Sensorgesteuerte, adaptive Beleuchtung

Dezentrale Lichtsteuerung per Bluetooth

7. November 2018, 9:12 Uhr | Von Szymon Rzadkosz und Simon Slupik
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Zweite Herausforderung: geschlossener Regelkreis

Noch komplizierter wird es, wenn bestimmte Prozesse innerhalb einer sensorgesteuerten Lichtsteuerung genauer betrachtet werden. Die Tageslichtnutzung stellt eine besondere Herausforderung dar. In geschlossenen Regelkreisen müssen Umgebungslichtsensoren sehr häufig Messwerte melden, um Schwingungen der Helligkeit um den Sollwert zu minimieren (Bild 6).

Datenpakete, die diese Messwerte enthalten und Datenpakete mit den Lichtsteuerbefehlen als Antwort auf den Messwert müssen mit minimaler Verzögerung beim zentralen Controller ankommen. Wird die Kommunikation verzögert, kann das menschliche Auge die Schwingungen als Helligkeitsschwankungen erkennen und die Lichtverhältnisse verschlechtern sich drastisch.

Schwingungen der Helligkeitsregelung
Bild 6. Die Helligkeitsregelung in einem sensorgesteuerten Beleuchtungssystem mit Tageslichtnutzung kann Schwingungen verursachen, die als Helligkeitsschwankungen vom menschlichen Auge wahrgenommen werden können.
© Silvair

In der Beleuchtungssteuerung gibt es eine Reihe solcher Details, die alle beachtet werden müssen, um ein zufriedenstellendes Endergebnis zu erhalten. Das macht dieses Segment für Funknetzwerke so anspruchsvoll.

In einer Lichtsteuerung per Funk herrscht äußerst reger Datenverkehr, da Hunderte von Datenpaketen in alle Richtungen geschickt, zwischen einzelnen Knoten weitergeleitet und mehrmals wiederholt werden, um den Verlust von Paketen zu vermeiden. Das ist die eigentliche Herausforderung der vernetzten Beleuchtung. Und das ist der Grund, warum sich die Funkvernetzung, trotz aller Vorteile, die sie bieten kann, noch nicht durchgesetzt hat.

 

Dezentrale Steuerung im vermaschten Netzwerk

Die erste Version des Mesh Profile von Bluetooth unterstützt Beleuchtungs- und Sensoranwendungen und mehrere weitere Funktionen, die es in der Niedrigenergie-Funktechnik bisher noch nicht gab. Sie stellt den bisherigen Aufbau von Steuerungssystemen infrage. Bislang wurden in der Gebäudeautomatisierung eine Zentrale für die Steuerung eingeplant: zentrale Licht-, Heizungs- oder Lüftungssteuerung – allesamt das Vermächtnis verkabelter Installationen, bei denen zentral gesteuerte Systeme perfekt funktionieren.

Funktechniken benötigen jedoch einen anderen Ansatz, um eine angemessene Leistungsfähigkeit zu erbringen. Denn sternförmig auf eine Zentrale ausgerichtete Systeme lassen sich mit Funkkommunikation nicht skalieren. Und das Netzwerk ist schnell gesättigt, wenn alle Informationen über eine zentrale Steuerung laufen müssen.

Heute sind Mikroprozessoren so leistungsfähig und kostengünstig, dass die Steuerungsfunktionen in die einzelnen Endgeräte (Knoten) verlagert werden können – dank Moore’s Law. Damit verringert sich der Datenverkehr im Netzwerk um die Hälfte.

Das vermaschte Netzwerk über Bluetooth hat eine vollständig dezentrale Struktur ohne Engpässe und ohne Zentrale als funktionskritische Schwachstelle (Single Point of Failure). Dieses Netzwerk benötigt keinen zentralen Controller, da in jede Leuchte ein Mikrocontroller mit Steuersoftware eingebaut ist.

Ein solches Bluetooth-Netzwerk benötigt auch keine Gateways, da Bluetooth bereits in jedem PC, Tablet-PC und Smartphone integriert ist. So kann sich ein Smartphone direkt mit jedem Knoten verbinden, wenn ein Mitarbeiter damit Inbetriebnahme- oder Konfigurationstätigkeiten ausführt. Mit dieser verteilten Logikkonfiguration und der Mehrweg-Paketübertragung sind vermaschte Netzwerke für die Beleuchtungssteuerung sehr widerstandsfähig.

