Standards für eine gesunde Umwelt

Mehr Nachhaltigkeit bei der Entwicklung von Stromversorgungen

10. Januar 2018, 14:39 Uhr | Von Patrick Le Fèvre
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Medizinbranche gibt Trends vor

Die Stromversorgungsbranche hat mit vielen unterschiedlichen Kundentypen zu tun, vom Endkunden bis hin zum Kunden aus der Rüstungsbranche. Dabei muss sie viele Normen und Auflagen beachten. Einige davon wurden zwar für einen bestimmten Bereich entwickelt, werden aber aktuell von anderen Branchen übernommen.

Die Verordnungen in der Medizinbranche sind dafür ein gutes Beispiel. Dort wurden eine Reihe von Parametern, die in den Normen IEC 60601-1-3 und -4 enthalten sind, von Projektmanagern aus der Industrie übernommen, die sich mit Industrie 4.0 befassen – beispielsweise bessere Isolation, niedrigerer Leckstrom, reduzierte und gesteuerte EMI und eine dokumentierte Risikobewertung.

Netzteile zu entwickeln und Sicherheitsvorschriften zu beachten, ist sicher eine wesentliche Verpflichtung. Aber ein Produkt nach Umweltschutzkriterien zu entwickeln (Design for the environment, DFE) ist ebenso wichtig.

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Die Medizinbranche als Wegbereiter

Auch hier ist die Medizinbranche ein Wegbereiter. Gemäß einer Marktstudie, die im Jahr 2014 von Johnson & Johnson veröffentlicht wurde, wird für mehr als 80 Prozent der Krankenhäuser weltweit erwartet, dass sie bei ihren Anschaffungsentscheidungen Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen. Viele verwenden dazu ebenfalls den Risikobewertungsprozess gemäß ISO 31000 und dehnen diesen auch auf ihre Lieferanten aus.

Der Stromversorgungsbranche bleibt also nichts anderes übrig, als die Umweltvorgaben einzuhalten, die von der Medizinindustrie und anderen Branchen eingefordert werden und dieselben Ansprüche ihren Lieferanten und Partnern gegenüber geltend zu machen. Deshalb wird es für die Stromversorgerbranche zunehmend wichtig, Arbeitsweisen einzuführen, die Umweltaspekte bereits in sehr frühen Projektphasen berücksichtigen.

Mit Rücksicht auf die Umwelt zu entwickeln, geschah bisher häufig auf freiwilliger Basis oder wurde als Marketing- oder Vertriebsargument genutzt. Das ändert sich jetzt. Viele sind der Meinung, dass ein hocheffizientes Produkt automatisch ein DfE-Produkt ist, wenn es einen geringen Strombedarf im Standby-Betrieb aufweist.

Das ist aber nicht unbedingt der Fall, DfE steht für viel mehr als das. Trotz der Existenz von ISO 14062 macht das Fehlen gemeinsamer Definitionen oder Normen für die Elektronikbranche, es den Kunden und Anwendern schwer zu überprüfen, was in der DfE-Definition und -Prüfung jedes Anbieters enthalten ist.

Die Medizinbranche und die Behörden sind sich der Schwierigkeiten bei der Bewertung der unterschiedlichen Variablen bewusst und haben den Bedarf für eine normierte Methodik erkannt, um den gesamten Lebenszyklus über alle Phasen – von der ersten Spezifikation bis zum End-of-Life-Management – zu überprüfen.

Nach mehreren Jahren der Vorbereitung hat die International Electrotechnical Commission (IEC) im Jahr 2007 begleitend zur Norm IEC 60601 den so genannten »Strich-Eins-Neun-Zusatz « IEC 60601-1-9 veröffentlicht.

Das Ziel von IEC 60601-1-9 ist die Verringerung der Umweltbelastung sämtlicher medizinischer Geräte (ME-Equipment) unter Berücksichtigung aller Phasen des Lebenszyklus der Produkte. Davon betroffen sind insbesondere die Produktspezifikation, die Entwicklung, die Herstellung, der Vertrieb, die Logistik, die Installation, die Inbetriebnahme, der Einsatz und schließlich das End-of-Life-Management.

Das grundlegende Prinzip von IEC 60601-1-9 ist es, die Umwelt und die menschliche Gesundheit vor schädlichen Substanzen zu schützen, Rohmaterialien und Energie einzusparen und die Erzeugung von Abfällen sowie nachteilige Auswirkungen von Abfällen auf die Umwelt zu minimieren. Ohne ins Detail gehen zu wollen, können die wesentlichen Anforderungen von IEC 60601-1-9 unter den Begriffen »Identifikation«, »Anweisung« und »End-of-Life-Management« zusammengefasst werden.

Bei diesem Prozess müssen Hersteller gemäß bestehender Vorgabe arbeiten (z. B. Risikomanagement gemäß ISO 14971, Berücksichtigung des Produktlebenszyklus gemäß ISO 14001 mit einem besonderen Augenmerk auf ISO 14062) und eine Dokumentation bereitstellen, die alle Schritte offenlegt, die bezüglich des Umweltschutzes unternommen wurden.

Nach der Erweiterung der Norm IEC 60601-1-9 im Jahr 2013, wird sie verwendet, um Unternehmen bei der Minimierung der negativen Auswirkungen des Produkts und dessen Betriebs auf die Umwelt anzuleiten und zu unterstützen. Sie wird auf freiwilliger Basis umgesetzt.

Im Jahr 2014 hat die Nationale Agentur für das Gesundheitswesen Brasiliens (Anvisa) jedoch dahingehend die Führung übernommen und vorgeschrieben, dass alle elektrischen Medizingüter, die im Land vertrieben werden, die Norm ab dem 1. Dezember 2016 insbesondere im Hinblick auf drei Klauseln erfüllen müssen: (4.1) Identifikation von Umweltaspekten, (4.5.2) Anweisung für die Minimierung negativer Auswirkung auf die Umwelt während des Betriebs, und (4.5.3) Informationen über das End-of-Life-Management.

Brasilien ist damit das erste Land, das vorschreibt, dass elektrisch betriebene medizinische Geräte diese Norm formal einhalten müssen. Andere Länder erwägen jedoch ebenfalls die Umsetzung oder die Einführung nationaler Bestimmungen, die dazu gedacht sind, die Hersteller von medizinischen Geräten dazu zu zwingen, Teile des Standards zu übernehmen und zur Entwicklung einer nachhaltigen Wirtschaft beizutragen.


  1. Mehr Nachhaltigkeit bei der Entwicklung von Stromversorgungen
  2. Medizinbranche gibt Trends vor
  3. Das Cradle-to-Cradle-Modell

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