Interview mit Dr. Armin Wedel, DFF

»Start-ups entwickeln sich zu Innovationstreibern«

7. November 2023, 10:00 Uhr | Nicole Wörner
Dr. Armin Wedel, DFF / Fraunhofer IAP: »Auch die im DFF organisierten Start-ups überraschen zum Teil mit ganz neuen OLED-Technologien und -Einsatzmöglichkeiten, mit neuen Materialien und Anwendungen.«
© DFF

Der Wissenstransfer von der Forschung in die Industrie ist entscheidend für eine Technologieführerschaft. Wie sieht es diesbezüglich in der Photonik aus? Eine Einschätzung von Dr. Armin Wedel, 1. Vorsitzender des Deutschen Flachdisplay Forums e.V., DFF, und Bereichsleiter am Fraunhofer IAP.

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Markt&Technik: Herr Dr. Wedel, als Forschungsbereichsleiter Funktionale Polymersysteme am Fraunhofer IAP sitzen Sie quasi an der Quelle der Grundlagenforschung im Bereich der Photonik. Was tut sich hier aktuell?

Dr. Armin Wedel: Wir bearbeiten nur einen kleinen Teil der Grundlagenforschung, meist sind wir in der angewandten Forschung unterwegs. Als Fraunhofer-Forscher sind wir häufig in die anwendungsnahen Entwicklungen von Unternehmen integriert. Das ist unsere Hauptaufgabe. Wir stoßen natürlich auch grundlegende Entwicklungen an und versuchen, das Potential für Unternehmen sowohl in Deutschland als auch darüber hinaus nutzbar zu machen. Dabei gibt es verschiedene Modelle der Entwicklungen, zunächst über Fraunhofer-interne Projekte, die Industrie in Beiräten zu integrieren, um dann später direkt mit ihnen zusammen zu arbeiten und sich sehr aktiv an Ausschreibungen der EU zu beteiligen, die neue Entwicklungen auf europäischer Ebene anstoßen. Als Fraunhofer IAP sind wir dann oft bei neuen Material- und Technologieentwicklungen beteiligt.

Ein aktuelles Forschungsgebiet des Fraunhofer IAP ist die Kunststoff-Elektronik. Bitte beschreiben Sie kurz, welche Rolle die Photonik dabei spielt und welches Zukunftspotential Sie daraus erwarten.

Unter Kunststoff-Elektronik oder organischer Elektronik verstehen wir Bauteile beziehungsweise Anwendungen, bei denen vorwiegend organische Materialien, also auch Polymeren, Anwendung finden. Dazu zählen die Organischen Leuchtdioden – Organic Light Emitting Diode, OLED –, Schaltungen mit organischen Feldeffekttransistoren – Organic Field Effect Transistor, OTFT – und Organische Photovoltaik – Organic Photovoltaic, OPV – bzw. Perovskit-Photovoltaik. Es handelt sich dabei um Bauelemente, die entweder Licht emittieren – OLED –, Licht absorbieren – OPV – oder den Strom leiten und schalten – OTFT. Zukunftspotential und weitere Entwicklungsmöglichkeiten sehe ich für sie alle.

Vor allem im Bereich der OLED-Technologien sind noch enorme Leistungssteigerungen zu erwarten. In Displays haben sie bereits eine große Bedeutung erlangt, doch diese wird nochmals wachsen.

Generell werden wir in Zukunft viele Verbesserungen an den Materialien sehen. Schöpft man deren Potential voll aus, werden sie noch bessere Leistungsparameter erbringen als jetzt schon. Und mit der Möglichkeit, die Materialien über Drucktechnologien zu verarbeiten, werden sie in ganz neue Anwendungen vordringen. In die Ferne gedacht wird es irgendwann möglich sein, sich optische Bauelemente oder auch seine eigene Solaranlage oder Beleuchtung für zuhause zu drucken. In der gedruckten Elektronik steckt ein ganz enormes Zukunftspotential.

Die Schlagworte Quantentechnologien, Quantencomputing, Quantensensorik sind derzeit in aller Munde. Welche Rolle spielt die Photonik in diesem Zusammenhang und wo sehen Sie die größten Herausforderungen und Chancen in diesem Bereich?

Wir beschäftigen uns ausschließlich mit den Quantentechnologien der sogenannten ersten Generation, also Quantenmaterialien oder auch Quantum Dots, QD, die Licht emittieren oder Licht absorbieren. QDs besitzen vergleichsweise hohe Quanteneffizienzen von bis zu über 85 Prozent. Zudem sind diese Halbleiter-Nanopartikel außerordentlich stabil bei thermischer Belastung, weitgehend resistent gegenüber UV-Strahlung und Sauerstoff sowie Umwelteinflüssen wie Feuchtigkeit. QDs können aus verschiedenen Materialien hergestellt werden. Cadmiumselenid-basierte QDs sind die bekanntesten und am weitesten entwickelten QDs. Hier sind bereits Quantenpunkte mit Halbwertsbreiten von unter 30 nm kommerziell verfügbar. Indiumphosphid-basierte Quantenpunkte erfahren als Alternative zu Cadmium-basierten QDs zunehmend Aufmerksamkeit. Der Einsatz von QDs als Konverter-Material in µ-LEDs bietet die Vorteile der Stabilität von anorganischen Materialien und die Verarbeitbarkeit mit Hilfe von Drucktechniken. Weiterhin werden QDs zukünftig in elektrolumineszierenden Anwendungen Einzug halten.