Hoher Durchsatz für Steuerbefehle nötig

Ein weiterer entscheidender Faktor, um die Zuverlässigkeit und Skalierbarkeit der Kommunikation zu erhöhen, ist die Größe der Datenpakete. Bei der Vernetzung über Bluetooth sind sie sehr kompakt, da das Protokoll so ausgelegt ist, dass große Mengen kleiner Pakete so schnell wie möglich transportiert werden können.

Diese Kompaktheit trägt zur spektralen Effizienz und zu einem hohen Durchsatz bei. Da Funk ein gemeinsam genutztes Medium ist, sorgen Überschneidungen immer wieder für Pro¬bleme. Ein kompakteres Datenpaket bedeutet, dass es zu weniger Überschneidungen kommt. Da sowohl die Nutzdaten als auch die Verwaltungsdaten sehr strengen Grenzwerten unterliegen, belegen Bluetooth-Mesh-Nachrichten weniger als 400 μs im gemeinsam genutzten Funkfrequenzspektrum. Das bedeutet, dass theoretisch mehr als 2500 solcher Nachrichten innerhlab einer Sekunde gesendet werden können.

Die von Bluetooth für das vermaschte Netzwerk eingeführten Kommunikationsprinzipien entsprechen dem Ansatz des informations-zentrischen Netzes (ICN – Information-Centric Network). Dieser Ansatz soll dazu beitragen, den immer größeren Datenverkehr im Internet zu bewältigen, indem namensbasierte Adressierungs- und Weiterleitungskonzepte als Kernprinzipien etabliert werden. Abweichend von einem Host-zentrierten Paradigma kümmert sich das ICN-Modell nicht um Absender, Empfänger und Adressen. Stattdessen stehen namens¬basierte Informationen im Mittelpunkt und machen Daten unabhängig von Ort, Speicherung oder Anwendung.

Vermaschte Beleuchtungsnetzwerke über Bluetooth realisieren dies durch das Publish-Subscribe-Prinzip, eines der Kernkonzepte der Spezifikation für diese Form der Vernetzung. Es ähnelt der Art und Weise, wie Menschen auf Twitter miteinander kommunizieren. Veröffentlicht ein Verfasser eine neue Nachricht, wird sie den Nutzern zugeschickt, die ihm folgen. So werden Adressen Informationen zugeordnet, nicht bestimmten Geräten.

Die Leuchten abonnieren Nachrichten von bestimmten Adressen, damit sie auf relevante Meldungen reagieren können. Andere Geräte – z. B. Sensoren, Schalter – veröffentlichen Nachrichten an diese Adressen und verteilen damit Lichtsteuerbefehle gleichzeitig an alle Empfänger, die es betrifft. Wenn alle diese Funktionen kombiniert werden, verleihen sie dem vermaschten Netzwerk über Bluetooth eine einzigartige Fähigkeit: gleichzeitiges Multicast.

Bei Multicast werden Nachrichten mit einer einzigen Übertragung auf mehrere Knoten gesendet. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für Beleuchtungsanwendungen. Ohne Multicast gibt es keine vernetzte Beleuchtung.

In kommerziellen Gebäuden müssen Dutzende oder mehr Netzwerkknoten gleichzeitig und mit minimaler Latenz auf Lichtsteuerbefehle reagieren. So haben Beleuchtungssysteme schon immer funktioniert – und so sind es die Menschen gewöhnt. Auf dem Markt gibt es mehrere Niedrigenergie-Funktechniken, die Multicast unterstützen. Die Vernetzung auf Bluetooth-Basis ist jedoch die einzige Technik, bei der mehrere Multicast-Nachrichten gleichzeitig über das Netzwerk gesendet werden können. Mehrere Nachrichten gleichzeitig per Multicast zu senden, gilt als eine Schlüsselkomponente für den Erfolg von Funknetzwerken in professionellen Beleuchtungsanwendungen – und stellt eine Antwort auf die ungelösten He¬rausforderungen der letzten Jahre dar.

