Autonomes Fahren

»Wir stehen kurz vor dem Durchbruch«

20. September 2021, 10:12 Uhr | Iris Stroh
Diesen Artikel anhören

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Es wird eng beim Fortschritt autonomen Fahrens basierend auf schierer Rechenleistung


Das würde aber heißen, dass auch in den nächsten zehn Jahren keine wirklichen Fortschritte zu erwarten sind, denn würde autonomes Fahren auf schierer Rechenleistung basieren, wird es eng.

Das stimmt zu einem gewissen Grad. Deshalb glaube ich, dass andere Ansätze zum Ziel führen werden. Man muss genau die Anwendungsfälle auswählen, die ökonomisch sinnvoll sind, sprich: für die auch bezahlt wird. Zum Beispiel ein Autopilot für die Autobahnfahrt von München nach Nürnberg, und dieser Anwendungsfall muss sicher gemacht werden. Das ist relativ einfach. Geht es darum, ein Fahrzeug im Stadtverkehr in unbekannten Städten autonom fahren zu lassen, dann ist das viel komplizierter. Wenn der Anwendungsfall bzw. Use Case klar ist, dann können genau dafür optimierte Lösungen entwickelt werden – und auch dann sprechen wir von Level 4.

Eine generalisierte Variante, die überall funktioniert, ist deutlich schwieriger zu erstellen und das dauert noch mindestens 20 Jahre.

Pierre Oliver, von LeddarTech zu autonomen Fahren
© LeddarTech

Ein Auto für deutsche Autobahnen zu trainieren wäre einfach?

Ja, das gilt besonders für deutsche Autobahnen, denn das gesamte Autobahnnetz wurde sehr sicher ausgelegt. Sieht man in dem Fall von der Geschwindigkeit ab, ist der Autobahn-Anwendungsfall der einfachste. Denn theoretisch kann man hunderte Kilometer fahren, ohne in eine schwierige Situation zu geraten. Systeme wie ein Autopilot funktionieren hier ziemlich gut. Der Straßenverkehr in einer Stadt scheint der eigentliche Knackpunkt für diese Systeme zu sein.

Problem dabei: Genau hier passieren die meisten Unfälle.Ich denke, viele Leute wären an einem Fahrzeug interessiert, das in der Lage ist, auf der Autobahn autonom zu fahren, aber diese Autos gibt es nicht.Ich denke auch, dass Leute bereit wären, einen angemessenen Betrag zu bezahlen, um auf der Autobahn nicht selbst fahren zu müssen. Und auch wenn es entsprechende Fahrzeuge heute noch nicht zu kaufen gibt, ich würde sagen: Wir kommen diesem Ziel schon sehr nah.

Lang hat es gedauert.

Ja, weil jeder versucht, dieses extrem komplexe Problem allein zu lösen: Zig Unternehmen wollen dasselbe erreichen, anstatt zusammenzuarbeiten und zum Beispiel standardisierte Trainingsdaten zu nutzen, das wäre aber viel leichter. Ein Blick auf die Geschichte zeigt: Die Menschheit hat die größten Probleme immer zusammen gelöst. Beim Apollo-Moon-Programm haben die größten Unternehmen zusammengearbeitet, um dieses Ziel zu erreichen. Beim automatisierten Fahren macht jeder sein eigenes Ding, das funktioniert nicht, dazu ist das Problem viel zu komplex.

Die Automotive-Industrie ist aber sicherlich eine der Industrien, die Konkurrenz ganz oben ansetzt.

Stimmt, aber insbesondere die Automobilindustrie zeigt: Dort wo Standards geschaffen wurden, können Erfolge erzielt werden. Heute sind über 90 Prozent der Fahrzeuge mit Einspritzsystemen von Bosch ausgestattet. Warum sollte das nicht auch in Hinblick auf autonomes Fahren funktionieren?

Keine Frage, aber das klingt dann eher nach langfristigem Erfolg, denn momentan sind insbesondere ADAS-Anwendungen ein Punkt, mit dem sich OEMs vom Wettbewerb differenzieren.

Ich denke, dass es durchaus Anzeichen dafür gibt, dass hier ein Umdenken stattfindet. Ein Beispiel ist Volkswagen, die mit einer Milliardeninvestition bei der Ford-Tochter Argo AI eingestiegen sind. Mir fallen auf Anhieb keine größeren Konkurrenten ein als Ford und Volkswagen. Wenn diese Unternehmen zusammenarbeiten, dann zeigt das, dass es machbar ist. Hinzu kommt noch, dass bislang überhaupt keine Differenzierung im Bereich autonomes Fahren möglich ist, weil autonomes Fahren nicht funktioniert. Alle liefern dieselbe Nicht-Funktionalität.

BMW will zigtausend Software-Ingenieure einstellen, und das will jeder …

Ja weil jeder OEM glaubt, dass Software in Zukunft der Schlüssel zum Erfolg ist; die Motorentwicklung ist es sicherlich nicht mehr.

Ja stimmt, die Automotive-Industrie steht vor enormen Herausforderungen, die OEMs müssen darauf achten, sich differenzieren zu können, aber ich glaube, beim automatisierten Fahren werden sie mit Alleingängen keinen Erfolg haben.

