronik ist größtenteils aus eigener Kraft gewachsen. Wird das auch künftig so bleiben?

In Bezug auf unsere Niederlassungen setzen wir komplett auf organisches Wachstum. Ziel war es schon immer und ist es noch immer, aus eigener Kraft zu wachsen. Unabhängigkeit bleibt für uns nach wie vor wichtig, und in diesen Zeiten kommt es für uns außerdem darauf an, unsere Kompetenzen in den bisherigen Standorten auszubauen. Im Zuge unserer Regionalisierungsstrategie setzen wir deshalb genau hier an: Wir denken global vernetzt und orientieren uns gleichzeitig stärker an den jeweiligen regionalen Märkten, um noch besser für unsere Kunden genau da sein zu können, wo sie unsere Unterstützung benötigen. Wir legen Wert auf ein gesundes und nachhaltiges Wachstum, sodass wir bisherige Standorte ausbauen und in neue Standorte investieren. Wir setzen in genau jenen Märkten weltweit an, wo wir mithilfe unserer Marktforschung und -analysen das meiste Potenzial identifizieren.

Rutronik
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Rutronik betreibt mehrere Designcenter weltweit.
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Wo sehen Sie Rutronik in den nächsten 50 Jahren?

Eine Vorhersage für die nächsten 50 Jahre ist ein gewagter Blick in die Kristallkugel. Worin wir uns aber sicher sind: Mit unserem Know-how möchten wir gerade die unmittelbar anstehenden Entwicklungen unserer Kunden unterstützen. So können wir außerdem Forschungsergebnisse schneller und gezielter in markt- und wettbewerbsfähige Lösungen überführen. Genau diese Expertise ist es, wo ich Rutronik verstärkt sehe.

Zudem beobachten wir die globalen Märkte sehr genau, sodass wir Strömungen und Markttrends frühzeitig erkennen und beurteilen können. Dabei finden wir immer wieder Ansätze mit einem wirklich disruptiven Potenzial, setzen genau dort an und stellen uns damit seit jeher zukunftsfähig auf. Wir sehen insbesondere, dass außerhalb Europas enormes Marktpotenzial besteht, und stellen uns auch hier entsprechend unserer Regionalisierungsstrategie auf weitere Verschiebungen ein. Unsere Partner möchten wir aber wie auch bisher bedarfsgerecht und mit einem umfangreichen Sortiment unterstützen und ihnen nicht nur ein strategisch optimiertes Portfolio bieten.

Und wo steht Rutronik gerade, bezogen auf den Umsatz und die Marktposition?

Im Geschäftsjahr 2022 haben wir einen Umsatz von 1,28 Mrd. Euro erwirtschaftet, und inzwischen beschäftigt Rutronik weltweit rund 1900 Mitarbeitende. Rutronik ist in den vergangenen fünf Jahrzehnten kontinuierlich, nachhaltig und gesund gewachsen. Das belegen ganz klar auch unsere jüngsten Umsatz- und Mitarbeitendenzahlen aus dem Geschäftsjahr 2022. Wir setzen dabei – wie schon erwähnt – weiterhin auf ein eigenfinanziertes Wachstum.

Alles in allem war das vergangene Geschäftsjahr ein sehr zufriedenstellendes Jahr für Rutronik. Transparenz gegenüber unseren Partnern war hierbei ein Schlüssel, denn nur so konnten wir im zweiten Halbjahr zwei absolute Rekordmonatsergebnisse in unserem Logistikzentrum in Eisingen einfahren. Dank der gemeinsamen Anstrengungen konnten wir das Jahr mit durchschnittlichen Umsätzen in Höhe von 100 bis 120 Millionen Euro Umsatz pro Monat beenden.

Wie beurteilen Sie die Liefer- und Verfügbarkeitssituation derzeit? Neue Normalität oder Ruhe vor dem nächsten Sturm?

Das wird sich so schnell nicht lösen, denn Asien und speziell Indien ist ein sehr großer Bauteilebedarf vorhanden. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Die Normalität ist meines Erachtens in der Fertigung noch nicht eingetreten. Insbesondere wenn ich mir ansehe, welche neuen Applikationen auf den Markt kommen, etwa 48-Volt-Applikationen, Kommunikation, Sicherheitstechnik, Computer-Industrie, Rechenzentren, die um ein Vielfaches wachsen sollen, etc. Woher soll all das benötigte Material kommen? Mir ist nicht bekannt, dass derzeit sehr viele neue Fabriken an den Start gehen.

2021 gab es im Halbleiterbereich ein Plus von 25 Prozent. Das war aber kein Stückzahlen-, sondern ein Preiswachstum, mit dem auch der Wert eines Lagers stark gestiegen ist. Was beim Thema Lager noch auffällt: Der Lagerwert in der Distribution liegt zum ersten Mal auf demselben Niveau wie jener im weltweiten EMS-Bereich. Das liegt daran, dass viele EMS-Unternehmen vorsorglich viel gekauft haben; manches liegt aber auch auf Lager, weil wegen anderer fehlender Teile nicht produziert werden kann.

Wir sehen, dass viele Märkte nun wieder anlaufen und dass Wachstumspotenzial vor allem in den USA und Asien und dabei allen voran Indien besteht. Europa hat zwischenzeitlich beispielsweise nur noch einen Anteil von 8 Prozent am Weltmarkt von Halbleiter-Anwendungen.

Wir tun natürlich auch in unsicheren Zeiten alles, um unsere Kunden zu unterstützen, damit deren Produktion möglichst reibungslos weiterlaufen kann. Enorm wichtig ist das, weil es letztendlich ja um die Existenz von Unternehmen und Arbeitsplätze geht. Als belastbarer Geschäftspartner sehen wir es als eine Aufgabe an, auch mit Stabilität zu einer guten Geschäftsbeziehung beizutragen.


  1. »Wir wollen auch in Zukunft unabhängig sein«
  2. Regionalität fördern
  3. »Deep-Tech-Ansatz«

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