NXP und Amazon Web Services

Chipentwicklung aus der Cloud

29. März 2018, 11:59 Uhr | Karin Zühlke
Constantin Gonzalez, AWS »Durch den hoch spezialisierten Anwenderkreis fehlt bei einigen großen EDA-Anbietern vermutlich der Druck, innovativere Software- und Geschäftsmodelle anzubieten.«
© AWS

Die Halbleiterindustrie kann besonders von der Cloud profitieren – dafür gilt es aber zunächst einige Hürden zu nehmen. Die Zusammenarbeit von NXP und Amazon Web Services zeigt interessante Möglichkeiten auf.

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In der Konstruktion von Halbleitern kommt leistungsfähige Software zum Einsatz. Sie muss von der ersten Idee bis zur Umsetzung in einem Schaltplan mit der Komplexität aktueller Mikrochips Schritt halten. Dazu gehört, dass sämtliche Schaltzustände des Chips per Simulation getestet werden – eine Herkulesaufgabe, die mit jeder kleinen Veränderung am Chipdesign von Neuem gestartet werden muss und beachtliche Rechenleistung erfordert. Auf diese Arbeit spezialisierten sich diverse Firmen, die Software für Electronic Design Automation (EDA) anbieten.

Doch so innovativ die Produkte sind, die mit Hilfe von EDA entstehen, so konservativ ist oft das Geschäftsmodell dieser Unternehmen. Flexible Angebote „as a Service“ sind bei den führenden Anbietern aus diesem Bereich bislang Mangelware. »Durch den hoch spezialisierten Anwenderkreis fehlt bei einigen großen EDA-Anbietern vermutlich der Druck, innovativere Software- und Geschäftsmodelle anzubieten«, sagt Constantin Gonzalez, Principal Solutions Architect von Amazon Web Services (AWS).

Dabei bringt gerade die Migration von EDA in die Cloud ein großes Potenzial. »In diesem Bereich schwanken die Workload-Anforderungen beträchtlich. Je nach Aufgabe können sie sich gegenüber dem vorherigen Einsatz halbieren, aber auch verdoppeln«, so die Erfahrung von Gonzalez. »Genau das ist der typische Einsatzzweck einer Cloud-Anwendung. AWS stellt bei seinen Cloud-Angeboten mittlerweile viele Ressourcen bereit, die speziell auf das High-Performance-Computing in der Halbleiter­industrie zugeschnitten sind.

Um das volle Potenzial der Cloud zu entfalten, müssen EDA-Software und Cloud jedoch zunächst einmal zum Zusammenspiel gebracht werden. »In der Praxis ist das in vielen Fällen die höchste Hürde«, so Gonzalez weiter. »Unser Kunde NXP musste beispielsweise per Reverse Engineering den Software-Stack identifizieren, in dem das eigentliche Processing stattfindet.« Dieser Vorgang sei mit erheblichem Aufwand verbunden gewesen.

Das börsennotierte Unternehmen NXP Semiconductors mit Hauptsitz in Eindhoven, Niederlande, ist seit der Übernahme des texanischen Wettbewerbers Freescale Semiconductor der größte Halbleiterhersteller Europas. Mit rund 40.000 Mitarbeitern erwirtschaftet das Unternehmen einen Umsatz von etwa neun Milliarden US-Dollar. Heute gilt NXP als einer der innovativsten Anbieter auf seinem Gebiet. Chips und Sicherheitslösungen der Niederländer kommen zum Beispiel in der Automobilindustrie, in der Heimelektronik, bei Smartphones, Bankkarten, elektronischen Ausweisen, Reisepässen und Gesundheitskarten zum Einsatz.

Time-to-Market erheblich verkürzt

Stolpersteine drohen unterdessen auch auf rechtlicher Ebene. Denn: Viele Anbieter von EDA-Systemem haben in ihren Lizenzverträgen festgelegt, dass der Preis von der Rechenleistung im Rechenzentrum abhängt. »In Zeiten, in denen nahezu unendliche Kapazitäten für die Cloud-Infrastruktur zur Verfügung stehen, passen diese Geschäftsbedingungen nicht mehr recht in die Zeit«, erklärt Gonzalez. In vielen Fällen – so auch bei NXP – dürfen jedoch viele Programmbestandteile einer EDA-Lösung trotzdem in die Cloud transferiert werden. Ein schlagkräftiges Argument ist dabei in der Regel, dass die entsprechenden Funktionen nicht bei Dritten landen. Wie bei vielen anderen Cloud-Anwendungen sind auch hier die Daten selbst in jeder Phase verschlüsselt, mit dem Halbleiterhersteller als dem einzigen Besitzer der Schlüssel.

Auch mit Blick auf die Sicherheit im Allgemeinen stehen moderne EDA-Systeme in der Cloud ihrem On-Premises-Pendant in nichts nach. Das klassische Argument für die Cloud gilt schließlich auch hier: Da ein sehr gut ausgebildetes Team sich bei AWS mit den modernsten Tools rund um die Uhr um das Thema Sicherheit kümmert, ist das Niveau dort mindestens genauso hoch wie im eigenen Rechenzentrum eines Halbleiterherstellers.

Im Fall von NXP benötigte ein Team aus mehreren IT-Spezialisten insgesamt etwa 30 Monate, um eine Cloud-Lösung zu entwickeln, die die EDA-Anbieter von der Robustheit ihrer Anwendungen in der Cloud überzeugte. Aus den ersten Versuchen mit den Tools von AWS wurden schnell gut funktionierende Prototypen, ein erster Proof-of-Concept konnte schließlich auch das Management von NXP überzeugen. »Das Team von NXP hat einen AWS-Account eröffnet und konnte direkt loslegen«, erinnert sich Gonzalez. Durch die große Bandbreite an High-Performance-Computing-Lösungen im AWS-Portfolio sei es schnell möglich, erste funktionsfähige Anwendungen zu erstellen.

Der Einsatz der AWS-Cloud hat sich mittlerweile in vielen Bereichen bei NXP gut bewährt. So konnte bei einem Projekt das Stadium der Testproduktion von Chips übersprungen werden. Dadurch sank die Time-To-Market um ganze drei Monate. Mittlerweile arbeitet NXP seit rund fünf Jahren mit dem selbst entwickelten System auf Basis von AWS. Das Team habe dabei nur in sehr wenigen Fällen auf den Support zugreifen müssen, erklärt Gonzalez. »Die Zusammenarbeit mit NXP eröffnete uns jedoch interessante Einblicke in die besonderen Anforderungen in der Halbleiterproduktion.« Damit konnte AWS sein Angebot noch besser auf diese Branche abstimmen.


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