Studienreihe forscht nach Lösungen

Warum wird das Studium der Elektrotechnik immer unbeliebter?

17. März 2023, 10:58 Uhr | Corinne Schindlbeck
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Die Lücke zwischen Angebot und Bedarf an Tech-Spezialisten war noch nie so groß wie heute. Und gleichzeitig wird das E-Technik-Studium immer unbeliebter. Nun wurden Gründe untersucht und Lösungsansätze abgeleitet. 

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Maya Götz, Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen beim Bayerischen Rundfunk »Es fehlen Bilder von Elektroingenieurinnen und -ingenieuren, die die Welt gestalten und Wichtiges für eine bessere Zukunft erdenken und umsetzen.«
© Bayerischer Rundfunk

Der VDE hat gemeinsam mit dem Fakultätentag für Elektrotechnik und Informationstechnik neue Daten einer laufenden Studienreihe präsentiert, die die Gründe untersucht und Lösungsansätze vorschlägt.

Es ist Ziel des EU Chips Acts, den Anteil Europas an der globalen Halbleiterproduktion wieder auf 20 Prozent zu erhöhen und damit die Abhängigkeit zu reduzieren. Dafür braucht es Fachkräfte, um die ein weltweiter Wettbewerb besteht. Das inländische Potenzial an Ingenieuren und Fachkräften für (Mikro-)elektronik in Deutschland schrumpft aber, anstatt zu wachsen. 

Die Vertreterin der angewandten Hochschulen im Fakultätentag, Prof. Kira Kastell von der Hochschule Hamm-Lippstadt, verweist auf das Risiko gerade für mittelständische Unternehmen. Es könnte zu massiven Standortproblemen kommen, wenn diese die benötigten Fachkräfte nicht mehr bekämen. 

Das Studium verliert seit über zehn Jahren an Attraktivität. Mit 3,5 Prozent aller Studierenden erreicht die Elektro- und Informationstechnik in diesem Jahr einen neuen Tiefststand. »Die Lücke war noch nie so groß wie heute. Und sie wird immer größer«, referiert der VDE-Arbeitsmarktexperte Dr. Michael Schanz vom VDE in einem Pressegespräch. 7500 Absolventen von den Hochschulen erwartet der VDE in diesem Jahr. Demgegenüber stehen 13.500 E-Technik-Ingenieure, die in den Ruhestand gehen und ersetzt werden müssen. In den vergangenen Jahren wurde diese Lücke mit ausländischen Spezialisten aufgefüllt. Doch das wird immer schwieriger und sei auch keine Lösung für die Zukunft, da der Bedarf weiter ansteige durch demografischen Wandel und Tätigkeitsfelder wie Erneuerbare Energien, Mobilität, Digitalisierung oder Industrie 4 – auch im Ausland. Dr. Michael Schanz, Leiter des VDE Fachausschusses Studium, Beruf und Gesellschaft, stellt fest: »Junge Menschen wollen Zukunft gestalten – die Elektrotechnik ist eine starke Antwort auf dieses Bedürfnis. Können wir das nicht vermitteln, sind die großen Themen unserer Zeit gefährdet.« 

Prof. Holger Göbel von der Bundeswehr-Uni Hamburg und Vorsitzender des Fakultätentags gibt noch ein weiteres Problem zu bedenken. Immer weniger Studienanfänger:innen in Elektrotechnik bedeute auch immer weniger potenzielles Personal für Forschung  und Lehre an Universitäten. Und damit Kürzung der Mittel.  Damit einher gehe das Risiko, dass auch die Forschungslandschaft der Elektrotechnik in Deutschland abbaue. Göbel: »Wir müssen den Abwärtstrend aufhalten, ansonsten werden wir eine Erosion erleben und das hohe Niveau in unserem Fach nicht halten können.«

Aber nicht nur die Absolventen, auch die Berufsgebildeten fehlen längst. Laut ZVEI, der vom IW Köln den Fachkräftebedarf in der Halbleiterindustrie hat untersuchen lassen, fehlten alleine zwischen Juli 2021 und Juni 2022 62.000 Fachkräfte, ohne Helfer. Nur jede zweite offene Stelle in einem Beruf der Halbleiterindustrie habe rein rechnerisch besetzt werden können.  Besonders groß sei die Lücke im Bereich Mechatronik, Energie- und Elektroberufen. Im letzten Jahr hätten hier 27.000 qualifizierte Fachkräfte gefehlt.  An Arbeitslosen, die den Mangel dank Weiterbildung abfedern könnten, fehlt es. Der Anteil der Beschäftigten über 55 ist hoch, 28 Prozent der Experten erreichen in den nächsten 10 bis 12 Jahren das Rentenalter. Viel Zeit zum Nachdenken bleibt also nicht mehr. 

Doch die Nachwuchsgenerierung ist nicht einfach, wenn ein Großteil der jungen Leute die E-Technik links liegen lässt, wie die Studie unter der Leitung von Dr. Maya Götz, Medienwissenschaftlerin vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI), zeigt. Befragt wurden 658 Schülerinnen und Schüler kurz vor dem Schulabschluss, 50 High Potentials mit der Note 1 oder 2 in Mathe, Physik und/oder Informatik sowie 1.195 Studierende der Elektro- und Informationstechnik.

