Quintauris – eine neue Kraft bei RISC-V

»Wir schaffen eine stabile Basis für RISC-V im Automobil«

12. September 2025, 11:00 Uhr | Irina Hübner
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Die Automobilindustrie steht vor einem Paradigmenwechsel: Offene Hardwarearchitekturen wie RISC-V gewinnen an Bedeutung. Doch industrietaugliche Lösungen, die Sicherheit, Langlebigkeit und Innovationsfreiheit verbinden, sind noch Mangelware. Hier setzt das 2023 gegründete Start-up Quintauris an.

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Mit einem klaren Fokus auf Realzeitfähigkeit, funktionale Sicherheit und langfristige Unterstützung positioniert sich Quintauris als Schlüsselakteur für den industriellen Durchbruch von RISC-V im Automotive-Sektor. Das junge Unternehmen zeigt: Offene Standards und höchste Qualitätsansprüche schließen sich nicht aus – sie eröffnen neue Wege für Innovation und Unabhängigkeit in der Halbleiterbranche. Im Interview erklärt CEO Alexander Kocher, warum etablierte Halbleitergrößen gemeinsam in das junge Unternehmen investieren – und wie Quintauris die Brücke zwischen offener Innovation und industrieller Verlässlichkeit schlägt.

Elektronik automotive: Herr Kocher, stellen Sie uns bitte kurz Quintauris vor. Was genau ist Ihre Mission?

Alexander Kocher: Quintauris wurde Ende 2023 als Joint Venture führender Halbleiterunternehmen gegründet. Zu unseren Anteilseignern zählen Bosch, Infineon, Nordic Semiconductor, NXP, Qualcomm und seit August 2024 auch STMicroelectronics. Unsere Mission ist es, RISC-V-Technologie in einer industrietauglichen Form bereitzustellen. Das erreichen wir durch

  1. Usability: Wir bieten eine Blaupause für den Einsatz von RISC-V, um Hürden für den breiten Einsatz zu überwinden.
  2. Viability: Wir stärken die globale Wirkung von RISC-V durch Zusammenarbeit, Innovation und zuverlässige Implementierungen.
  3. Alignment: Wir verringern die Fragmentierung des Ökosystems und stellen die Interoperabilität sicher.

So schaffen wir eine gemeinsame Ausrichtung.

Alexander Kocher, CEO von Quintauris.
Alexander Kocher, CEO von Quintauris.
© Quintauris

Worin unterscheidet sich Quintauris von Initiativen wie der Open Hardware Group oder RISC-V International?

Die Open Hardware Group und RISC-V International leisten als Non-Profit-Organisationen großartige Arbeit für die Community, insbesondere bei der Entwicklung und Pflege offener Spezifikationen.

Aber nehmen wir den Automobilbereich: Dort sind langfristige Wartung und Zertifizierung unerlässlich – und das ist sehr kostenintensiv. Das gilt nicht nur für Open-Source-Communities. Es wirkt zwar widersprüchlich, ist aber essenziell für eine erfolgreiche Kommerzialisierung.

Genau hier setzt Quintauris an: Wir bringen Konsistenz und Struktur in die RISC-V-Landschaft, so dass die industrielle Nutzung nicht nur möglich, sondern auch praktikabel und nachhaltig wird.

Ist Quintauris als Non-Profit-Organisation aufgestellt?

Nein, wir sind ein gewinnorientiertes Unternehmen. Unser Geschäftsmodell basiert auf Lizenzen, Zertifizierungen und Benchmarking. Wir wollen eine neutrale, vertrauenswürdige Instanz im Bereich RISC-V-basierter Produkte sein und die Ausrichtung des Ökosystems ermöglichen.

Wie weit sind Sie bereits mit der Umsetzung Ihrer Pläne?

Der Anfang von Quintauris war ziemlich ungewöhnlich: Ich war der einzige Mitarbeiter und hatte die Aufgabe, das Team und die Strategie von Grund auf aufzubauen. Inzwischen haben wir eine voll funktionsfähige Organisation mit spezialisierten Teams für Engineering, Produktmanagement, Professional Services, Market Strategy, Operations sowie Marketing – und wir wachsen weiter.

Unser erster Zielmarkt ist die Automobilindustrie, insbesondere sicherheitskritische Echtzeitanwendungen. Dabei geht es nicht nur um Hardware: Wir entwickeln eine vollständige Plattform mit Software, Tools und Betriebssystem-Anpassungen. Unser Fokus liegt auf dem Aufbau eines stabilen, industrietauglichen Fundaments für RISC-V.

Wir sind sehr gut im Zeitplan und haben in kurzer Zeit wichtige Meilensteine erreicht, wie etwa die Einführung des RT-Europa-Profils. Dieses Momentum zeigt nicht nur, wie dringend der Markt Bedarf hat, sondern auch die Stärke unserer Vision und Umsetzung.

Können Sie konkrete Produkte nennen, die Sie derzeit entwickeln?

Ein wichtiger Meilenstein ist das RT-Europa-Profil, das wir auf der Embedded World vorgestellt haben. Es ist das erste RISC-V-Profil, das speziell für moderne sicherheitskritische Echtzeitanwendungen im Automobilbereich entwickelt wurde.

