Federico Morales-Zimmermann, Vice President und General Manager für Global OEM Customers and Technology bei Clarios, erklärt im Gespräch unter anderem, warum sich das Unternehmen nicht im Hochvolt-Bereich engagiert, wo er die Stärken von Clarios sieht und wie die nächsten Schritte aussehen.
Markt&Technik: Clarios ist der weltweit größte Hersteller von Niederspannungsbatterien für Automotive-Anwendungen, auch auf Basis einer Lithium-Ionen-Technologie. Warum steigt Clarios nicht in das Geschäft mit Hochvolt-Batterien ein?
Federico Morales-Zimmermann: Dafür gibt es mehrere Gründe. Der erste, salopp formuliert: Hochvoltbatterien sind gefährlich. Das ist bei Niederspannungsbatterien definitiv nicht der Fall, denn wir arbeiten in einem Bereich unter 60 V, genau genommen sogar unter 50 V.
Clarios beziehungsweise unser früheres Mutterunternehmen Johnson Controls hat vor über zehn Jahren bereits Hochvoltbatterien entwickelt. Wir hatten hybride Systeme realisiert und an Kunden wie Mercedes geliefert, aber der Markt war damals noch nicht reif.
Hinzu kommt noch, dass sich die Lithium-Ionen-Technologie in Niederspannungs- und Hochspannungsbatterien deutlich unterscheidet. In der Niederspannungs-Lithium-Ionen-Batterie ist die Zelle eine Leistungszelle, in einer Hochspannungsbatterie eine Energiezelle. Damit ändert sich der Aufbau der Batterie, beispielsweise muss die Kathode für unsere Zelle viel dicker sein.
Aber der Markt ist mittlerweile reif, warum also nicht jetzt?
Der Markt für Hochvoltbatterien ist mittlerweile nicht nur reif, sondern auch sehr wettbewerbsintensiv. Besonders in Asien, vor allem in China, haben Unternehmen einen technologischen Vorsprung. Diese Konkurrenz ist gewaltig. Deshalb konzentrieren wir uns genau auf den Bereich, in dem wir unseren Kunden den größten Nutzen bieten können – und das ist der Niederspannungsbereich.
Es wird viel über die Resilienz im Bereich von Hochvoltbatterien diskutiert. Das wäre ja auch ein Argument, dass sich auch nichtchinesische Unternehmen stärker engagieren sollten.
Resilienz ist definitiv ein spannendes Thema, auch im Bereich Hochvoltbatterien. Man sollte nie »nie« sagen. Aber derzeit liegt der Fokus für uns ganz klar auf Niederspannung. Nochmal: Hier können wir unseren Kunden den größten Mehrwert bieten.
Und es besteht nicht die Gefahr, dass die Niederspannungsbatterien mit der Elektrifizierung des Antriebsstrangs irgendwann doch ausgedient haben?
Nein, absolut nicht. Elektrofahrzeuge brauchen nicht nur Hochvoltbatterien, sondern auch Niederspannungsbatterien, und hier steigt sogar der Bedarf. Tatsächlich gibt es inzwischen oft bis zu drei Niederspannungsbatterien pro Fahrzeug. Dieser Markt wächst kontinuierlich und ist äußerst stabil.
Clarios führt verschiedene Batterietypen im Produktportfolio. Bleisäure scheint nach wie vor ein großer Teil des Geschäfts zu sein. Was macht diese Technologie so robust?
Bleisäurebatterien sind kostengünstig, sehr robust und vor allem äußerst nachhaltig. Wir recyceln 100 Prozent dieser Batterien, und der Energieaufwand für das Recycling ist 90 Prozent geringer als bei der Neuproduktion. Dadurch senken wir auch die CO2-Emissionen erheblich.
Es überrascht mich, dass Bleisäure als umweltfreundliche Batterietechnologie gilt.
