IR-Sensor für die Wirkstoffentwicklung

Medikamente mit weniger Nebenwirkungen effizienter entwickeln

23. Juli 2018, 14:30 Uhr | Ruhr-Universität Bochum
Klaus Gerwert (links) und Jörn Güldenhaupt entwickelten den Infrarotsensor.
© RUB/ G. Kock

Mit einem Infrarotsensor ist es Biophysikern der Ruhr-Universität Bochum gelungen, schnell und einfach zu untersuchen, welche Wirkstoffe die Struktur von Proteinen beeinflussen und wie lange. Die Methode könnte künftig helfen, Medikamente mit weniger Nebenwirkungen effizienter zu entwickeln.

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Die Wirkung vieler Medikamente beruht darauf, den Stoffwechsel von Zellen zu beeinflussen, indem sie die Aktivität bestimmter Proteine gezielt hemmen. Dazu muss das Wirkstoffmolekül an das jeweilige Zielprotein binden, wobei sich der Wirkstoff meist in den häufig taschenartig vertieften funktionellen Bereichen von Proteinen festsetzt.

Bei einigen Wirkstoffen verändert die Bindung an das Zielprotein zusätzlich die Struktur der Proteinoberfläche. Durch eine solche sogenannte Konformationsänderung werden neue Oberflächenbereiche und Bindetaschen zugänglich, an die man einen Wirkstoff weiter anpassen kann. Das führt oft zu einer besseren Selektivität von Wirkstoffen und damit zu weniger Nebenwirkungen.

»Der Einfluss eines Wirkstoffs auf die Struktur eines Zielproteins wird bislang mit sehr zeit- und materialaufwendigen Methoden untersucht, die zwar sehr detaillierte räumliche Informationen bieten, aber erst nach Wochen bis Monaten ein Ergebnis liefern«, erklärt Dr. Jörn Güldenhaupt, Ruhr-Universität Bochum (RUB). Die von den Bochumer Forschern entwickelte Methode liefert Informationen über Strukturänderungen dagegen innerhalb von Minuten und kann sogar die Art der Strukturänderung eingrenzen.

Der Sensor basiert auf einem für Infrarotlicht durchlässigen Kristall. Auf seiner Oberfläche wird das Zielprotein gebunden. Durch den Kristall hindurch werden die Infrarotspektren aufgenommen, während gleichzeitig Lösungen mit oder ohne Wirkstoff über die Oberfläche gespült werden. Der Sensor detektiert Änderungen im struktursensitiven Spektralbereich des Proteins, der sogenannten Amid Region, die charakteristisch für das Gerüst eines Proteins ist. Falls es hier zu Änderungen kommt, ist klar, dass der Wirkstoff die Proteinform verändert hat.

Beispiel Hitzeschockprotein

Wie verlässlich die Methode ist, zeigte das Team in Kooperation mit der Firma Merck, indem es den Einfluss von zwei unterschiedlichen Wirkstoffgruppen auf das Hitzeschockprotein HSP90 untersuchte. Es ist ein Faltungshelfer, der den neu hergestellten Proteinen der Zelle hilft, die richtige dreidimensionale Struktur auszubilden. Tumorzellen brauchen es aufgrund ihres sehr aktiven Stoffwechsels besonders dringend. Hemmende Wirkstoffe für HSP90 sind ein Ansatz für Medikamente, die das Tumorwachstum unterbinden.
Bindungsdauer entscheidet, wie oft ein Medikament eingenommen werden muss

Die Geschwindigkeit, mit der sich ein Wirkstoffmolekül wieder vom Zielprotein löst, entspricht der Dauer, die das Medikament auch im Körper wirkt. Wirkstoffe mit einer hohen Komplexlebenszeit bleiben lange am Zielprotein gebunden und wirken daher oft lange. Tabletten, die solche Wirkstoffe enthalten, müssen zum Beispiel nur einmal am Tag eingenommen werden und haben oft auch weniger Nebenwirkungen. »Da unser Sensor als Durchflusssystem arbeitet, können wir die Wirkstoffe nach der Bindung wieder vom Zielprotein abspülen und so auch den zeitlichen Verlauf der Wirksamkeit messen«, so Prof. Dr. Klaus Gerwert, ebenfalls von der RUB. (me)


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