Wasserstoff

Großes Potenzial – aber nicht im PKW-Segment

16. September 2021, 8:56 Uhr | Iris Stroh
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"...nicht für jeden Anwendungsbereich ist Batterie die passende Lösung..."

Auch wenn heute Wasserstoff im PKW-Segment im Vergleich zu Batteriefahrzeugen eine vernachlässigbare Rolle spielt, ist Starr überzeugt, dass sich das in Zukunft ändern kann. In diesem Zusammenhang verweist er darauf, dass es viele unterschiedliche Anwendungsbereiche im Individualverkehr gibt, und nicht für jeden ist die Batterie die passende Lösung: Die Bewältigung des familiären Alltags, Urlaubsfahrten, Dienstfahrten mit hohen Reichweiten, Fahren in Kleintransportern etc., alle Anwendungen haben unterschiedliche Anforderungen. Starr weiter: »Wenn wir die Themen Reichweite und Ladeinfrastruktur mitbedenken, können wir nur zu einem Ergebnis kommen: der Koexistenz von Brennstoffzelle und Batterie – also ganz klar: Wasserstoff kann im PKW-Segment langfristig noch Fuß fassen.« Wichtig dafür ist, dass wie bei allen neu einzuführenden Technologien die Skalierungseffekte (UPE, Stückzahl) mit zunehmender Marktdurchdringung steigen. Starr fordert: »Spezifische Marktaktivierungsförderung bleibt ein sehr wichtiges Instrument hierfür und: die Infrastruktur ist in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in der EU am weitesten entwickelt – mit derzeit fast 100 Wasserstofftankstellen und Reichweiten von deutlich über 500 km.«

e-mobil BW

Aus der Sicht von Franz Loogen, Geschäftsführer der e-mobil BW (Landesagentur für neue Mobilitätslösungen und Automotive Baden-Württemberg) gibt es eine Vielzahl von Gründen, aufgrund derer die Batterietechnik für PKWs die bessere Technikwahl darstellt. Zunächst verweist er auf den energetischen Wirkungsgrad, der bei BEVs (Batteriefahrzeuge) besser als bei Wasserstofffahrzeugen mit Brennstoffzelle ist. Selbst wenn 100 Prozent erneuerbare Energien vorausgesetzt (von diesem Stand sind wir derzeit noch meilenweit entfernt) werden, dann kommt ein BEV auf einen Gesamtwirkungsgrad von 42 bis 63 Prozent. Wird diese Energie zur Erzeugung von Wasserstoff mittels Elektrolyseur eingesetzt und damit ein Brennstoffzellenfahrzeug (FCEV) betrieben, dann liegt der Gesamtwirkungsgrad nur bei 30 Prozent. Wird der erzeugte Wasserstoff zu SNG (Synthetic Natural Gas, synthetisches Erdgas) umgewandelt, kommt das damit betriebene Fahrzeug nur noch auf einen Gesamtwirkungsgrad von 10 Prozent. Wird mit dem erzeugten Wasserstoff synthetischer Kraftstoff erzeugt, dann liegt der Gesamtwirkzeug solcher Fahrzeuge zwischen 6 und 10 Prozent.

Um die Unterschiede vielleicht etwas greifbarer zu machen, hilft folgender Vergleich: Ein Fahrzeug der Golf-Klasse braucht für 100 km eine Batterieleistung von 16 kWh, ein FCEV kommt schon auf 31 kWh, ein Fahrzeug mit SNG auf 93 kWh und ein Verbrenner mit synthetischem Kraftstoff auf 160 kWh.

Aus Loogens Sicht sind die heutigen Kosten der Batterie im Gegensatz zur Brennstoffzelle ein weiterer Punkt, der derzeit gegen die Wasserstofftechnik im PKW-Segment spricht. Loogen: »In der Batterietechnik sind die Kosten viel schneller gesunken als in der Brennstoffzellentechnik.« Allerdings fügt er hinzu, dass das nicht für immer gelten muss. Derzeit sei die Batterietechnik kostenmäßig zwar weit im Vorteil, »aber die Brennstoffzelle funktioniert, ist alltagstauglich und unproblematisch. Die Forschung und Entwicklung sollte also weiter vorangetrieben werden«, erklärt Loogen weiter. Die Brennstoffzellentechnik hat seiner Überzeugung nach auf alle Fälle eine rosige Zukunft.