Wenn man es richtig macht, ist eine Bleisäurebatterie tatsächlich umweltfreundlicher als viele andere Technologien. Wir wissen, wie es geht, und daher sind wir in der Lage, diese Technologie äußerst nachhaltig zu nutzen. Wenn man sie nicht richtig verarbeitet, kann es problematisch werden – aber wir beherrschen diesen Prozess.
Das geschlossene Kreislaufsystem, das wir weltweit etabliert haben, macht uns zu einem Vorbild in Sachen Nachhaltigkeit. Wir verwalten den gesamten Prozess – von der Entwicklung und Produktion bis hin zur Rückgewinnung und zum Recycling. Diese Kreislaufwirtschaft ist nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch wirtschaftlich effizient.
Und das über die verschiedenen Produkte hinweg, denn eine Batterie für eine Mercedes-S-Klasse unterscheidet sich stark von einer für einen Peugeot 205. Die Anforderungen, Materialien und chemischen Zusammensetzungen variieren stark je nach Fahrzeugtyp.
Neben den Standard-Bleisäurebatterien bietet Clarios auch AGM-Varianten der Bleisäurebatterien (AGM: Absorbent Glass Mat) an. Wie positioniert Clarios diesen Batterietyp?
AGM-Batterien sind besonders widerstandsfähig, wodurch sie sich besonders gut beispielsweise für Fahrzeuge mit Start-Stopp-Systemen eignen. AGM-Batterien sind für das zyklische Laden und Entladen ideal und sehr langlebig. Wir haben sogar eine AGM-Batterie speziell für Elektrofahrzeuge entwickelt.
Darüber hinaus hat Clarios auch Lithium-Ionen-Batterien für den Niederspannungsbereich im Portfolio. Warum auch diese Technologie?
Wir produzieren Niederspannungszellen für Lithium-Ionen-Batterien in den USA, genau in dem Werk, wo früher Hochvoltbatterien gefertigt wurden. Die Integration findet hier in Hannover statt.
Lithium-Ionen-Batterien bieten Vorteile wie eine höhere Energiedichte und die Flexibilität in der Bauform. Sie können diese Batterie zum Beispiel so anpassen, dass sie unter dem Fahrersitz Platz findet. Außerdem kann man den Gesundheitszustand der Batterie in Echtzeit überwachen, das ist insbesondere in Hinblick auf die funktionale Sicherheit wichtig, eine Anforderung, die vor allem für autonome Fahrzeuge oder softwaredefinierte Fahrzeuge von großer Bedeutung ist. In diesen beiden Anwendungsfällen ist eine Redundanz gefordert, und hier können die Lithium-Ionen- und Bleisäurebatterien gut zusammenspielen; aber auch Super-Caps spielen hier eine Rolle.
Clarios ist auch bei Natrium-Ionen-Batterien aktiv.
Ja, wir arbeiten mit dem schwedischen Unternehmen Altris an der Entwicklung von Natrium-Ionen-Batterien. Diese Technologie hat großes Potenzial, weil Natrium überall verfügbar ist und die Herstellung damit unabhängiger von seltenen Rohstoffen wird. Auch die Recyclingfähigkeit ist einfacher. Für den Niederspannungsbereich ist Natrium perfekt, da wir keine hohe Energiedichte, sondern eine hohe Leistungsdichte benötigen.
Außerdem sind Natrium-Ionen-Batterien sicherer, da es kein Risiko eines »Thermal Runaway« gibt, also eines thermischen Durchgehens, was bei Lithium-Ionen-Batterien immer eine Gefahr darstellt. Auch im Bereich der Nachhaltigkeit sind Natrium-Ionen-Batterien überlegen, weil sie einfacher zu recyceln sind.
Wie sieht der Zeitplan für Natrium-Ionen-Batterien aus?
Wir haben in Hannover bereits funktionstüchtige Batterien auf Basis der Natrium-Ionen-Technologie, und die bisherige Resonanz ist durchaus vielversprechend. Jetzt arbeiten wir mit Altris an der Weiterentwicklung der Batteriezellen; ich denke, dass wir in den nächsten Wochen hier Fortschritte melden können. Wir arbeiten auch bereits mit einem großen OEM an Entwicklungsprojekten und wollen in zwei bis drei Jahren marktreife Produkte anbieten.