Wenn Sie die verschiedenen OEMs betrachten: Haben manche verstanden, wo eine Differenzierung möglich ist?

Ich würde sagen: Ja. GM beispielweise will sein Super Cruise System in 20 Modellen einführen, ein klares Zeichen dafür, dass GM überzeugt ist, dass der Ansatz funktioniert. Das ist ein guter erster Schritt, auch wenn die Funktionalität noch eingeschränkt ist. Aber GM bietet die Funktionalität in Mittelklassefahrzeugen an, und das ist ein starkes Commitment. Honda hat ebenfalls angefangen, Level-3-Fahrzeuge in Japan auszuliefern, auch das werte ich als starkes Commitment.

Aus meiner Sicht ist es besonders bemerkenswert, dass Unternehmen wie GM oder Ford, die typischerweise eher als konservativ gelten, in Hinblick auf autonomes Fahren sehr gute Fortschritte erzielen. Typischerweise würde man erwarten, dass beispielsweise Neueinsteiger wie Tesla bei diesem Thema erfolgreich sind, aber von Unternehmen wie GM würde man erwarten, dass sie weit hinter den Innovationstreibern hinterherhinken. Aber das stimmt nicht, einige der etabliertesten Unternehmen scheinen hier die Vorreiterrolle zu übernehmen. Für mich ist das ein gutes Zeichen, denn es zeigt, dass auch traditionelle OEMs durchaus mit neuen Ansätzen Erfolg haben können.

Früher hieß es, dass mit Level 3 – oder wie ein automatisiertes Fahren in bestimmten Umgebungen auch immer genannt wird – Lidar ein Muss wird. Können Sie das bestätigen?

Ich bin überzeugt, dass Level 3 kommen wird. Und ich bin absolut davon überzeugt, dass Lidar Level 3 bzw. automatisiertes Fahren in bestimmten Umgebungen vereinfacht. Unbedingt notwendig? Das würde ich nicht sagen, aber Lidar hilft ganz klar dabei, die Funktionalität so zu implementieren, dass sie wirklich sicher ist.

LeddarTech liefert seine Systeme bereits auf den Markt. Gibt es neben Robotaxis noch andere Anwendungen, in denen die Lidar-Technik von LeddarTech bereits auf der Straßen zu finden ist?

Die Lidar-Technik von LeddarTech ist momentan noch nicht auf der Straße im Einsatz, aber es gibt fortlaufende Programme mit OEMs für Serienfahrzeuge. Wir haben mit OEMs angefangen, die im Premiumsegment aktiv sind. Das war mit Radar nicht anders, aber wir hoffen, dass Lidar keine 30 Jahre braucht, um sich im Massenmarkt durchzusetzen.

Was ist aus Ihrer Sicht notwendig, um die Idee des automatisierten Fahrens voranzubringen?

Kommerzialisierte und zuverlässige Lösungen auf der Straße. Sie sind notwendig, um das Vertrauen in die Technologie zu schaffen, dafür reichen zigtausend Tesla-Fahrer nicht aus. Die Fahrer müssen sich an die Idee gewöhnen, dass das Fahrzeug eine Teilstrecke selbstständig fährt. Bislang besteht die Erfahrung darin, dass die Systeme nicht funktionieren.

Sobald die Systeme funktionieren, wird sich die Einstellung ändern. Als Airbags aufkamen, gab es auch viel Presse, in der stand, dass Airbags Leute eher umbringt als schützt. Die Technik hat schlussendlich bewiesen, dass sie an sich sinnvoll ist, und zwar im Sinne des Autofahrers. Heute stellt niemand mehr den Sinn eines Airbags in Frage. Und das muss auch beim autonomen Fahren passieren.

Sie sind überzeugt, dass für das autonome Fahren nur noch ein kleiner Schritt notwendig ist, aber mittlerweile ist die Skepsis gegenüber der Technik alles andere als gering, nicht zuletzt aufgrund der Negativmeldungen in der Presse.

Stimmt, aber wenn man sich anschaut, wie viele Unfälle verursacht werden, weil der Fahrer einen Fehler macht, sind alle Unfälle, die ADAS-Systeme verursachen, nahezu vernachlässigbar. Was ich damit sagen will: Automatisiertes Fahren erhöht die Sicherheit im Verkehr, die Systeme müssen nur zuverlässig funktionieren.

Mittlerweile sind kommerzielle Lösungen auf der Straße, die zeigen, was die Ansätze bringen. Und das erzeugt ein entscheidendes Momentum. Heute sind die Leute eher kritisch, wenn ein Fahrzeug selbstständig fährt, Negativmeldungen haben bislang auch nur bestätigt, dass solche Ansätze nicht funktionieren. Jetzt kann aber jeder selbst ausprobieren und herausfinden, ob das stimmt oder nicht. Und wenn klar ist, dass die Autos zuverlässig und sicher sind, dann wird der Markt anziehen, genauso wie bei den Airbags.

Das Interview führte Iris Stroh.


  1. »Wir stehen kurz vor dem Durchbruch«
  2. Es wird eng beim Fortschritt autonomen Fahrens basierend auf schierer Rechenleistung

Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu LeddarTech Inc.

Weitere Artikel zu Sensoren & -systeme

Weitere Artikel zu Zertifizierung und Prüfung