Es gelinge der Branche nicht, jungen Menschen ein realistisches Bild vom Beruf des Elektroingenieurs zu vermitteln, sagt sie im Pressegespräch mit Journalisten und Hochschulvertretern. Jugendliche verwechseln den Beruf des Elektroingenieurs mit Handwerkern, mit reparieren oder installieren und halten die Sparte auch insgesamt für wenig attraktiv und mit wenig Gestaltungsspielraum und Potenzial. Studienleiterin Dr. Maya Götz erklärt: »Gebückte Haltung, Kabel verlegen oder Weihnachtsbeleuchtung am Marktplatz installieren: Solche Bilder haben Jugendliche im Kopf – und diese Tätigkeiten sind leider so gar nicht attraktiv.« Einen Zusammenhang mit den großen Menschheitsthemen wie Klima- und Mobilitätswende, Digitalisierung oder moderne Medizintechnik stellen die Jugendlichen nicht her. Obwohl junge Menschen laut Studie den Wunsch haben, Lösungen zu entwickeln und Verantwortung zu übernehmen. »Die Elektronik ist ein Jobmotor für diese neuen Stellen«. Man sieht, dass reale Berufswünsche mit dem falsch vorgestellten Berufsalltag kollidieren, was zu sinkenden Einschreibungszahlen führt«, erklärt Dr. Götz. Hinzu komme, dass sich die Hälfte der angehenden Studienberechtigten online über mögliche Studiengänge informiere. Die Präsentation der Elektro- und Informationstechnik sei jedoch häufig gespickt mit Fremdwörtern und für Jugendliche wenig ansprechend gestaltet, was eher abschrecke. Dass in einem modernen Auto über 100 Chips verbaut sind? Dürften viele nicht wissen.  

Für den Fachbereichstag Elektrotechnik und Informationstechnik ein Weckruf, wie die Vorsitzende Prof. Kira Kastell erklärt: »Die Studie hat bestätigt, was wir befürchtet haben. Daher haben wir jetzt gemeinsam untersucht, woher das negative Bild kommt und wie wir gegensteuern können.«

Auch hier war Medienwissenschaftlerin Dr. Maya Götz vom IZI involviert. Ergebnis: Die Lösung liegt vor allem in veränderter Kommunikation und einem geschärften Berufsbild. »Wenn potenzielle Studierende eines Fachs nicht verstehen, dass es vielfältig, interessant und der Schlüssel zu sinnvollen Jobs ist – dann hängt die Kommunikation. Wir drängen Mädchen aus dem Fach«. Oft sind es der Umfrage zufolge Zufallsimpulse, die Jugendliche von der Elektrotechnik wegtreiben, keine bewussten Entscheidungen auf Basis einer fundierten Beratung von Jobcentern oder Hochschulen. Und auch Peergroup und Eltern spielen eine wichtige Rolle.  

Somit seien Unternehmen gefragt, Orientierung zu schaffen. Was bietet die Elektrotechnik dem Nachwuchs, was macht sie attraktiv und – ganz konkret – was lässt sich im späteren Berufsleben verdienen? Würden diese Botschaften zielgruppentauglich kommuniziert, ließe sich das schiefe Bild zurechtrücken. Aber auch die Hochschulen sind adressiert. Da eine Mehrheit der Studierenden „Durchhaltevermögen“ als wesentliche Eigenschaft für das Studium nennt, müssten Hochschulen vermitteln, für welche Aufgaben das Studium im späteren Berufsleben qualifiziere. Denn dann sei eine höhere intrinsische Motivation zu erwarten.

Dass die E-Technik immer noch eine Männerdomäne ist, hilft der Sache ebenfalls nicht. Eine wegen ihres Geschlechts herausgehobene Stellung, »positive Discrimination«, schätzten die jungen Frauen in der Regel nicht, wie Rosalia Virga vom VDE Youngnet ausführt. Auch Prof. Kira Kastell kennt diese aus eigener Erfahrung: »Was, so ein schweres Studium hast du studiert?« Dies ist offenbar nicht erstrebenswert. Auch die Sorge der befragten Mädchen, in solch einer Männerwelt »niedergemacht« zu werden oder gar »Schaden« anrichten zu können, zeugt von tief verwurzelten Klischees. 

Selbst unter den High Potentials in MINT-Fächern gibt die Mehrheit der beteiligten Schülerinnen der Branche ein schlechtes Zeugnis. Man wolle sich im Job nicht unterbuttern lassen oder im Umfeld blöde Sprüche anhören müssen wegen der Berufswahl. Als kreativ wird der Beruf ebenfalls nicht angesehen: »Das muss sich ändern«, so Götz, »denn der Beruf des Elektroingenieurs erfüllt in Wahrheit all die Anforderungen, die junge Leute haben«. Das könne man sich als Gesellschaft nicht weiter leisten: »Wir müssen pushen, an all diesen Themen mit Hochdruck arbeiten,« resümiert Dr. Schanz und bringt neben neuen (Social Media-) Formaten sogar eine Umbenennung der Studiengänge ins Gespräch, um das Image zu verbessern. Freilich: Nur Imagekosmetik kann und darf es auch nicht sein. Das würde nur die Abbrecherquoten in die Höhe treiben, warnt Schanz. 

In der Studienreihe wurden insgesamt vier Themenbereiche untersucht. Die ersten beiden Bände zum Image und zur Berufsfindung sind ab sofort kostenlos zum Download erhältlich. Band 3 und 4 befassen sich mit den Gründen für den Abbruch des Studiums sowie der Frage, wie mehr Frauen für das Fach gewonnen werden können.
 


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