Bluetooth-Netzwerk in der realen Büroumgebung

In den Büroräumen von Silvair wurden die Geräte mit den Bluetooth-Transceivern installiert, das Beleuchtungssystem gestartet, Steuerungsszenarien realisiert und die funkvernetzte Lichtsteuerungsanlage in allen Büros in Betrieb genommen. Als letzter Schritt folgte die Feinabstimmung der Netzwerkeinstellungen, um eine optimale Leistung zu erzielen. Dazu gehörte auch die Konfiguration der Relais-Knoten.

In einem vermaschten Netzwerk müssen nicht alle Knoten über die Fähigkeit zur Weiterleitung verfügen, denn das würde für übermäßigen Datenverkehr sorgen. Die Zielsetzung ist daher, die Anzahl der Relais-Knoten gering zu halten und gleichzeitig sicherzustellen, dass auch die entferntesten Netzwerkknoten effektiv erreicht werden können. Um die Netzwerkleistung zu optimieren, müssen die Netzwerkanordnung und die Gesamtanordnung der Räume in einem Gebäude berücksichtigt werden.

In Vorab-Tests konnte gezeigt werden, dass in den meisten Fällen nur einige Prozent der Knoten die Relais-Funktion bieten müssen. Die ausgewählten Knoten wurden noch manuell als Relais-Knoten konfiguriert. Derzeit arbeiten Entwickler bei Silvair an Algorithmen, die eine automatische Konfiguration der Relais-Knoten ermöglichen. Zum Zeitpunkt der Implementierung musste dies allerdings noch manuell durchgeführt werden.

Die Büros von Silvair sind durch den gleichzeitigen Betrieb vieler Funksender nicht besonders gut für die Bluetooth-Kommunikation geeignet. Wie überall nutzen die Mitarbeiter die Funkverbindung ständig für ihre Smartphones und Laptops. Für noch viel mehr Funksignale sorgen jedoch die vielen Testgeräte, die ständig im Einsatz sind. Und jetzt kam noch das Bluetooth-Beleuchtungsnetzwerk mit 200 Knoten hinzu, das die Anzahl der Bluetooth-Datenpakete noch weiter erhöhte. Aber selbst unter diesen Umständen funktioniert die Funk-Lichtsteuerung so gut, dass die Vertreter der Beleuchtungsfirmen, die das Büro besuchen, kaum glauben können, dass es keine Steuerkabel gibt.

Sensorgesteuert passen Szenarien die Helligkeit der Leuchten automatisch und stufenlos an die Belegung und die Verfügbarkeit von Tageslicht an. In jedem Raum gibt es einen Funkschalter, mit dem das Szenario bei Bedarf manuell angepasst werden kann. Über einen Hauptschalter können alle Leuchten im Gebäude sofort ausgeschaltet werden. Und alle diese Funktionen arbeiten fehlerfrei. Das klingt vielleicht nicht nach einer beeindruckenden Leistung, aber Silvair musste Jahre auf ein funkbasiertes Lichtsteuersystem dieser Größenordnung warten, das auf einem weltweit etablierten Funkstandard basiert und mit der gleichen Zuverlässigkeit arbeitet wie ein verkabeltes Beleuchtungssytem. Das erste große Ziel scheint somit erreicht.

Perspektivisch werden auch IoT-Dienste wie Navigation in Räumen oder das Lokalisieren von Gütern (Asset Tracking) in der Zukunft eine spannende Rolle spielen – realisiert als zusätz-liche Funktionen mit dem Funknetzwerk zur Beleuchtungssteuerung.

 

Die Autoren

 

 

Simon-Slupik von Silvair
Simon Slupik von Silvair
© Silvair

Simon Slupik

ist CTO und Mitbegründer von Silvair, einem Unternehmen, das es Lichtherstellern ermöglicht, einen reibungslosen Übergang in die vernetzte Beleuchtung zu vollziehen. Seit 2016 ist er Vorsitzender der Mesh-Arbeitsgruppe der Bluetooth SIG.

simon@silvair.com

 

 

 

 

Szymon-Rzadkosz von Silvair
Szymon Rzadkosz von Silvair
© Silvair

Szymon Rzadkosz

arbeitet als Technischer Redakteur bei Silvair, spezialisiert auf vermaschte Netzwerke und Funkkommunikation für das IoT.

szymon.rzadkosz@silvair.com

 


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