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Franz Loogen, e-mobil BW: »Wir wollen Wasserstoff nutzen, aber es ist klar, dass dafür noch einige Hürden überwunden werden müssen. Diese müssen adressiert und transparent gemacht werden, sie können aber gelöst werden.«
© e-mobil BW

Doch zurück zum heutigen Zeitpunkt. Loogen führt einen weiteren Nachteil der Wasserstofftechnik an: die Kosten der Energieumwandlung. Heute werden an den ersten Tankstellen rund 9 Euro/kg Wasserstoff bezahlt. Um Wasserstoff im LKW-Bereich konkurrenzfähig zu machen, muss laut Loogens Meinung der Preis auf 3 bis 4,50 Euro/kg sinken, inkl. Steuern. Das ist noch ein weiter Weg. Das heißt aus seiner Sicht beispielsweise, dass für die Erzeugung von grünem Wasserstoff (Wasserstoff, der mithilfe erneuerbarer Energien erzeugt wird) neue Wege gegangen werden müssen. In diesem Zusammenhang verweist er beispielsweise auf Strom aus Windkraft in Rumänien oder auf Solarstrom aus Afrika, denn der dort erzeugte Strom macht eine hohe Energieausbeute möglich. Solche Ansätze werden zwar bereits diskutiert und in der Forschung wird daran gearbeitet, aber das dauert seine Zeit. Dennoch ist Loogen überzeugt, dass die deutsche Industrie einen relativ hohen Anteil an der Wasserstofftechnik haben wird.

Bis dahin müsse die deutsche Industrie beide Stränge verfolgen, denn weder die Batterietechnik noch die Wasserstofftechnik sei derzeit vollständig ausentwickelt. Beispielsweise müssten in der Batterietechnik heute noch Fragen der Rohstoffverfügbarkeit geklärt werden. Ansätze wie Recycling werden erforscht, aber dabei handele es sich noch um keine Serientechnologie. In Hinblick auf die Wasserstofftechnik fordert Loogen wiederum eine Standardisierung. Es sei für die Nutzfahrzeug- Anwendung noch nicht geklärt, ob die Industrie auf gasförmigen oder flüssigen Wasserstoff (hier sinkt der Wirkungsgrad) setzen möchte, noch sei geklärt, ob bei gasförmigem Wasserstoff 350 oder 700 bar genutzt werden. Diese Standardisierung ist aber notwendig, um beispielsweise das Tankstellennetz ausbauen zu können.

Darüber hinaus müsste für BEV das Stromnetz regional weiter ausgebaut werden. Das sei in Deutschland von einer guten Basis kommend noch umsetzbar, aber »wenn es in ganz Europa von Sizilien bis Polen und zum Nordkap funktionieren soll, dann müssen die Netze europaweit qualifiziert und eine Ladeinfrastruktur aufgebaut werden, eine Forderung, die auch in der „Fit für 55“-Strategie steht«, so Loogen weiter. Zusammenfassend ist er überzeugt, dass Wasserstoff derzeit im PKW-Segment keine Chance hat; im LKW-Bereich beispielsweise würde das ganz anders aussehen. Zum einen sind hier große Reichweiten erforderlich, zum anderen »nutzen LKWs typischerweise ein anderes Tankstellennetz, sodass der Aufwand, dieses Netz auf H2 aufzurüsten, deutlich geringer ist. Es ist daher ratsam, eine Dual-Mode-Strategie zu verfolgen, sprich Batterie und Wasserstoff«, folgert Loogen.


  1. Großes Potenzial – aber nicht im PKW-Segment
  2. "...nicht für jeden Anwendungsbereich ist Batterie die passende Lösung..."
  3. Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie (IPT)
  4. "..in der Golf-Klasse ist Wasserstoff keine Option..."

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