Thomas Sattelberger rechnet ab

»Der Girls' Day ist verlorene Liebesmüh'«

20. März 2023, 12:17 Uhr | Corinne Schindlbeck
Thomas Sattelberger, hier 2017 auf einem Markt&Technik-Forum zum Thema 'Innovation'.
© Markt&Technik

Thomas Sattelberger hat auf Twitter ein vernichtendes Resumée »nach 20 Jahren MINT-Aktivismus und dem Versagen vieler Initiativen« gezogen. Sein Fazit: Der Girls' Day sei verlorene Liebesmüh'. Stattdessen mahnt er eine Reform in der MINT-Förderung an. Und nimmt Arbeitgeber in die Pflicht.

Man ist deutliche Worte von ihm gewöhnt. Aber immerhin war Thomas Sattelberger selbst in einer der größten MINT-Initiativen tonangebend. Er war seit 2008 Kopf von "MINT Zukunft schaffen". Erst 2021 wurde er an deren Spitze abgelöst und ist heute Ehrenvorsitzender. Ziel ist bis heute, Schülerinnen und Schüler für MINT zu begeistern und die Zahl der Studienanfänger - vor allem der weiblichen - in MINT-Studiengängen und -Ausbildungsberufen zu erhöhen.

Der Girls' Day, den er als wirkungslos kritisiert, wurde im Jahr 2001 in Deutschland ins Leben gerufen. Initiiert wurde er vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Er hat das Ziel, Mädchen und Frauen für Berufe zu begeistern, in denen sie bislang unterrepräsentiert sind. 

Im Interview mit dem VDMA zieht er nun eine Art Bilanz. Möglicherweise "tun wir seit vielen Jahren zu viel des Falschen. Und folgen noch dazu der Devise 'Noch mehr des Gleichen'". Aber nicht Information und Praxiserfahrung seien es, was zu mehr MINT-Begeisterung führe, sondern "tief liegende Sozialisationserfahrungen" in frühen Jahren bei Kindern. "Am familiären Esstisch" werde MINT-Orientierung entweder geweckt "oder versenkt".

Die gute Nachricht: Familiäre Defizite könnten ausgeglichen werden. Dazu müsse die Initiative für KITA-Kinder  "Haus der kleinen Forscher" massiv skalieren. Heißt: flächendeckend in KITAs ausgerollt werden. Zusätzlich müssten Eltern beraten werden, "Berufsorientierungskompetenz" und mehr MINT-Wissen erwerben.

Den allseits beliebten Girls' Day - der leider vielerorts ein Feigenblatt für ansonsten weitgehende Tatenlosigkeit ist - hält er für überschätzt. Stattdessen brauche es "MINT-Spaces" und "Maker-Garagen" von der Grundschule bis zum Gymnasium, experimental und experimentiell und in eine Kultur des Lernens integriert. Das dafür benötigte Geld beziffert er auf 200 Mio. Euro. Wenn es "der Staat alleine nicht mehr" richte, sei "ein großer Kraftakt mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft nötig", Public Private Partnership sei "überfällig".    

"Bindestrich-Studiengänge", ggf. mit "mono-edukativen Phasen" hält er ebenfalls für aussichtsreich. "Viele junge Frauen und zunehmend junge Männer" wollten "Purpose in ihren Studiengängen. Die reine Technik ohne die Sinnhaftigkeit" sei "nichts". Eine "interessante Frage" sei es, ob Frauen cross- oder interdisziplinäre Tech-Studiengänge attraktiver finden würden. Mehr Kooperation von Unternehmen mit Hochschulen und in Hochschulräten könnte bewirken, dass "Hochschulkultur, Studiumszufriedenheit, Studienabbruchquote und praxisorientierung der Lehre und Forschung" verbessert werde. 

An die Unternehmen adressiert: Es gehe darum, "Hightech mit Hightouch" zu kombinieren. Damit meint er eine Reform der Arbeitskultur hin zu "genderfairen Arbeitswelten", nicht aber "Tools und Techniken von New Work".  Sondern "insbesondere den Abbau von subtil greifenden Stereotypen" sowie Purpose, vor allem mit Blick auf die ökologische Transformation. "Dies bei der Gewinnung von Ingenieurinnen nachhaltig zum Thema zu machen und bei der Bindung von Ingenieurinnen nachhaltig zu leben, scheint mir der Schlüssel."

Frauen gibt er den Rat, Arbeitgeber in Sachen Chancengleichheit "hartnäckig" auf den Prüfstand zu stellen. "Lasst euch (...) Beispiele von erfolgreichen Karriereverläufen in dieser Firma geben." Gelänge das dem potenziellen Arbeitgeber nicht, "dann ist es allemal die falsche Firma für euch". 


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