Ein weiterer Risikofaktor seien »die enormen Risiken und Brüche« im Land, die man angesichts der Chancen, die das Land der Mitte der deutschen Industrie biete, gerne verdränge. Doch »das Land kämpft selbst mit gewaltigen Herausforderungen«, erklärt Shi-Kupfer. Da sei zum einen die massiv gewachsene Staatsverschuldung, die je nach Schätzung zwischen 300 und 600 Prozent des Bruttoinlandprodukts verortet werde. Es gebe kleinere Protestbewegungen unter Arbeitern und Studenten, aber eben auch massive Korruption. Die Digitalisierung und die Einführung von KI-basierten Technologien würden in der chinesischen Gesellschaft keineswegs völlig widerspruchslos hingenommen. So machen sich Umfragen zufolge mittlerweile mehr als die Hälfte der chinesischen Bürger Sorgen um ihre privaten Daten.
Gleichzeitig soll das gesellschaftliche Bonitätssystem, das gerade in der Aufbauphase ist, nächstes Jahr auf nationale Ebene gezogen werden. Es wird lokal gerade erprobt. Dabei geht es darum, individuelles Verhalten durch Algorithmen zu bewerten und durch ein System aus Anreizen und Sanktionen zu beeinflussen. Das werde Bürger und Unternehmen, inländische wie ausländische, betreffen, so Shi-Kupfer. Dazu werden verschiedene (private) Datensätze erhoben. Sie alle werden dann nach bestimmten Kriterien mit Punkten bewertet. Etwa zum finanziellen Verhalten (»pünktlich die Steuererklärung gemacht?«) oder dem Betragen in der Öffentlichkeit, im Internet oder im Verkehr. »Das könnte für chinesisches wie für ausländisches Personal sehr komplexe Folgen haben, etwa Reiseeinschränkungen«, so die Expertin.
Zusätzlich sei die Partei im Gange, speziell auch in ausländischen Unternehmen Parteizellen zu etablieren und auszuweiten. »Parteimitglieder sollen deswegen chinesische Mitarbeiter in Joint Ventures und NGOs ansprechen, ob sie in die Partei eintreten möchten.« Solche Parteizellen habe es 2017 bereits in 70 Prozent der Unternehmen gegeben. Vertreter der Parteizellen sollen an Sitzungen teilnehmen und regelmäßig berichten, zur Wahrung der nationalen Sicherheit. Natürlich haben solche „Aufpasser“ eine politische Agenda. Beim Personal gelte es daher, genau hinzuschauen, hinzuspüren, ob chinesische oder eigene Mitarbeiter in irgendeiner Form unter Druck geraten sein könnten. Ein Frühwarnsystem für mögliche Veränderungen oder Verschärfungen einzuführen sei eine gute Idee. Aber auch ohne offizielle Parteizelle ist Vorsicht angebracht, »gerade wenn jemand besonders freundlich ist, sich anbietet, eben mal Ihr deutsches Dokument mitzunehmen und kostenlos ins Chinesische zu übersetzen«.
Shi-Kupfer auf die Aussagen, es gebe ja keine Alternative zu China: »Ich würde sagen, es gibt immer eine Alternative, es ist nur eine Frage der Kosten, die damit verbunden sind. Und die man natürlich auch erstmal schaffen muss, das ist klar.« So lange gilt: keine Naivität. Man müsse »von nationalen Interessen ausgehen und von nichts anderem«, Kulturromantik sei fehl am Platz. »Das sage ich als jemand, dem dieses Land sehr am Herzen liegt. Es ist ein tolles Land mit vielen Möglichkeiten, aber wir müssen da mit einer sehr viel realistischeren Sicht drangehen, wirtschaftlich wie politisch.« Etwa bei Verhandlungen: »Identifizieren Sie die Kerninteressen des chinesischen Gegenübers und auch seine Schwächen. Und den strategischen Nutzen Ihrer eigenen Pfründe, und wuchern Sie damit. Die chinesische Seite macht das nämlich oft besser.«