Wir gehen davon aus, dass der Aftermarket-Bereich voraussichtlich der erste Einsatzbereich sein wird, wo diese Batterien zu erhalten sein werden, denn dort kann die Validierung schneller erfolgen, als das bei einem OEM der Fall wäre.
Clarios setzt nicht nur auf die Batterie, sondern auf das System und seit Neuestem auch auf Dienstleistungen rund um die Batterie. Was heißt das konkret?
Wie schon gesagt, unterscheiden sich die Batterien von OEM zu OEM. Das zeigt sich bereits daran, dass wir allein in unserem Bleisäure-Portfolio derzeit fünf verschiedene Grundchemien verwenden. Das ist aber nur der Anfang. Denn diskutiert man mit Kunden über ganz neue Modelle, dann geht es definitiv nicht nur um die Batterie, sondern um das System. Denn die Diskussion geht nicht über eine bestimmte Batterie, sondern der OEM will einen bestimmten Power-Bereich abdecken. Und dann überlegen wir uns, wie wir diesen Bereich abdecken können. Das Ende der Diskussion könnte beispielsweise so aussehen, dass wir dem OEM raten, eine AGM-Bleisäurebatterie plus eine Super-Cap zu nutzen, um den Power-Bereich abzudecken. Und für die Systemanpassung können wir noch die Software entsprechend den Super-Caps anpassen und die entsprechende Elektrode dazu beschaffen.
Der Systemansatz zeigt sich aber auch daran, dass wir unsere Batterien auch mit entsprechenden Batteriemanagementsystemen ausliefern.
Und jetzt zu den Dienstleistungen. Clarios hat vor Kurzem Clarios Connected Services angekündigt, bei denen künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und Cloud-Computing kombiniert werden. Was steckt dahinter?
Clarios nutzt seine »Connected Services«, um Daten von Batterien in die Cloud zu senden, wo sie mithilfe von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen analysiert werden. Diese Analyse wird dann in Echtzeit zurück an das Fahrzeug übermittelt, um den Batteriezustand zu überwachen. Für diesen Ansatz gibt es drei Hauptanwendungsfälle:
Lastwagen: Fahrer lassen den Motor oft zu früh laufen, um die Batterie aufzuladen, was zu unnötigem Kraftstoffverbrauch führt. Mit der Technologie von Clarios wird der Fahrer benachrichtigt, wann der Motor wirklich gestartet und gestoppt werden soll, was zu 40 Prozent weniger Leerlaufzeiten führt und pro LKW jährlich bis zu 1300 Euro sowie 2,5 Tonnen CO2 einspart.
Ausfallzeiten: 20 Prozent der LKW-Ausfälle sind auf Batterien zurückzuführen. Durch die Überwachung der Batterie in Echtzeit kann Clarios voraussagen, wann ein Batteriewechsel nötig ist, um unvorhergesehene Ausfälle zu vermeiden.
Reparaturwerkstätten: Mit präzisen Daten aus der Cloud können Werkstätten den Batteriezustand genauer bewerten und fundierte Entscheidungen treffen, anstatt sich auf ungenaue Testergebnisse zu verlassen. Dadurch können Mechaniker dem Kunden valide Daten zur Verfügung stellen und einen unnötigen Batterieaustausch vermeiden.
Unsere »Connected Services« basieren auf umfangreichen Daten, die Clarios aus der Batterieentwicklung und -produktion besitzt, was uns einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Durch die Analyse dieser Daten können wir aber auch selbst die Batterieleistungen weiter verbessern und anpassen.
Gibt es noch weitere Ideen, wie Clarios mit Dienstleistungen seinen Absatzmarkt vergrößern will?
Das ist für uns erst einmal der Einstieg in diesen Bereich, aber wir sind überzeugt, dass das Potenzial ziemlich groß ist.