RT-Europa ermöglicht deterministisches Verhalten, geringe Latenz und hohe Zuverlässigkeit. Es ist skalierbar, offen für herstellerspezifische Erweiterungen und beschleunigt die Markteinführung durch Standardisierung. Damit schaffen wir die Grundlage für OEMs und Tier-1-Zulieferer, um auf RISC-V umzusteigen – ohne unnötige Risiken einzugehen.

Gleichzeitig haben wir dieses Profil als Fundament für eine breitere Plattform konzipiert, um das Software-Ökosystem zu stärken. Entwickler sollen die Werkzeuge, Konsistenz und langfristige Unterstützung erhalten, die sie brauchen, um vertrauensvoll auf RISC-V zu entwickeln.

Was hat Ihre Anteilseigner motiviert, in Quintauris zu investieren?

RISC-V steht für Offenheit und Innovation. Es ermöglicht die Entwicklung maßgeschneiderter, hochmoderner Hardware auf Basis eines offenen Befehlssatzes. Doch im Laufe der Entwicklung wurde ein großes Problem sichtbar: Das Ökosystem war stark fragmentiert.

Unsere Anteilseigner sahen darin sowohl eine Chance als auch eine Verantwortung. Sie erkannten, dass ein starkes, industrietaugliches RISC-V-Fundament entscheidend ist, um das volle Potenzial des Standards zu entfalten. Mit ihrer Investition in Quintauris tragen sie dazu bei, eine vertrauenswürdige, neutrale Plattform zu schaffen, die die globale Einführung von RISC-V beschleunigt. So fördern sie Innovation, Unabhängigkeit und Wettbewerb – senken gleichzeitig Eintrittsbarrieren für kleinere Unternehmen und unterstützen die Skalierbarkeit für große Akteure im Hardware- und Softwarebereich.

Quintauris ist das Ergebnis dieser gemeinsamen Vision – wir machen aus Versprechen nachhaltige Realität.

Welche Herausforderungen sehen Sie auf diesem Weg?

Die größte Herausforderung liegt nicht im Potenzial von RISC-V, sondern darin, dieses Potenzial so umzusetzen, dass es nutzbar, tragfähig und auf industrielle Bedürfnisse ausgerichtet ist.

RISC-V bietet enorme Flexibilität, aber ohne Struktur führt sie zur Fragmentierung. Besonders in der Automobilindustrie brauchen Unternehmen mehr als eine offene Architektur – sie brauchen langfristigen Support, funktionale Sicherheit und einen klaren Weg zur Zertifizierung. Das bedeutet: nicht nur IP anbieten, sondern vollständige, serienreife Lösungen.

Unser Ziel bei Quintauris ist es, Konsistenz und Struktur zu schaffen, um die industrielle Einführung zu vereinfachen und sicherer zu gestalten.

Wie würden Sie die zentralen Botschaften zusammenfassen, die Sie an die Industrie senden möchten?

Kocher: Erstens: Zusammenarbeit ist entscheidend. Kein Unternehmen kann allein eine zuverlässige Open-Source- oder Open-Standard-Lösung entwickeln.

Zweitens: Skalierbarkeit fördert Innovation. Mit Profilen wie RT-Europa ermöglichen wir fortschrittliches Design und zugleich Software-Kompatibilität. Wir fördern den Wettbewerb, senken die Einstiegshürden für kleinere Unternehmen und ermöglichen größere Skalierbarkeit für etablierte Player.

Und drittens: RISC-V hat das Potenzial, die Halbleiterindustrie grundlegend zu verändern – aber nur, wenn wir gemeinsam voranschreiten. Einige Studien prognostizieren, dass bis 2030 rund 25 % des Prozessormarktes auf RISC-V basieren könnten. Die Technologie ist längst Realität – und wir helfen, dieses Wachstum zu ermöglichen.

Eine persönliche Frage zum Abschluss: Sie sind aus dem Ruhestand zurückgekehrt, um Quintauris zu leiten. Was hat Sie dazu bewogen?

Nach vielen Jahren in Führungspositionen bei Wind River und Elektrobit war ich eigentlich im Ruhestand angekommen – Skifahren, Golf, Reisen. Aber ein Geschäftsfreund hat mich überzeugt, dass Quintauris mehr ist als ein weiteres Tech-Startup: Es ist eine echte Mission.

Ich konnte noch einmal ein Unternehmen von Grund auf aufbauen, ein dynamisches, hochqualifiziertes Team zusammenstellen und an einer Technologie arbeiten, die die Zukunft prägen wird. Diese Mischung aus Sinnhaftigkeit, Verantwortung und Gestaltungsfreiheit war unwiderstehlich. Deshalb habe ich die Golfschläger erst einmal zur Seite gelegt.

 

 

Der Interviewpartner

Alexander Kocher

ist CEO von Quintauris. Zuvor war er Präsident und CEO von Elektrobit. In seiner langjährigen und vielfältigen Karriere hatte Alexander Kocher zahlreiche Positionen bei Unternehmen wie Wind River, Continental, Siemens und Infineon inne.


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