Sie begleiten seit vielen Jahren die Forschungslandschaft in Deutschland. Wie gut funktioniert aus Ihrer Sicht der Technologietransfer von der Wissenschaft in die Industrie?

Wir sehen in den letzten circa 20 Jahren einen Wandel im Technologietransfer von der Wissenschaft in die Industrie. Zu Beginn der 2000er-Jahre konnten wir viele Projekte mit der Industrie auf den Weg bringen, die Förderlandschaft war auf die Bedürfnisse der Industrie und der Forschungseinrichtungen zugeschnitten. Wir sind gemeinsam mit führenden Industrieunternehmen große Schritte vorangekommen. Allerdings wurden die Ergebnisse gemeinsamer Projekte oft nicht in Produkte überführt. Ein Beispiel hierfür ist die Display-Industrie: Viele Innovationen sind in den asiatischen Raum abgewandert, beziehungsweise wir mussten uns Kunden in Asien suchen, die sich für unsere Entwicklungen interessieren. Über die Jahre hat sich auch die Fertigung zunehmend aus Deutschland in Richtung Asien verschoben. Doch es gibt einen starken Trend, dies zu ändern, Fertigungen und Projekte entweder zurückzuholen oder sie hierzulande ganz neu aufzusetzen. Vor allem Start-ups sind hier sehr aktiv und auch erfolgreich. Sie fahren einen anderen Ansatz als die großen Unternehmen, sind flexibler und finden als Innovationstreiber immer mehr Beachtung. Auch die im DFF organisierten Start-ups überraschen zum Teil mit ganz neuen OLED-Technologien und -Einsatzmöglichkeiten, mit neuen Materialien und Anwendungen.

Wo sehen Sie die deutsche Photonik-Industrie aktuell? Welche Rolle spielt sie im Weltmarkt? Und wie sehen Ihre Prognosen für die kommenden Jahre aus?

Hier bin ich leider kein Experte. Die Photonik-Industrie ist global aufgestellt, und das wird sich meiner Meinung nach auch nicht wesentlich ändern. Moderne Konsumgüter wie Smartphones, Tablets und andere digitale Geräte entwickeln sich durch die Nutzerwünsche immer weiter und durchdringen Bereiche, die vorher undenkbar waren. Dazu zählt zum Beispiel die Analyse von Gesundheitsdaten direkt mit dem Smartphone. Für dies und vieles Weitere werden photonische Komponenten benötigt. Hinzu kommt, dass Technologien immer weiter verschmelzen und die Photonik damit in neue Anwendungsbereiche vordringen kann. Insofern sehe ich zunehmend große Märkte und sehr gute Wachstumschancen für die Photonik – auch für die deutschen und europäischen Unternehmen.

Wie beurteilen Sie die aktuellen Diskussionen hinsichtlich des PFAS-Verbots? Welche Auswirkungen würde ein generelles Verbot auf die Photonik-Industrie haben?

Industrie und Verbände diskutieren die PFAS-Materialien derzeit intensiv. Ein generelles Verbot würde dazu führen, dass wichtige Entwicklungen in der Photonik-Industrie nicht mehr wie bisher in Europa vertrieben werden dürfen. Das hat Asien in Bezug auf die Displayindustrie völlig überrascht. Wir weisen von Deutschland aus immer darauf hin, dass alternative Entwicklungen anzustoßen sind. Das wird aber nicht immer möglich sein. Ein Teil dieser Materialien lässt sich eben nicht so einfach ersetzen. Nicht nur das starke Dipolmoment der Kohlenstoff-Fluor(C-F)-Bindung sorgt für wichtige Eigenschaften in photonischen Bauelementen, sondern auch andere Faktoren, die bei der Herstellung der Komponenten entscheidend sind. Dazu gehören zum Beispiel Oberflächeneigenschaften von Fluorbeschichtungen. Die Natur gibt uns da nicht so viele Alternativen mit auf den Weg. Ich denke, wir sollten sehr bewusst mit diesen Materialien umgehen und natürlich die entsprechenden Wiederwendungsstrategien entwickeln.

Welche aktuellen Entwicklungen oder Durchbrüche in der Photonik haben Ihrer Meinung nach das Potenzial, die Art und Weise, wie wir mit Lichttechnologien arbeiten, zu revolutionieren?

Ich denke, die Quantenmaterialien sind aus photonischen Anwendungen nicht mehr wegzudenken. Nicht zuletzt wurde der Nobelpreis für Chemie in diesem Jahr an die Wissenschaftler verliehen, die sich zum ersten Mal in den 80er- und 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts an diese Materialien herangewagt hatten.

In welchen Märkten erwarten Sie das größte Wachstumspotential für die Photonik?

Das Wachstumspotential sehe ich vor allem in der Entwicklung neuer Anwendungen, die die bisherigen hochintegrierten und leistungsstarken Smartphones, Tablets etc. mit neuen medizinischen und optischen Entwicklungen wie etwa Virtual Reality und Augmented Reality verbinden werden.

Das Interview führte Nicole Wörner. 

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