Die amerikanische und europäische Automobilindustrie muss von chinesischen E-Auto-Herstellern lernen, um künftig erfolgreich zu sein, und kann dazu die Erkenntnisse in China ansässiger Halbleiterfirmen nutzen. Ein Kommentar von Mike Furnival, Gowin Semiconductor.
Die Einsicht wächst, dass die chinesische Automobilindustrie dem Rest der Welt bei der Entwicklung und Produktion von Elektrofahrzeugen deutlich zuvorgekommen ist.
Kevin Williams, ein US-amerikanischer Beobachter des EV-Markts und ständiger Mitarbeiter des Fachorgans »Inside EVs«, kehrte von der Beijing Auto Show 2024 mit einer schonungslosen Prognose zurück: »Ich war in China und habe ein Dutzend elektrischer Autos gefahren. Die Autobauer im Westen sind erledigt«, so seine Schlagzeile.
Er ist mit seiner Meinung nicht allein: Kommentatoren in China und anderen Ländern sind sich einig, dass China darauf zusteuert, die weltweite Automobilindustrie zu dominieren. Der Respekt vor der chinesischen Automobilindustrie gilt dabei nicht nur der Batterie und der Reichweite. Zwar stellen die hohen Stückzahlen, die technischen Fähigkeiten und die wettbewerbsfähigen Kosten der chinesischen Lithium-Batteriehersteller für die Hersteller von E-Fahrzeugen einen wichtigen Faktor dar.
Aber die Überlegenheit der chinesischen Fahrzeuge zeigt sich auch bei der Benutzerschnittstelle (UI), dem Karosseriedesign und der Integration sowie bei Consumer-Produkten wie Smartphones und Smartwatches. So schreibt Kevin Williams in seinem Bericht: »Ungeachtet des Preises waren [die neuen chinesischen EV] allesamt unglaublich überzeugend. Es sind gut ausgeführte High-Tech-Maschinen in einer Art und Weise, wie ich sie bei europäischen oder amerikanischen Herstellern noch nicht erlebt habe.«
Es scheint, dass Chinas Automobilindustrie die Transformation hin zum Elektroauto dazu genutzt hat, die traditionellen Automobilhersteller mit einem großen Sprung zu überholen.
Wie konnte es soweit kommen? Herkömmliche Automobilbauer waren lange Zeit auf den Verbrennungsmotor fixiert. Während der letzten rund 30 Jahre haben die Erwartungen der Verbraucher und die gesetzlichen Vorschriften die Fahrzeughersteller dazu gedrängt, den Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge mit Benzin- und Dieselmotoren zu senken und gleichzeitig den Antrieb schneller, geschmeidiger und benutzerfreundlicher zu machen.
Technisch gesehen war das nur äußerst schwierig zu realisieren. Damit steckten die traditionellen Automobilbauer in mühsamen, teuren und zeitraubenden Entwicklungen fest, um marginale Fortschritte beim Verbrennungsmotor zu erreichen.
Dann kam das Elektrofahrzeug und plötzlich war alles anders: Die technischen Probleme des Elektromotors waren in jeder Hinsicht schon vor vielen Jahren gelöst worden. Tatsächlich ist der gesamte Elektroantriebsstrang wesentlich einfacher aufgebaut, als der eines Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor. Damit konnten sich die New-Energy-Vehicle-Hersteller in China bei ihren Entwicklungsressourcen auf andere Dinge konzentrieren – zum Beispiel auf das Erlebnis im Fahrgastraum.
Das erklärt, warum die chinesischen Elektroauto-Hersteller die Fortschritte erreichen konnten, die Kevin Williams so beeindruckt haben. Besonders hervorzuheben ist hierbei, dass sie den Fahrzeugen und ihren Fahrern das Feeling eines modernen Consumer-Elektronik-Geräts mit großen, reaktionsschnellen Touchscreens und nahtloser Integration der Daten und Apps, die das digitale Leben der Verbraucher bestimmen, vermitteln.
Ein bekannter E-Auto-Hersteller in China ist beispielsweise die Firma Xiaomi, ein Smartphone-Hersteller, der vor 2020 im Bereich Mobilität überhaupt noch nicht aktiv war (Bild 1).
Welchen Mehrwert kann die Halbleiterindustrie den europäischen und amerikanischen Fahrzeugherstellern bieten, damit diese es schaffen, auch in Zukunft konkurrenzfähig zu sein?
Die Halbleiterunternehmen, die bislang in der Automobilindustrie dominieren, haben die Entwicklung ihrer Produkte an den Rhythmen und Anforderungen der verbrennerbasierten Welt ausgerichtet. Die Entwicklung neuer Prozesse war in der Vergangenheit ein langsamer und aufwendiger Vorgang, der immer im Zeichen der Risikovermeidung stand.
Die neuen chinesischen EV-Hersteller, die die etablierten Automobilunternehmen bedrohen, arbeiten in komplett entgegengesetzter Weise. Sie entwickeln neue Modelle schnell, übernehmen Innovationen bereitwillig und gehen kalkulierte Entwicklungsrisiken in der Überzeugung ein, dass Fehler schnell behoben werden können.
Hierzu haben sie bewusst eine Entwicklungsphilosophie übernommen, bei der Anpassungsfähigkeit und Programmierbarkeit im Vordergrund steht. Diese Philosophie zeigt sich im verbreiteten Einsatz programmierbarer Komponenten bei der Hardware (z. B. FPGAs) oder der Software (herkömmlicher Code und zunehmend auch KI-Systeme).
Diese Kombination aus Geschwindigkeit und Flexibilität hat es den chinesischen Elektroauto-Herstellern ermöglicht, die Benutzerschnittstelle und allgemeiner den Fahrzeuginnenraum über mehrere Fahrzeuggenerationen weiterzuentwickeln, während sich die Benutzerschnittstellen der Automobilhersteller im Westen kaum geändert haben (Bild 2). Entscheidend bei dieser Entwicklung war der Einsatz programmierbarer Komponenten, mit der die ständige Weiterentwicklung und häufige Upgrades bestehender Designs möglich sind, ohne die gesamte Hardwareplattform des Fahrzeugs komplett überarbeiten zu müssen.
Die Fahrzeughersteller in den USA, Europa, Japan und Korea könnten eine kurze Zeit lang durch Importbeschränkungen für chinesische Fahrzeuge geschützt werden. Aber die Automobilindustrie ist global und die Lieferkette hängt bereits stark von China ab. Nach Aussage des Industrieanalysten Michael Dunne verfügt China bereits über die Kapazität, die Hälfte der jährlich produzierten 80 Millionen Neufahrzeuge zu liefern, und dieser Anteil wächst weiter. Schutz vor Wettbewerb wird die Automobilindustrie außerhalb Chinas nicht retten.
Sehr viel produktiver wird es sein, schnell von der chinesischen EV-Industrie zu lernen. Die Fahrzeughersteller in Europa und den USA wissen bereits, wie das geht. In den 1980er Jahren drohte die japanische Automobilindustrie bereits, mit ihrer überlegenen Produktion und höheren Qualität die bis dato dominanten US-Automobilfirmen ins Wanken zu bringen.
Aber die US-Automobilhersteller ließen sich nicht unterkriegen und übernahmen stattdessen die besten Praktiken der Japaner. Jetzt gilt es, zu erkennen, in welcher Weise die chinesische Automobilindustrie dem Rest der Welt voraus ist, und davon zu lernen.
Gowin Semiconductor hat einen privilegierten Einblick in die Herausforderungen, vor der die Fahrzeughersteller im Westen stehen. Das globale technische Entwicklungszentrum des Unternehmens befindet sich im chinesischen Guangzhou, aber das Leitungsteam sitzt in San Jose im Herzen des Silicon Valley – mit einem Bein im Osten und mit dem anderen im Westen.
Darüber hinaus handelt es sich bei Gowin um einen FPGA-Hersteller, dessen Produkte sich enormer Nachfrage bei den chinesischen Automobilherstellern erfreuen, die die Flexibilität und Programmierbarkeit eines FPGA zu schätzen wissen (Bild 3).
Das bedeutet, dass Gowin von innen sieht, wie die chinesischen Elektrofahrzeug-Hersteller bei der Innovation vorgehen und wie sie neue Praktiken übernehmen, zum Beispiel beim umfangreichen Einsatz programmierbarer Komponenten, um einen Wettbewerbsvorsprung zu erzielen.
Für Automobilbauer aus dem Westen, die von den technologischen und kommerziellen Innovationen der chinesischen Elektroauto-Industrie lernen wollen, ist Gowin als bekanntester FPGA-Hersteller Chinas und größter Lieferant von FPGAs für die chinesische E-Auto-Industrie der richtige Partner.
Mike Furnival
ist Vice President of International Sales bei Gowin Semiconductor. Er leitet den internationalen Vertrieb vom britischen Standort des Unternehmens aus.